Kardinal Meisner, die Abtreibung und der Holocaust

Von Julia Groth

Wer schwanger ist und sein Kind abtreiben lässt, ist genauso schlimm wie Hitler. Das jedenfalls ist die Meinung von Kardinal Meisner, die er in seiner Predigt am Dreikönigstag unters Volk brachte. Möglicherweise sogar noch schlimmer: Abtreibung sei ein »Tatbestand, der wohl alle bisherigen Verbrechen der Menschheit in den Schatten stellt«, formulierte er bereits in seiner Silvesterpredigt. Zurecht schlug dem Kardinal nach diesen Aussagen Empörung entgegen, vor allem von Paul Spiegel, dem Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Es ist bekannt, dass Kardinal Meisner ein vehementer Abtreibungsgegner ist, aber der Vergleich zwischen Abtreibung und Holocaust war für ihn dann doch relativ neu. Spiegels Vorwürfe, den millionenfachen Mord an den Jüdinnen und Juden im Dritten Reich relativiert und die Opfer beleidigt zu haben, kann Meisner offenbar nicht nachvollziehen. Holocaust, Abtreibung - das sind doch beides Akte der Anmaßung gegenüber Gott? Die Reduzierung eines juristischen, moralischen oder sozialen Problems auf ein rein theologisches scheint die Spezialität der Katholischen Kirche zu sein. Kardinal Meisner hat sich zwar inzwischen entschuldigt und beantragt, die strittige Stelle aus der Dokumentation seiner Predigt zu streichen, aber ein schaler Nachgeschmack bleibt. Wie kann die Katholische Kirche mit solchen Vertretern überhaupt noch darauf hoffen, dass sich Menschen in Notlagen, wie sie beispielsweise oft bestehen müssen, um sich gegen das Austragen eines Kindes zu entscheiden, vertrauensvoll an sie wenden? Vielleicht sollten die Herren an der Spitze einmal darüber nachdenken, auch Frauen in ihre Mitte aufzunehmen, um ihre verstaubte, verdrehte und frauenfeindliche Sicht der Dinge ein wenig zurecht zu rücken.