Muskelspiele in Beton

Philosophikum, Universitätsbibliothek und Mensa: Die Architektur der Sechziger- und Siebzigerjahre hat auch an der Kölner Universität ihre Spuren hinterlassen. Urbanität als Konzentration von Funktionen. Von Andrew MacNeille

Ist es schon schwierig genug, Interesse an den baulichen Äußerungen der Fünfzigerjahre zu wecken, so streikt der kollektive gute Geschmack vollends angesichts der Zeugnisse der Sechziger- und Siebzigerjahre. Geschmäht als »Bunker«, als »Betonklötze« und als geradezu traumatische Un-Orte gelten sie als Inbegriff eines seelenlosen und menschenverachtenden Verständnisses von Stadtgestaltung. Grund genug, sich ihnen einmal unvoreingenommen zu nähern, da kein Zeitabschnitt das äußere Bild der Kölner Universität so umfangreich und nachhaltig geprägt und verändert hat.

Seit der ersten Hälfte der Sechzigerjahre empfand man sowohl die unmittelbare Nachkriegszeit, die Zeit des grundlegenden Wiederaufbaus der zerstörten Städte als auch - vor dem Hintergrund des einsetzenden »Wirtschaftswunders« - einen erheblichen Teil der eigenen Vergangenheit als abgeschlossen. Dies spiegelte sich in einem neuen Verständnis von Architektur und Städtebau. Man war (mal) wieder wer, wollte dies auch zeigen und schreckte nicht vor gigantischen Maßstäben zurück. Urbanität wurde über Verdichtung und Konzentration von Funktionen angestrebt. Es war die Zeit der überdimensionalen Stadt- und Kreishäuser (Bonn, Siegburg), in denen sämtliche Verwaltungsfunktionen zusammengefasst wurden; die Zeit der großen Satellitenstädte (Köln-Chorweiler; Berlin-Gropiusstadt) und die Zeit der Campus-Universitäten (Düsseldorf, Bochum), welche ohne Bezug zu gewachsenen Stadtstrukturen ein auf sich selbst konzentriertes Eigenleben führten. Funktionalität, kurze Wege und ein umfassendes Angebot auf komprimiertem Raum standen im Mittelpunkt des Interesses. Was Bauformen und -materialien anbelangt, so ließ man mit betont kantig-schwerfälligen Baukörpern, schalungsrauhem Beton, unverputztem Kalksandsteinmauerwerk und Waschbetonplatten die Muskeln spielen. Industriematerialien sollten nicht mehr hinter Putz oder Verkleidungen in edleren Materialien verborgen, sondern offen dargestellt werden: »Die Erkenntnis der Möglichkeiten des Betons wird zu einer Huldigung an das Material«, wie es in der Broschüre Architektur in Köln über das Hörsaalgebäude heißt. Und der Architekturhistoriker Ralf Lange urteilt: »Die Entwicklung ging allgemein zum Ungeschliffenen, Kompakten, Elementaren, wenn man so will, zu einer Brutalisierung der gestalterischen Mittel.«

Der Versuch, ein möglichst großes Funktionsangebot unter einem Dach zu organisieren, führte in Kombination mit der Materialwahl zu jenen labyrinthischen, fensterlosen und zumeist finster wirkenden Innenräumen, wie man es charakteristisch am Beispiel des Philosophikums der Kölner Universität studieren kann.

Die architektonischen Leitvorstellungen der Sechziger- und Siebzigerjahre waren von Anfang an heftiger Kritik ausgesetzt. Bereits in den mittleren Sechzigerjahren beklagten Wolf Jobst Siedler und Alexander Mitscherlich »die gemordete Stadt« beziehungsweise »die Unwirtlichkeit unserer Städte« und postulierten die kurz davor noch als menschenunwürdige Slums verpönten historischen Altstadtkerne als ideale humane und multifunktionale Lebensräume.

Das Ende der Epoche markierte vielleicht 1977 die Abwahl der SPD-Mehrheit im Frankfurter Stadtrat und damit des Oberbürgermeisters Rudi Arndt, dessen Spitzname »Dynamit-Rudi« seine Haltung gegenüber Altbausubstanz im Westend und der Ruine der historischen Alten Oper umschrieb. Unter seinem CDU-Nachfolger Walter Wallmann wurde die Oper wiederaufgebaut und in der Altstadt Fachwerkhäuser in einem ungefähr historischen Erscheinungsbild nachgebildet. Historismus und Postmoderne wurden zu den populären Geschmack bis heute dominierenden Leitbildern.

An der Kölner Universität begannen die Sechzigerjahre mit einem Architekturwettbewerb, den der bekannte Stuttgarter Architekt Rolf Gutbrod mit dem Konzept eines »Universitätsforums« gewann, an dem die wichtigsten Zentralfunktionen konzentriert werden sollten. Nach Gutbrods Entwurf entstand zunächst die Universitätsbibliothek (UB), eine Stahlbeton-Konstruktion, bei der unterschiedliche Verkleidungen nach außen verschiedene Funktionen der unterschiedlichen Bauteile anzeigen: Der Verwaltungstrakt ist in Backstein verkleidet, die Außenwände des Büchermagazins bestehen aus Betonformsteinen, während die Lesesäle nach außen durch großflächig verglastes Aluminium-Fachwerk erkennbar sind. 1964 bis 1967 entstand - ebenfalls nach Entwurf von Rolf Gutbrod - das Hörsaalgebäude. Auch hier wurde dem Prinzip der Ablesbarkeit des Innenlebens in der äußeren Gestaltung gefolgt: die großen Hörsäle sind außen als schräg ansteigende Baumassen erkennbar, die kleineren Hörsäle durch verglaste Seitenwände einsehbar. Die starke Zergliederung des Baukörpers und die auch hier gewählte Materialvielfalt - außer dem dominierenden Beton wiederum Backstein, Glas und Aluminium - geben dem Gesamtkomplex das Erscheinungsbild einer monumentalen Architekturplastik, welche von jeder Seite eine andere Ansicht bietet. Die Transparenz des großflächig verglasten Erdgeschosses sollte dieses ursprünglich als Durchgangsbereich zwischen Albertus-Magnus-Platz und Bibliothek kennzeichnen; eine Funktion, die inzwischen nicht mehr genutzt wird. Die durchaus anspruchsvolle gärtnerische Gestaltung zwischen Hörsaalgebäude und UB geht auf einen Entwurf von Gottfried Kühn zurück.

Zu Gutbrods Konzept des »Universitätsforums« gehört auch die 1965/66 verwirklichte Absenkung der Universitätsstraße, wodurch der autoverkehrsfreie Albertus-Magnus-Platz entstand, der Hauptgebäude, Philosophikum und Hörsaalgebäude verbindet. Dies entsprach der zeitgenössischen Vorstellung von einer Konzentration der wichtigsten Zentralfunktionen der Universität an einem zentralen Platz.

1971 bis 1973 entstand nach einer Planung des Staatshochbauamtes als letzter Abschnitt das Philosophikum. Mit dem aufgrund seiner räumlichen Tiefe nur spärlich von Tageslicht erhellten, katakombenhaften und schwer überschaubaren Foyer und den geradezu gruftähnlichen, überwiegend fensterlosen Seminarräumen im Erdgeschoss lässt es heute nur wenig von seiner damaligen Leistungsfähigkeit erahnen. Gemäß der damaligen Verdichtungs- und Konzentrationsideale vereinte es erstmals die meisten der verstreuten Institute, Lehrstühle und Dienststellen der Philosophischen Fakultät unter einem Dach. Weniger bunkerhaft wirkt die stark zergliederte Fassade zum Albertus-Magnus-Platz mit ihrem Wechsel von langen, durchgehenden Glasbändern und in Sichtbeton gehaltenen Brüstungsbändern, ihrer terrassenartigen Abstufung nach oben und den weit um zwei Platzseiten ausgreifenden Flügeln. An frühen Winterabenden, bei Vollbeleuchtung, kann der Baukörper mit seinen Fensterbändern sogar ausgesprochen transparent und so gar nicht als »Betonklotz« wirken.

Andrew MacNeille promoviert im Bereich Architekturgeschichte an der Universität Köln.