Der einzige Ort

Von Hartmut Schwarz

Afrika: In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bewegen sich zwei Reisende unabhängig voneinander und auf verschiedenen Routen auf die sagenumwobene Stadt Timbuktu zu. Der britische Kolonialoffizier Alexander Gordon Laing zieht von Norden durch die Sahara, von Süden durch den tropischen Senegal kommt der französische Abenteurer René Caillié. Beide erreichen nacheinander die Stadt und verlassen sie wieder, der eine kehrt nach ungeheuren Strapazen nach Frankreich zurück, der andere bleibt verschollen. Was in der Konstruktion - beide Protagonisten folgen ihren historisch belegten Vorbildern - auch ein simpler historischer Schmöker sein könnte, wird durch die sprachliche Brillanz und thematische Durchdringung der Rahmenhandlung zum wahrhaft postmodernen Abenteuerroman.

Denn das eigentliche Thema des Buches Der einzige Ort von Thomas Stangl ist die Sehnsucht. Die Faszination des Europäers am Fremden, dem ganz Anderen, das er im afrikanischen Kontinent zu erblicken vermeint. So führt Stangl nicht nur die Unterschiede der Gedankenwelten des Kolonialbeamten im Gegensatz zum individualistischen Abenteurer vor, er beleuchtet auch die geistigen Eroberungsversuche des fremden Kontinents in der Geschichte von Herodot bis Leo Frobenius. Mit den Mythen und Legenden, die die Reisenden unterwegs erfahren, entsteht so ein ganz eigenartiges Bild der Geschichte Westafrikas über zweitausend Jahre hinweg.

Das eigentliche Abenteuer in diesem Roman aber ist seine Sprache. In langen, oft gebrochenen Sätzen (gerne fügt der Autor auch Nebengedanken in Klammern ein), die nur zu gut die Komplexität der Gedanken nicht nur aussagen, sondern abbilden, versetzt Stangl die LeserInnen, die sich darauf einlassen wollen, selbst in die Lage von AbenteuerInnen. Sie reisen nicht nur in Gedanken mit den beiden Protagonisten mit, der Akt des Lesens selbst verwandelt sich in eine Reise, bei der die Sätze mal ein schier undurchdringliches Dickicht bilden, dann wieder den Blick freigeben auf ungeschaute Landschaften. Die Lektüre dieses durchaus ungewöhnlichen Debüts braucht sicher eine gewisse Ruhe und Konzentration. Wer aber das Abenteuer auf sich nimmt, in dieses Buch einzutauchen, wird mit einem wirklich ungewöhnlichen und aufregenden Leseerlebnis belohnt.

Thomas Stangl: Der einzige Ort, Literaturverlag Droschl, Graz 2004, 25 Euro.