Neurotischer Wörterquirl

Probleme des Laudatioschreibens Von Agnes Hammer

Als am 7. Oktober die Nachrichtenticker melden, dass die Österreicherin Elfriede Jelinek den Nobelpreis für Literatur bekommt, da werden sich viele in den Feuilletons gedacht haben: So ein Mist! Hoffentlich muss ich dazu nichts schreiben! Das kann doch der Praktikant machen. Und der wird sich gedacht haben: Vielen Dank auch! Hoffentlich macht's ein anderer!

Aber der Praktikant wird durch eine kurze Anweisung gezwungen, sich etwas über die Jelinek aus den Rippen zu leiern. Hm, denkt der Praktikant. Erst mal die Fakten! Erst mal im Internet nachschauen!

Dort sind nur die üblichen Attribute abzugreifen: unbequem, sprachvirtuos, große Dame der österreichischen Literatur, Nestbeschmutzerin und so weiter. Anscheinend hat niemand etwas von der Jelinek gelesen oder im Theater gesehen. Au weia! Da muss der Praktikant die Sache selbst erledigen.

Bei Amazon gibt es wenigstens einen Überblick über das Oeuvre. Das kennt der Praktikant aber alles nicht. Also schnell in die Buchhandlung. Die Jelinek bezeichnet Die Kinder der Toten als ihr wichtigstes Werk. Das hat er im Netz gelesen. Vielleicht reicht es ja, in diesem Buch ein bisschen quer rumzubuchstabieren.

Himmel, die Schwarte hat über sechshundert Seiten! Schnell den Klappentext gelesen. Dann die erste Seite. Es geht ganz klar um Österreich und um ziemlich viele Tote. Ansonsten ist keine Handlung erkennbar. Die Wörter selbst sind wie durchgequirlt. Das kann nicht der Ernst von der Jelinek sein! Aber »Wörterquirl«, das muss er sich merken, das könnte der Titel seines Artikels werden.

Da nimmt der Praktikant doch lieber Die Klavierspielerin. Ist auch dünner. Auf dem Titel erfährt er, dass es eine Verfilmung mit Isabelle Huppert gibt. Sehr gut, lieber gleich in die Videothek fahren!

Zu Hause macht er es sich dann mit einer Tüte Chips bequem. Seine Freundin ist begeistert. Sie kennt die Jelinek, vielleicht kann sie entscheidende Hinweise geben. Es geht um das Verhältnis Mann-Frau und Macht. Die Freundin grinst wissend. Anscheinend traut sie ihm auf diesem Gebiet keine besonderen Einsichten zu.

Jetzt aber erst mal die DVD. Oh nein, was singen die da? Ritzt die Huppert sich wirklich mit der Rasierklinge die Schamlippe auf? Jedenfalls ist das alles unappetitlich. Er nimmt sich noch eine Handvoll Chips. Seine Freundin neben ihm sieht blass aus. Irgendwie ist eine ganz unbehagliche Stimmung. Dabei muss er doch nur einen kleinen Artikel schreiben. Der Film wird immer ekliger.

Dann lieber ein Buch. Seine Freundin wühlt in ihren Regalen. Das Buch heißt Lust, verlegt 1989. Er liest darin herum. Das klingt alles bösartig, alles gemein, alles übertrieben. So geht es zwischen Frauen und Männern doch nicht zu, da ist er sich sicher. Trotzdem bleibt etwas, und es ist ihm vor seiner Freundin peinlich. Lust und beiläufige Brutalität. Das ist Porno, oder?

Auf dem Bildschirm vergewaltigt der Klavierschüler gerade seine Lehrerin. Die Freundin macht ein Gesicht, als sei nach diesem Film ihr gemeinsames Sexualleben beendet. Danach sitzen sie noch etwas herum, er isst die Chips alleine auf. Diese blöde Jelinek.

Am nächsten Morgen durchsucht er wieder das Internet. Sehr gut, es sind Reaktionen über die Nobelpreisvergabe da. Die eine ist gerührt, der andere glücklich. Hey, endlich gibt es Namen, die ihm etwas sagen: Peter Handke, Schlingensief. Das trifft sich gut. Das kann er in seinem Artikel verwenden. Dazu die Jelinek selbst. Zu verstört, um nach Stockholm zu fahren. Neurotisch. Das ist gut: Neurotischer Wörterquirl.

Ah, sogar Reich-Ranicki gibt seinen Senf dazu. Er mag sie auch nicht, sagt es aber netter. Slavisch-jüdische Herkunft? Vielleicht daher das Anschreiben gegen den Rechtsextremismus in Österreich? Sie ist politisch, das hat er jetzt schon mehrmals gelesen. Das muss er irgendwie auswälzen, dann muss er nicht so viel Ahnung von ihrem Oeuvre haben.

Dazu Stimmen von der Frankfurter Buchmesse. Das ist auch gut, das muss er sich gleich kopieren. Der Berlin Verlag, in dem ihre Bücher erscheinen, ist komplett überrascht. Der Praktikant grinst. Das kann er gut verstehen.