Übergang zur Tagesordnung

Von Julia Groth

Einige Meldungen hier und da, ein paar kurze Nachrufe im Internet. Das ist offenbar alles, was von der anfänglichen Bestürzung über den Tod des 22-jährigen französischen Atomkraftgegners Sébastien Briat geblieben ist. Ein Castor-Transport mit Todesfolge ausgerechnet in Frankreich, wo die Anti-Atomkraft-Bewegung nicht sonderlich ausgeprägt ist. Mit welchen Reaktionen der PolitikerInnen sowie der Presse hätte gerechnet werden können?

In Deutschland bekam man Enttäuschendes zu hören. Die Europaabgeordnete der Grünen, Rebecca Harms, ließ noch während einer ersten Trauerkundgebung verlauten, dass es am besten sei, alle Demonstrationen gegen den Atommüll-Transport abzusagen: »Es ist nicht ratsam, jetzt noch Aktionen zu machen.«

Diese Empfehlung mutet seltsam an aus dem Mund einer Grünen-Politikerin, die ihre Wurzeln in den Anti-Atomkraft-Protesten der Siebzigerjahre hat, zu den Gründungsmitgliedern der ersten BürgerInneninitiative gegen das Endlager in Gorleben gehört und oft genug selbst auf den Schienen saß, wenn der Castor mit seiner gefährlichen Fracht anrollte. Die Frage, ob es nicht vielmehr die Pflicht der Atomkraft-GegnerInnen sei, gerade jetzt und im Gedenken an Briat die Proteste noch zu verstärken, schien sich Harms gar nicht erst zu stellen. Der irritierend direkte Ton gegen weitere Proteste wurde zwar nach dem ersten Schock deutlich sanfter, aber allerorten riet man zur Vorsicht. Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) ermahnte »alle Beteiligten zur Besonnenheit«, weil kein Ziel es rechtfertige, »das eigene Leben oder die Gesundheit anderer zu gefährden«.

Diese neu entfachte Diskussion über die Methoden der AtomkraftgegnerInnen, die die Betroffenheit über den Tod Sébastien Briats ablöste, bevor auch sie wieder von den Titelblättern verschwand, ruft bei Jens Magerl, Mitglied der wendländischen Anti-Castor-Gruppe WiderSetzen, Kopfschütteln hervor. Er ist der Meinung, dass die Frage nach mangelnder Besonnenheit an ganz anderen Stellen aufkommen müsse.

Schließlich steht inzwischen fest, dass der Zug seine radioaktive Fracht mit einer Geschwindigkeit von einhundert Stundenkilometern beförderte und damit die Auflage, vor einem möglicherweise auftauchenden Hindernis anhalten zu können, eindeutig missachtet wurde. So konnte sich der an die Gleise gekettete Briat zwar rechtzeitig losmachen, wurde aber vom Luftstrom des vorbeirasenden Zuges erfasst. Fragen, wie es zu dieser und anderen gravierenden Verletzungen der Sicherheit kommen konnte, finden sich in erster Linie in der französischen Zeitung Libération. In Deutschland scheint man der Ansicht zu sein, dass sich Frankreich um dieses Problem kümmern solle - und übersieht dabei anscheinend, dass es sich in Frankreich und Deutschland um den gleichen Zug handelt und auch hierzulande die Sicherheitsvorkehrungen alles andere als perfekt sind.