Kölner Geister und Hexen

Von Nicola Milani

Der etwas andere Blick auf Köln: Wer schon immer wissen wollte, warum man an Weihnachten lieber nicht in bestimmte Kirchen gehen sollte, oder weshalb Narben früher als Verbrüderungsmale mit dem Teufel galten, sollte durchaus einige Angebote der hiesigen Stadtführungen in Erwägung ziehen.

Was ist alt, weiblich, hat ein schrumpliges Gesicht, eine fette Warze auf der Nase, eine schwarze Katze auf der Schulter, vorzugsweise schwarzes oder rotes Haar und fliegt gerne auf einem Besen herum? Richtig, eine Hexe. So etwas wissen selbst kleine Kinder. Und früher gehörte diese Definition auch zum Allgemeinwissen eines jeden Erwachsenen. Aber was passierte, wenn man einer Hexe habhaft wurde und ihr den Prozess machte? Kam nicht schon der bloße Verdacht, eine Hexe zu sein, einem Todesurteil gleich?

Um diesen und anderen Fragen zum Thema Hexenverfolgung auf den Grund zu gehen, kommen an einem windig-bewölkten Samstagnachmittag nach und nach immer mehr Leute zum Alten Rathaus, um an der Stadtführung Hexen - Wahn und Wirklichkeit teilzunehmen, sodass schließlich eine Gruppe von zehn InteressentInnen zustande kommt, die meisten davon Frauen.

»Das ist normal,« erklärt Berit Sutorius, die an diesem Tag ihre kranke Kollegin vertritt. »Im Durchschnitt kommen etwa zehn bis fünfzehn Besucher zu dieser Führung. Vor allem Frauen nehmen daran teil, weil sie das Thema oder Geschichte im Allgemeinen interessiert.« Berit Sutorius arbeitet seit vier Jahren bei inside Cologne, einem Veranstalter zahlreicher Stadtführungen in Köln.

Am Alten Rathaus beginnt nun eine Reise zurück in die Wirren des Dreißigjährigen Krieges, denn dort lag, wie beispielsweise in Köln um 1630, der Schwerpunkt der Hexenverfolgungen und nicht, wie fälschlicherweise immer wieder behauptet wird, im Mittelalter. Allerdings fällt es schwer, in Köln von einer richtigen Hochphase der Hexenverfolgung zu sprechen, denn hier wurden innerhalb von etwa fünfhundert Jahren gerade mal einhundert Hexenprozesse geführt. Trier hingegen wies eine solche Zahl innerhalb eines einzigen Jahres auf; und das war noch ein vergleichsweise ruhiges Jahr.

Im Verlauf der Führung erfährt man, dass es drei verschiedene Möglichkeiten gab, einen Hexenprozess zu eröffnen: Selbstanzeige, Denunziation oder eine amtliche Anklage. Erstere bedeutete, dass die Beklagte entweder psychisch krank war oder schlau genug, einer Denunziation zuvorzukommen, denn ihre Selbstanzeige wirkte sich strafmildernd aus. Anders als bei anderen Gerichtsverfahren war bei Hexenprozessen die Gegenhaft nicht üblich, bei der auch die anklagende Seite eingesperrt und bei Unschuld der angeklagten Seite verurteilt werden konnte; dies erleichterte DenunziantInnen ihre Arbeit enorm. Und wenn es soweit kam, dass die Stadt von sich aus eingriff, dann lag dieser Anklage die Arbeit der beiden Stimmmeister Kölns zu Grunde. Diese »Moralpolizei« achtete darauf, dass die Kölner BürgerInnen ihren religiösen Verpflichtungen nachkamen. Gerüchten schenkten sie gerne ihr Ohr und gaben alles an die Obrigkeit weiter.

Apropos Obrigkeit: da gab's ja noch das Kölner Dilemma. Es ist kein Geheimnis, dass die Kölner sich nicht gerade gut mit ihrem Erzbischof verstanden. So kam es denn auch immer wieder zu Reibereien zwischen dem Stadtrat und der Geistlichkeit, unter anderem wegen der geteilten Gerichtsbarkeit. Die Stadt eröffnete die Prozesse und durfte die leichteren Fälle bearbeiten, aber die Todesstrafe blieb dem Hohen Weltgericht des Erzbischofs vorbehalten. Eine zum Tode verurteilte Hexe musste zusammen mit allen zum Fall gehörigen Akten überstellt werden. Darauf hatten die Ratsherren aber keine Lust. Vor allem, wenn im Verlauf des Prozesses der eine oder andere Name aus ihren Reihen gefallen war. So wurden aus schweren Verbrechen Kavaliersdelikte, was vielen Angeklagten das Leben rettete.

Wir erfahren noch mehr, zum Beispiel die Geschichte der Katharina Henot, der einzigen Patrizierin unter den Kölner Hexen, die auch noch nach mehrfacher Folter - erlaubt waren »nur« drei Mal, sie jedoch wurde fünfmal gefoltert - kein Geständnis preisgab. Oder das Schicksal der letzten in Köln verurteilten Hexe, einem elfjährigen Mädchen. Diese »Kinderhexe« war auch das jüngste Opfer der hiesigen Verfolgung. Sie saß zwei Jahre lang im Gefängnis, bis sie geschlechtsreif war; erst dann durfte man sie verurteilen und dem Scheiterhaufen übergeben.

Vom Rathaus geht es weiter zum Alter Markt, dem damaligen sozialen und wirtschaftlichen Herzen Kölns. Welcher Ort wäre also geeigneter für eine öffentliche Demütigung in Form des Prangers? Dies war noch eine der milderen Strafen. Das Spektrum reichte von der Abmahnung über die körperliche Strafe hin zum Berufsverbot und, dem sozialen Tode gleich, der Verbannung. In diesem Fall blieb den Frauen oftmals nur noch die Prostitution, denn woanders die Bürgerrechte zu erwerben, war äußerst schwierig.

Nach rund zwei Stunden geht es vom Alter Markt weiter zum Rhein - der Frankenturm war damals das Hauptgefängnis Kölns - und anschließend zur Philharmonie. Auf dem Heinrich-Böll-Platz, wo heute SkateboarderInnen und SpaziergängerInnen die spielenden MusikerInnen in den Wahnsinn treiben, hielten früher angeblich die Hexen ihren Sabbat ab. Sutorius erklärt, eine Teilnehmerin der Führung wäre damals wegen ihres abstehenden Muttermals auf dem Scheiterhaufen gelandet, denn dort ist ja der Teufel eingedrungen. Auch Narben galten als Male des Bösen - Harry Potter lässt grüßen. Den Abschluss der Führung bildet ein Abstecher in die Kirche St. Andreas, wo Albertus Magnus ruht, der seinerzeit auch als Zauberer galt, jedoch nicht verfolgt wurde. Jäh wird die Gruppe aus den Erörterungen zum Hexenhammer von Heinrich Institoris herausgerissen, als eine Hochzeitsgesellschaft die Kirche verlässt, womit diese Führung auch ihr Ende findet.

Und weil's so schön war, geht es bei Anbruch der Dunkelheit weiter zum nächsten Termin in Richtung Domplatte, wo Die Geisterbahn bereits wartet. Yvonne Plum und ihr Fahrer Sascha lassen ihre Fahrgäste eintauchen in die Sagen und Legenden des mittelalterlichen Kölns, während sie durch die dunkle Innenstadt fahren, begleitet von Gruselmusik der Gruppe Edomine. »Ich mache bereits seit 14 Jahren Stadtführungen, doch die Geisterbahn erst seit Oktober 2003,« erklärt Yvonne Plum. »Mich haben einfach die Gruselgeschichten von Köln interessiert.« Vorlage für diese eher ungewöhnliche Stadtführung war die Londoner Tour Ghosts of London.

Die Route beginnt am Dom, geht am Rheinufer entlang, vorbei an der Kirche Maria Lyskirchen und dem Weiherturm auf den Ring; die Ulrepforte (heute Sitz der Roten Funken) steht noch, jedoch leider nicht mehr das Weyertor, das einmal die Stadtgrenze am Barbarossaplatz markierte. Die Fahrt geht weiter zum Neumarkt, vorbei an der Richmodstraße und den Kirchen St. Aposteln und St. Gereon, ehe die Rückkehr zum Dom das Ende der etwa anderthalb-stündigen Führung ankündigt. Zu jeder dieser Stationen gehörte eine eigene Geschichte, manchmal sogar mehrere.

Um den Dom zum Beispiel ranken sich derart viele Geschichten, dass eine Auswahl schwer ist. Die bekannteste ist wohl die des Dombaumeisters, der eine Wette mit dem Teufel verlor und daraufhin dieses Gebäude verfluchte, auf dass es niemals fertig sein solle. Aber es gibt auch Geistergeschichten, wie die des Pfarrers, der einmal einem Bedürftigen seine Hilfe verweigert hatte und daher nach seinem Tod dazu verdammt war, solange zu Mitternacht die Messe abzuhalten, bis ihm ein kleiner Junge unaufgefordert dabei helfen würde - und so geschah es. Dieser Junge wurde übrigens später der erste Küster des Doms.

Die Fahrgäste bekommen jedoch nicht nur Geschichten zu hören, sondern auch Fakten, so etwa dass Maria Lyskirchen die kleinste der zwölf romanischen Kirchen Kölns ist. Anders als die anderen wurde sie während des Zweiten Weltkriegs nicht sehr stark beschädigt, sodass die gesamte Innenmalerei noch erhalten ist. Lediglich an Weihnachten sollte man sie lieber meiden, denn dann spukt es hier. Maria Lyskirchen ist die Kirche der RheinschifferInnen, und jedes Jahr feiern jene Verstorbenen ihre letzte Christmette, bevor sie vom Schleppschiff des Todes endgültig ins Jenseits befördert werden.

Nicht nur Mythen und Geistergeschichten, sondern auch echte Geschichte verbirgt sich hinter den Mauern der Ulrepforte; so z.B. die legendäre Schlacht zwischen dem Erzbischof und den Kölner Oberstolzen, einer Patrizierschicht, die letztendlich nur dadurch entschieden werden konnte, dass sich die Handwerkszünfte Letzteren anschlossen. Die KölnerInnen gewannen zwar die Schlacht und konnten den Erzbischof und seine AnhängerInnen vertreiben, aber nur unter großen Verlusten.

Es gibt jedoch auch lustige Anekdoten, wie die des Grenzsteinträgers, ein eher harmloses Gespenst, das beim Weyertor ständig mit einem schweren Grenzstein umherlief und die PassantInnen fragte, wo er ihn denn hinsetzen solle. Diese jedoch sahen sich außerstande, ihm bei seinem Problem zu helfen und rannten lieber schreiend davon, bis eines Tages ein Betrunkener auf die Frage lapidar antwortete: »Na dahin, wo du ihn hergeholt hast, du Depp!«

»Wieso gucken da zwei Pferdeköpfe aus dem Turm raus?« Auf diese Frage folgt die Antwort, sie liegt in der Zeit der Kölner Pestepidemie. Es handelt sich um die Geschichte von Menghis und Richmodis, ein Paar, das zwar kinderlos, aber glücklich war, bis Richmodis an der Pest erkrankte und für tot erklärt wurde. Als sie wider Erwarten aufwachte (zu diesem Zeitpunkt befand sie sich bereits in St. Aposteln) und nach Hause zurücklief, glaubte Menghis, es wäre ein übler Scherz und rief zornig: »Eher würden meine beiden Pferde den Turm hinaufklettern und aus dem höchsten Fenster herausschauen, als dass ich glaubte, dass meine Frau von den Toten auferstanden ist.« Und wie auf Geheiß, taten seine Pferde eben dies. Überglücklich, ließ Menghis zur Geburt ihres ersten Kindes die beiden künstlichen Pferdeköpfe oben am Turm anbringen, wo sie auch heute noch sind.

Zum Abschluss noch folgende Warnung: Wer vorhat, St. Gereon zu besuchen, sollte vorher sicherstellen, dass er noch nie jemanden ermordet hat oder ermorden ließ; sonst könnte es ihm ergehen wie König Theoderich. In St. Gereon steht nämlich die Blutsäule, angeblich dieselbe, an welcher Jesus gegeißelt worden war; diese erkennt solche Leute und bestraft sie. Theoderich, kein Mann mit weißer Weste, glaubte dies nicht und wurde eines Besseren belehrt, als er einen Stich mitten ins Herz bekam. Doch sein Wams war völlig unversehrt…

Weitere Informationen zum Angebot von inside cologne gibt es im Internet auf www.insidecologne.de oder telefonisch unter (0221) 521977. Für Die Geisterbahn und einige andere Führungen ist eine Reservierung erforderlich.