Was ich liebte: Fesselnde Analyse der menschlichen Seele

Von Verena Risse

Die Szenerie, vor deren Hintergrund Siri Hustvedt ihre Geschichte erzählt, gleicht derjenigen der frühen Woody-Allen-Filme. Ein New York des Aufbruchs, aber auch der Poesie und der Melancholie. Es ist die Zeit der späten Siebzigerjahre und KünstlerInnen, (jüdische) Intellektuelle und ImmigrantInnen beginnen, den Stadtteil Soho mit Leben zu füllen.

Zu ihnen zählt auch der Kunsthistoriker Leo Hartzberg, Ich-Erzähler des Romans, der rund 25 Jahre später rückblickend berichtet von der Vergänglichkeit dessen, »was ich liebte«.

Leo und seine Frau Erica, Professorin für Literatur, jung, hoffnungsvoll und gebildet, beziehen ein Loft nicht weit entfernt von dem Künstlerpaar Bill und Lucille. Zwischen den beiden Familien entwickelt sich eine intensive und fruchtbare Freundschaft, die durch die Geburt ihrer beinahe gleichaltrigen Söhne nur noch intensiver wird. Sie sind geeint durch ein Leben, das seine Eckpfeiler in Vernissagen und Partys, geisteswissenschaftlicher Forschung und analytischer Diskussion findet. Die Idylle scheint perfekt und die Harmonie der Kleinfamilien auf ewig gesichert, auch scheint sich nahezu jeder Aspekt des Lebens mit wissenschaftlicher Rationalität erfassen und überwinden zu lassen.

Viel zu schnell jedoch muss Leo feststellen, dass nicht nur sein Augenlicht aufgrund einer Erkrankung zu schwinden beginnt, sondern dass auch die Liebe, oder - um den Titel zu bemühen - das Geliebte, einer Trauer weicht.

Die Scheidung der Ehe Bills und dessen zweite Heirat mit Violet, seinem Modell und seiner Muse; Tod des einen und unaufhaltsame Verwahrlosung des anderen Kindes sind die tiefsten Einschnitte in die Lebensbilder der Protagonisten und lösen unaufhaltsam wachsende Risse aus.

Die Figuren des Romans zerbrechen letztlich an diesen Schicksalsschlägen, die in ihre Ehen, Karrieren und Freundschaften eindringen. Sie werden ihrer Emotionen nicht mehr Herr, können sie - rückblickend - zwar erfassen und einordnen, aber bei aller wissenschaftlicher Bildung und Intellektualität weder von ihnen abstrahieren noch sie überwinden.

Siri Hustvedt, die mehr ist als nur die Ehefrau Paul Austers, hat eine fesselnde Analyse der menschlichen Seele geliefert. Einen Beweis dafür, dass auch ein scheinbar perfekter Lebensentwurf, finanzielle Sicherheit und Bildung vor Zusammenbrüchen nicht schützen können. Der Roman begeistert durch seine sachliche Emotionalität, Feinfühligkeit und Detailtreue, mit der sich die Autorin ihren Figuren widmet. Besonders erwähnenswert sind hierbei die beinahe akribischen Schilderungen der künstlerischen Werke Bills, sowie die der wissenschaftlichen Arbeiten der anderen.

Und am Ende werden sie alle, bis auf Leo, das mit ihrer Schwermut unvereinbare, korrupte, emotionslose New York des ausgehenden zwanzigsten Jahrhunderts verlassen haben.

Siri Hustvedt: Was ich liebte, Verlag Rowohlt, Reinbek 2004, 9,90 Euro.