Dirty Protest gegen Maggie

1981 starb das IRA-Mitglied Bobby Sands in einem britischen Gefängnis an den Folgen eines Hungerstreiks. Mit seiner Kandidatur für das Unterhaus hatte die IRA erstmals auf den parlamentarischen Weg gesetzt. Von Beate Schulz

Wäre er am 5. Mai 1981 nicht gestorben, so wäre Bobby Sands am 9. März fünfzig Jahre alt geworden. Zum Zeitpunkt seines Todes war er nicht nur ein inhaftierter Kämpfer der irisch-republikanischen Armee (IRA) sondern gleichzeitig auch gewähltes Mitglied des britischen Unterhauses. Er und neun weitere IRA-Mitglieder erlagen im Gefängnis Long Kesh bei Belfast den Folgen eines Hungerstreiks, den die Gefangenen um die Anerkennung als politisch Inhaftierte führten. Der Hungerstreik markierte eine Wende in der öffentlichen Wahrnehmung der IRA und ihres politischen Flügels Sinn Fein. Mit der Aufstellung des Hungerstreikers Sands als Kandidat für einen Sitz im Unterhaus unternahm die IRA ihren ersten Schritt auf dem Weg zu einer politischen und nicht mehr ausschließlich gewaltsamen Konfliktlösung in Nordirland.

Bobby Sands Lebenslauf ist typisch für die jungen IRA-Männer, die in den Siebzigerjahren den katholischen Paramilitärs beitraten. Er wurde als ältestes von vier Kindern in Nord-Belfast geboren. Während seiner Kindheit wurde die katholische Familie zweimal aus Häusern in vorwiegend protestantischen Wohngegenden vertrieben. Spott und Prügel waren an der Tagesordnung; aus einer Lehrstelle wurde er mit Drohungen und Messerstichen verjagt. Nach der »Zwangsumsiedlung« seiner Familie und dem Bloody Sunday 1972, bei dem 14 TeilnehmerInnen einer friedlichen Bürgerrechtsdemonstration von britischen Militärs erschossen wurden, schloss sich auch Bobby Sands der IRA an.

Noch im gleichen Jahr wurde er zum ersten Mal zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Zu diesem Zeitpunkt fielen die IRA-Gefangenen noch unter den Special Category Status, der mit dem von Kriegsgefangenen vergleichbar war: Die Häftlinge mussten keine Gefangenenkleidung tragen, konnten sich frei untereinander treffen und mussten keine Gefängnisarbeit leisten. Außerdem konnten die IRA-Mitglieder ihre Kommandostrukturen beibehalten. Am 1. März 1976 wurde dieser Status jedoch im Rahmen der Kriminalisierungspolitik der damaligen Regierung - mit ihr sollte die IRA als kriminelle MörderInnengruppe dargestellt werden - aufgehoben. Seine zweite Haftstrafe von 14 Jahren wegen Waffenbesitzes trat Bobby Sands nach diesem Termin an.

Nach der Verschlechterung ihrer Haftbedingungen kämpften die IRA-Häftlinge bereits seit 1976 für ihre Anerkennung als politische Gefangene. Sie lehnten es ab, die Gefängniskleidung zu tragen und hüllten sich stattdessen in Decken und Handtücher. Während des Dirty Protests weigerten sie sich, sich zu den Waschräumen führen zu lassen, da sie auf dem Weg dorthin regelmäßig misshandelt wurden. In der Folge wurden sie in Zellen ohne Waschgelegenheiten und Toiletten gesperrt; die als Ersatz dienenden Eimer wurden selten ausgeleert. Wenn die Häftlinge versuchten, den Inhalt durch die Fenster zu entsorgen, wurden diese mit Brettern vernagelt. Als einzige Lösung blieb oft nur, die Exkremente an die Wände zu schmieren. Um die menschenunwürdigen Zustände zu beenden und den Status als politische Gefangene zu erhalten, trat am 1. März 1981 Bobby Sands in den Hungerstreik, 21 weitere IRA-Gefangene schlossen sich an. Als am 3. März der Inhaber des Parlamentssitzes für Fermanagh und South Tyrone starb, wurde Sands als Kandidat aufgestellt und gewann die Wahl mit über 30000 Stimmen. Auch wenn die britische Regierung unter Margaret Thatcher nicht bereit war, den Forderungen der Streikenden nachzugeben, so zeigten zumindest die Stimmen für Sands und die außerordentliche hohe Wahlbeteiligung, dass die IRA auf breite Unterstützung in der katholischen Bevölkerung Nordirlands rechnen konnte.

Nach 66 Tagen Hungerstreik starb Bobby Sands. Am Trauerzug nahmen mehr als 100000 Menschen teil. Nach neun weiteren Toten wurde der Streik auf Druck der Familien am 3. Oktober beendet. Erst danach ging die Regierung auf die Forderungen der Häftlinge ein, allerdings unter dem Deckmantel einer allgemeinen Gefängnisreform. Entscheidender als dieser nachträgliche Triumph war jedoch die Tatsache, dass die IRA nun die Vorteile der Kombination von bullet and ballot (»Kugeln und Wahlzetteln«) erkannt hatte. Sie brach mit der althergebrachten Weigerung an politischen Verfahrensweisen teilzunehmen. Obwohl die BritInnen die Wahlgesetzgebung dahingehend änderten, dass Inhaftierte nicht mehr ins Parlament gewählt werden konnten, erreichten IRA-Gefangene noch im gleichen Jahr Wahlerfolge in der Republik Irland. Bobby Sands ehemaliger Wahlkampfhelfer Owen Carron »erbte« seinen Sitz im Unterhaus. Außerdem gab Sinn Fein bekannt, dass sie an allen künftigen Wahlen teilnehmen werde.

Eine wichtige Lehre für die Führung der IRA war die Wirkung von koordinierten Massenkampagnen. Während gezielte Bombenanschläge und Exekutionen die weltweite Verurteilung als TerroristInnen nach sich zogen, rief die eiskalte Haltung der Thatcher-Regierung gegenüber den Gefangenen europaweite Solidaritäts-Demonstrationen für die irischen FreiheitskämpferInnen hervor. Terence McSwiney, ein weiterer in der langen Reihe irischer Hungerstreikender, kommentierte die irisch-britischen Grabenkämpfe mit den Worten: »It is not those who inflict the most but those who endure the most who will conquer in the end«. Bobby Sands und neun weitere Gefangene im Gefängnis Long Kesh gehörten zu denen, die bereit waren, mehr zu ertragen. Die von ihnen ausgeübte Gewalt war nicht gegen andere, sondern gegen sich selbst gerichtet, die damit verbundenen Toten waren in der öffentlichen Meinung keine unschuldigen Opfer des Terrorismus, sondern Märtyrer.

Rückblickend kann man sicher sagen, dass der Hungerstreik von 1981 und Sands Wahl zum Parlamentsmitglied langfristig gesehen entscheidend für den - zurzeit ins Stocken geratenen - Friedensprozess in Nordirland waren. Auch wenn Bobby Sands sein Mandat nie wahrnehmen konnte, hatte allein die Tatsache, dass er es überhaupt erhalten hat, große Auswirkungen auf die Strategie der katholischen Paramilitärs.