Ein Freund der Erde: Die Geschichte von Tyrone Tierwater

Von Agnes Hammer

T.C. Boyles Roman Ein Freund der Erde beginnt in der Zukunft. Im Jahr 2025 ist die Welt der Hauptfigur vor allem feucht, sogar die Teppiche sind mit Wasser voll gesogen. In Kalifornien ist Regenzeit. Das Klima ist kollabiert, die Welt überbevölkert. Tyrone »Ty« Tierwater ist einer der »Jungalten«, welche die Mehrheit der Bevölkerung in den USA stellen. Er versorgt die Tiere, die sich ein durchgeknallter Popstar hält. Patagonische Füchse, Gürtelschweine, zerzauselte Löwen brauchen Futter. In dieses Gegen-Paradies, das durchaus beschaulich wirkt, platzt Tys Vergangenheit in Gestalt von Andrea, seiner Ex-Frau.

Boyle erzählt in Montagetechnik die Geschichte der beiden. Für Andrea gab Tierwater sein behagliches, liberal angehauchtes Leben auf, um mit ihr, einer Umwelt-Aktivistin, für den Erhalt des Planeten zu kämpfen. Die heroischen Gesten, mit denen die beiden das tun, gelten vor allem der Presse und der sympathisierenden Öffentlichkeit. Hinter den Kulissen ist der Umwelt-Aktionismus für Andrea ein Job, den sie mit Merchandising und gut geplantem Product-Placement betreibt.

Für Ty ist vor allem die Zerstörung befriedigend. Er legt mit schwerem Gerät Holzfirmen lahm oder will Trinkwasserreservate vergiften. Lieber soll ein Ameisenbärbaby überleben als ein Menschenkind. Sein Motiv ist Rache, nicht nur für die Natur, sondern auch für die unpersönliche Gewalt, mit der er sich immer wieder konfrontiert sieht.

Ty und Andrea dienen ihre Argumente und die angelesenen Erkenntnisse über die Umwelt als Ankerplatz für eine erlebte Traurigkeit und Unzufriedenheit mit ihrem Leben. Nach dreißig Tagen, die die beiden medienwirksam nackt in der Wildnis verbracht haben, weint Ty bei seiner Verhaftung. Nicht aus Trauer oder Wut, sondern aus Dankbarkeit. Er ist dem Paradies entkommen.

Boyle ist Anwalt seiner ProtagonistInnen. Es geht ihm nicht darum, Menschen, die gegen das Establishment kämpfen, als SpinnerInnen zu diffamieren. Was er erzählt, ist ein Handeln und Nachdenken über das So-Sein des Menschen, über das Leiden an einer Welt, die alles zivilisiert, zu Geld macht, befriedet und umbringt.

Getrennt werden Andrea und Ty durch den Tod von Tys Tochter. Sie besetzt einen Redwood und lebt in dreißig Metern Höhe auf einer kleinen Plattform, um den Wald zu retten. Während sie und ihr Vater telefonieren, stürzt sie in die Tiefe und stirbt. Diese Geschichte will Andrea im Jahre 2025 mit Hilfe einer Genossin zu Geld machen - für Sierra, für die geschundene Erde und so weiter. Das jedenfalls ist ihr vordergründiges Motiv. In Wahrheit ist sie einsam und sehnt sich nach Ty. So kommen die beiden wieder zusammen. Doch in der Regenzeit in Kalifornien ist die Villa des Popstars bald eine Arche Noah, mit Gürtelschweinen auf der Bowling-Bahn und Löwen im Keller. Und als das Löwenmännchen Dandy eines Tages mit dem Speiseaufzug nach oben fährt, entwickelt sich die Geschichte nochmal ganz anders, als Ty und Andrea es absehen können.

Boyle schneidet in diesem Roman die Achtziger- und Neunzigerjahre sowie eine apokalyptische Zukunft gegeneinander. Er springt zwischen Ich-Form und auktorialem Erzählen, zwischen erstaunlichen Kenntnissen über Umweltzusammenhänge und dem für ihn typischen, kurzatmigen, ironischen Ton. Die Spannung steigt auf den ersten Seiten und wird danach beständig hoch gehalten. Nach der letzten Seite möchte man sofort wieder von vorne beginnen.

T. C. Boyle: Ein Freund der Erde, dtv, München 2003, 9,50 Euro.