Von 194 zu 242

Die Resolutionen der UN allein führen im Nahostkonflikt nicht zu einer Lösung. Ein Frieden ist nur auf politischem Wege zu erreichen. Von Olaf Bartz

Kaum ein Statement zum israelisch-palästinensischen Konflikt verzichtet auf die Nennung verschiedenster Resolutionen der Vereinten Nationen (UN), um den jeweiligen Standpunkt völkerrechtlich zu untermauern. Am häufigsten genannt werden die Beschlüsse 194 und 242. Ersterer wird hauptsächlich als »Recht auf Rückkehr« für die palästinensischen Flüchtlinge von 1948 interpretiert, letzterer als Verpflichtung für Israel, sich aus den 1967 besetzten Gebieten zurückzuziehen. Damit sind auch zwei der zentralen Konfliktfelder angesprochen, so dass sich ein näherer Blick auf besagte Resolutionen lohnt.

Am 11. Dezember 1948 verabschiedete die Vollversammlung der Vereinten Nationen die Resolution 194. Zu diesem Zeitpunkt herrschte Krieg in Palästina: Im Mai des Jahres hatte ein jüdischer Nationalrat den Staat Israel ausgerufen, und kurz danach begannen Truppen aus Ägypten, Jordanien, Syrien und dem Irak einen militärischen Angriff auf die neue Nation.

Im Verlauf des Krieges, dessen Ursache in einer nationalistischen Auseinandersetzung um Land und Boden zu sehen ist, kam es zu Bevölkerungsverschiebungen, Vertreibungen und Flüchtlingswellen: Sowohl arabische BewohnerInnen verließen ihre Heimstätten in jüdisch kontrollierten Gebieten als auch Jüdinnen und Juden ihre Wohnsitze in Regionen unter arabischer Hoheit. Von politischer Bedeutung ist heutzutage nur noch die Lage der arabischen Flüchtlinge, da die jüdischen schnell eine neue Heimat in Israel fanden.

Vor diesem Hintergrund wurde die UN-Resolution 194 verabschiedet. Sie besteht aus 15 Absätzen, von denen exakt einer, nämlich die Nummer elf, die Flüchtlingsfrage thematisiert. Darin heißt es, dass »Flüchtlingen, die in ihre Heimstätten zurückkehren und in Frieden mit ihren Nachbarn leben wollen, dies zum nächsten praktisch möglichen Zeitpunkt gestattet werden soll«. Diejenigen, die nicht zurückzukehren wünschten, sollten eine Entschädigung erhalten. Der Rest des Dokumentes befasst sich hauptsächlich mit einer einzusetzenden Versöhnungskommission und mit dem freien Zugang zu den heiligen Stätten in der Region Jerusalem, die unter internationale Kontrolle gestellt werden sollte - Punkte, deren Realisierung nie konkret in Angriff genommen wurde.

Ist dies ein verbrieftes Recht auf Rückkehr? Völkerrechtlich gesehen nicht. Gemäß der Satzung der Vereinten Nationen kann deren Vollversammlung keine bindenden Beschlüsse fassen, sondern nur Empfehlungen aussprechen. Verbindlich sind lediglich Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates, wie beispielsweise die Resolution 242 eine ist.

Dieses Dokument wurde am 22. November 1967 verabschiedet. Auch hier ist der konkrete historische Hintergrund von besonderer Bedeutung: Vom 5. bis 10. Juni desselben Jahres kämpfte Israel im Sechstagekrieg gegen Ägypten, Syrien und Jordanien. Er endete mit dem Sieg Israels.

Israel besetzte und besetzt seitdem mit dem Westjordanland (seit 1948/9 jordanisch) und dem Gaza-Streifen (seit 1948/9 ägyptisch) nunmehr das komplette Territorium des ursprünglichen britischen Mandatsgebietes Palästina, hinzu kamen die vormals syrischen Golanhöhen. Die Resolution 242 hatte nun zum Ziel, »einen gerechten und dauerhaften Frieden im Nahen Osten« zu etablieren. Dafür, so das Dokument, sei die Implementierung zweier Prinzipien erforderlich: der »Rückzug der israelischen Streitkräfte aus im jüngsten Konflikt besetzten Gebieten« sowie zugleich »die Beendigung aller Kriegszustände, die Respektierung und Anerkennung der Souveränität, territorialen Integrität und politischen Unabhängigkeit aller Staaten in der Region und ihres Rechtes, in anerkannten und gesicherten Grenzen in Frieden zu leben, frei von Drohungen und Akten der Gewalt.« Zudem wird eine »gerechte Lösung des Flüchtlingsproblems« angestrebt.

Ebenso entscheidend wie umstritten sind drei Punkte. Der erste legt fest, aus welchen Gebieten genau sich Israel zurückziehen solle. Im englischen Original heißt es »withdrawal of Israel armed forces from territories occupied in the recent conflict«, nicht etwa »from the« oder »from all territories«, so dass die israelische Interpretation dahingehend lautet, dass die anzustrebenden anerkannten Grenzen nicht notwendigerweise diejenigen vom 4. Juni 1967, also vor dem Sechstagekrieg, sein müssten. Stellungnahmen beteiligter DiplomatInnen gehen im wesentlichen in diese Richtung, wohingegen die von electronicintifada.net empfohlenen Seiten des Middle East Research and Information Project (merip.org) darauf verweisen, dass die französische Fassung der Resolution ausdrücklich vom Rückzug aus »den besetzten Gebieten« (»retrait des territoires occupés«) spreche und zu berücksichtigen sei, dass Französisch neben dem Englischen ebenfalls offizielle Amtssprache der UN ist.

Der zweite Punkt dreht sich um die Frage, ob die Resolution 242 einen sofortigen israelischen Rückzug, aus welchen Gebieten auch immer, fordere. Dazu lässt sich eindeutig feststellen, dass Rückzug und eine umfassende Friedenslösung Hand in Hand gehen sollen; eine Verpflichtung für einseitige Schritte Israels besteht nicht.

Der dritte Punkt betrifft das Flüchtlingsproblem. Der Passus einer »gerechten Lösung« ist äußerst vage gehalten - ein konkreter Verweis etwa auf die Resolution 194, was eine durchaus übliche Vorgehensweise dargestellt hätte, findet sich im Text nicht.

Sei es bei den weltweit geführten politischen Diskussionen um den Nahostkonflikt, sei es bei der konkreten Suche nach Friedensmöglichkeiten der internationalen Diplomatie: Das Insistieren auf UN-Resolutionstexten allein führt zu keinem Fortschritt. Diese Dokumente geben im einzelnen vielfältigen Interpretationsspielraum und werden zudem von den Beteiligten sehr unterschiedlich gewichtet. Während für die PalästinenserInnen der Beschluss 194 von zentraler Bedeutung ist und diesem seitens Israels keine Relevanz beigemessen wird, interessiert sich Israel vor allem für eine Friedensregelung gemäß der Resolution 242, die wiederum für die Gegenseite nicht im Vordergrund steht.

Da also der militärisch-gewaltsame Konflikt mit abstrakten Berufungen auf widersprüchliches Völkerrecht nicht aufgehoben werden kann, bleibt nur der Weg einer genuin politischen Lösung. Immerhin können die UN-Resolutionen Anhaltspunkte bieten: Irgendwo zwischen 194 und 242 liegt der Weg zum Frieden - falls es überhaupt einen gibt.

Die Resultion 194 findet sich unter www.un.org/Depts/dpa/qpal/docs/A_RES_194.htm, die Resolution 242 als PDF unter www.un.org/documents/sc/res/1967/s67r242e.pdf.