»Auf unseren Rechten bestehen«

Maria Eugenia Corvalán Alarcón ist Teilnehmerin einer Asamblea in Buenos Aires Von

Alles begann am 19. Dezember. Ich erinnere mich, dass ich die Rede des Präsidenten De la Rúa anhörte. Als er den Ausnahmezustand erklärte, rastete ich aus. Ich fing an, auf Kochtöpfe zu schlagen. Ich weiß nicht, warum ich das tat, noch kann ich erklären, wie es dazu kam. Aber schon fünf Minuten nach der Rede schlugen auch andere Leute auf Kochtöpfe und zehn Minuten später waren wir auf der Straße. Wir begannen die Straße zu sperren und den Müll anzuzünden. So etwas hatten vorher vor allem die Piqueteros gemacht. Es war unglaublich. Wir marschierten dann mit vielen anderen zusammen zur Plaza de Mayo. Als wir uns umschauten, sahen wir hinter uns die Calle Defensa voller Menschen. Das werde ich nie vergessen. Ich glaube, das war einfach der Tropfen, der das Fass zum überlaufen brachte. Na gut, wir haben dazu 25 Jahre gebraucht, was soll's: Seit dem 19. Dezember wissen wir, was los ist.

Ich arbeite seit sieben Jahren in Nachbarschaftsvereinigungen mit. Wir haben verhindert, dass sie den Lezama-Park einzäunen. Wir arbeiten mit der Kommission für Menschenrechte von San Telmo und mit den städtischen Ferienlagern zusammen. So findet man mit der Zeit heraus, was im eigenen Stadtteil gebraucht wird. Anfang Januar setzten wir uns mit einer Gruppe von Nachbarn zusammen, um eine Versammlung ins Leben zu rufen. Und die Leute kamen sofort: aus der Unterschicht, aus der Mittelschicht und sogar aus der oberen Mittelschicht. Wir begannen, uns zu organisieren, unsere Bedürfnisse zu formulieren und gemeinsam mit den anderen an den Märschen teilzunehmen. Jeden Donnerstag blockierten wir die Kreuzung Independencia und Defensa. Das waren keine Cacerolazos mehr, das waren richtige Straßenblockaden im bedürftigsten Teil unseres Viertels. Dort gibt es Obdachlosenheime, besetzte Häuser, Wohnungen, für die seit Monaten die Miete aussteht. Ich selbst zahle seit zwei Monaten meine Miete nicht. Ich bekomme meinen Lohn nicht mehr ausgezahlt, obwohl ich weiter arbeite.

Wir fingen also an, uns zu organisieren. Wir erfuhren von Leuten, die nicht mal mehr was zu essen hatten. Also gründeten wir Kommissionen: für die Arbeitslosen, für Pressearbeit, für die Vermittlung und Verhandlung mit der Stadtverwaltung, für Gesundheit und Öffentlichkeitsarbeit innerhalb des Stadtteils - Flugblätter verteilen, Stände aufstellen und mit den Leuten reden.

Schließlich verlangten wir tausend Nahrungsmittelpakete und tausend subventionierte Stellen für Arbeitslose. Wir forderten ein Treffen mit der Abteilung für Bildung und Soziales der Stadtverwaltung. Das Treffen fand statt, wir gingen hin und sie forderten von uns eine Liste der hundert bedürftigsten Familien des Viertels, wahrscheinlich mit dem Hintergrund, dass wir keine solche Liste hätten. Wir aber erstellten diese Liste innerhalb einer Woche und sie teilten uns 108 Nahrungspakete und 108 Stellen zu. Außerdem haben wir eine Krankenversicherung gefunden, die uns billigere Ersatzmedikamente besorgen wird. Einige Psychologen, Anwälte, Soziologen, Architekten und Ärzte boten sich an, für uns ehrenamtlich zu arbeiten. Es gibt hier einen reichen Nachbarn, der kam zur Versammlung und sagte: »Ich möchte nicht als Aktivist mitmachen, aber ich habe Geld und das gebe ich euch zu eurer freien Verfügung.« Also haben wir eine Kommission für kleine Unternehmen gegründet und werden mit der Herstellung von süßem Gebäck und Pasta anfangen.

Wir sind einverstanden mit den Vorschlägen der stadtweiten Versammlung, aber wir glauben, dass wir erst ein stabiles Fundament schaffen müssen. Sonst wird alles, was wir darauf errichten, wieder einstürzen. Wenn das Fundament aber hält, wird das ganze Gebäude darauf stehen können.

Es gibt viele Leute, die Lust haben mitzumachen und mehr wollen als nur zu demonstrieren. Wir haben Nahrungsmittelpakete und finanzielle Zuschüsse gefordert, um die größte Not unmittelbar zu lindern, aber das ist nicht unser einziges Anliegen. Unsere Leute verrecken vor Hunger, das ist eine Tatsache. Wir wollen Gesundheit, Bildung und menschenwürdige Arbeit. Und wir arbeiten daran, das zu erreichen. Man wird uns anhören müssen. Wir sind noch keine zwei Monate dabei, und wir haben noch viel vor uns. Die Leute müssen sich bewusst werden, dass niemand ihre Rechte einfordern wird, wenn sie es nicht selbst tun. Jetzt ist der Moment gekommen, uns zu organisieren und auf unseren Rechten zu bestehen. Unser einziger Weg, um etwas zu erreichen, ist zusammenzuarbeiten. Allein können wir es nicht schaffen.

Der Bericht erschien zuerst in Pagina 12 vom 22. Februar 2002. Die deutsche Übersetzung von Milena Neudeck ist der Aprilausgabe der Lateinamerika Nachrichten entnommen.