Mythos unpolitische Kriminalpolizei

Von Hartmut Schwarz

Wie ungebrochen Institutionen und ihr Personal aus der Zeit des Nationalsozialismus in die junge Bundesrepublik übernommen wurden, ist wohl inzwischen allgemein bekannt. Wie unvollkommen die Entnazifizierung und Verfolgung der NS-Verbrechen im Kalten Krieg vonstatten ging, erschreckt jedoch immer wieder, wenn man sich genauer mit einzelnen Aspekten dieses Themas auseinander setzt. Die wieder aufflammenden Proteste gegen die Neufassung der Wehrmachtsausstellung und das völlige Versiegen der »Gegen-Rechts«-Kampagne des Jahres 2000 zeigen auch, dass die Aufklärung und Aufarbeitung dieses Teils der deutschen Geschichte immer noch wichtig und notwendig ist.

Dieter Schenk hat nun mit Auf dem rechten Auge blind. Die braunen Wurzeln des BKA eine umfassende, material- und kenntnisreiche Darstellung der Geschichte des Bundeskriminalamtes (BKA) vorgelegt. Nach der Schilderung der Auslandsverstrickungen des Amtes im dokumentarischen Roman BKA. Die Reise nach Beirut (1990) und der politischen Biographie Der Chef. Horst Herold und das BKA (1998) hat der ehemalige Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes nun die Entstehung des BKA und die Biographien der ersten Generation der Führungselite dieses Amtes untersucht. Basierend auf umfangreichen Recherchen im In- und Ausland, unter anderem im Berlin Document Center, im Archiv des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR und dem Archiv der Hauptkommission Warschau entwickelt er minutiös ein erschreckendes Bild der ›Erfindung‹ und Frühzeit dieses Amtes.

Die Biographie von Paul Dickopf, dem »Architekten« des BKA, steht exemplarisch im Mittelpunkt der Untersuchung. Dickopf, nach dem bis heute eine Straße in Meckenheim bei Bonn benannt ist, in der eine Außenstelle des Amtes liegt, hatte das BKA als fast identische Kopie des Reichskriminalpolizeiamtes (RKPA) konzipiert und durchgesetzt. Das RKPA war als Abteilung des Reichssicherheitshauptamtes ein wichtiger Bestandteil des NS-Terrorapparats. Entgegen dem Mythos von der »unpolitischen, sauberen Kriminalpolizei« im Gegensatz zur Gestapo war das RKPA maßgeblich verantwortlich für die Verfolgung von Homosexuellen, Sinti und Roma, »asozialen Jugendlichen« und anderen Gruppen, die nicht politisch oder im Zuge der »Rassenpolitik« verfolgt wurden. Aus den Reihen des RKPA rekrutierte sich zum Beispiel auch die Geheime Feldpolizei, die hinter der Wehrmacht für die »Säuberung der eroberten Gebiete« verantwortlich war und auf deren Konto Massenexekutionen in Polen und der Ukraine gingen.

Dickopf, selbst SS-Mitglied, Agent der Abwehr und später des CIA, gelang es, sich in seiner Biographie als heimlichen Widerstandskämpfer zu stilisieren und nach und nach ›alte Kameraden‹ im Amt unterzubringen. So waren 1959 von 47 leitenden Beamten des BKA gerade mal drei ohne braune Vergangenheit. Schenk weist anhand verschiedener Biographien nicht nur die Verstrickung Einzelner in NS-Institutionen nach, sondern auch die Beteiligung an Völkermord und Kriegsverbrechen.

Diese Führungsclique verstand es, das Klima des Kalten Krieges auszunutzen, sich gegenseitig zu protegieren und zu entlasten, um ihre alten Seilschaften ungerührt fortzusetzen. So konnten bis auf wenige Ausnahmen fast alle dieser Beamten ohne Weiteres mit voller Beamtenpension in den Ruhestand gehen, ohne je für ihre Verbrechen zur Rechenschaft gezogen worden zu sein. Lediglich das Todesurteil in Abwesenheit im Jahre 1998 durch ein italienisches Militärgericht gegen Theo Saevecke - unter anderem verantwortlich für die Entführung des Spiegel-Redakteurs Konrad Ahlers 1962 im Zuge der Spiegel-Affäre - wegen der Erschießung von 15 Geiseln 1944 in Mailand erregte einiges Aufsehen. Saevecke wurde nicht nach Italien ausgeliefert.

»Wer glaubt, dass mit dem Ausscheiden der Generation so genannter Alt-Kriminalisten, der Spuk ein Ende hatte, irrt. Das wachsame Auge des BKA blickte stets nach links und hatte Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus nie im Fadenkreuz. Die Langzeitwirkung ist bis heute zu spüren und kommt insbesondere in der Halbherzigkeit zum Ausdruck, mit der Rechtsradikalismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit bekämpft werden«, so das Fazit von Dieter Schenk, dem entgegen der Weisung des Bundesinnenministeriums bis zur Drucklegung des Buches kein einziges Blatt aus dem Archiv des BKA zugänglich gemacht wurde.

Auf dem rechten Auge blind ist nicht nur ein spannendes Stück Zeitgeschichte, sondern auch ein bedenkenswerter Beitrag in der aktuellen ›Sicherheitsdebatte‹.

Dieter Schenk: Auf dem rechten Auge blind. Die braunen Wurzeln des BKA, Kiepenheuer und Witsch, Köln 2001, 22,95 Euro.