Wer ermordete Friedrich Barbarossa?

Von Susanne Krauß

In seinem neuen Roman schildert Umberto Eco, wie Baudolino, ein fiktiver Adoptivsohn Friedrich Barbarossas, dem byzantinischen Historiographen Niketas Choniates die möglicherweise erfundene Geschichte seines Lebens erzählt, während außerhalb des geschützten Hauses, in dem sich beide aufhalten, die christlichen Kreuzfahrer Konstantinopel plündern. Nachdem Baudolino seine Aufzeichnungen zu den von ihm geplanten Gesta Baudolini verloren hat, bietet Choniates an: »Erzähl mir, woran du dich erinnerst. Ich sammle Bruchstücke von Geschehnissen, Splitter von Begebenheiten und gewinne daraus eine Geschichte, die sich anhört, als sei sie durchwirkt von einem Plan göttlicher Vorsehung. Du hast mich gerettet und mir dadurch das bisschen Zukunft gegeben, das mir noch verbleibt. Zum Dank will ich dir die Vergangenheit wiedergeben, die du verloren hast«. Mit dieser Rahmenhandlung ist ein komplexes Konstrukt entstanden: Auf der ersten Verfremdungsebene erzählt der methodische Lügner Baudolino die Geschichte seines Lebens, soweit er sich noch an sie erinnert, auf der zweiten konstruiert Choniates daraus eine systematisch nach Plan ablaufende Geschichte, die sodann auf der dritten Ebene vom Autor Umberto Eco als fiktiver Text verfasst wurde.

Zugleich kann der Roman als eine ›Kriegserklärung‹ des postmodernen Literaten und Semiotikers an die seit dem linguistic turn ins Schleudern geratene Geschichtswissenschaft gelesen werden. Spielerisch an der Glaubwürdigkeit historiographischer Quellen rüttelnd, lässt Eco den Geschichtsschreiber Otto von Freising erklären: »Ich habe dich viele Geschichten erfinden hören, die der Kaiser geglaubt hat. Also wenn du keine Nachrichten über jenes Reich hast, erfinde welche. Merk dir, ich bitte dich nicht zu bezeugen, was du für falsch hältst, das wäre Sünde, sondern für falsch zu bezeugen, was du für richtig hältst. Das ist ein gutes Werk, denn es behebt den Mangel an Beweisen für etwas, das zweifellos existiert oder geschehen ist«. Baudolino erzählt, wie er - diesen Rat beherzigend - aus religionspolitischen Gründen die Reliquien der Könige aus dem Morgenland, die heute im Kölner Dom liegen, (er)fand, deren Leichname gestaltete, bis sie den Erwartungen der Zeitgenossen entsprachen und ihnen Namen gab, die für europäische Ohren fremd - aber nicht zu fremd - klangen. Mit diesem Beispiel, das hier stellvertretend für viele andere steht, erteilt er den LeserInnen eine Lehrstunde in Geschichtspolitik.

Grundsätzlich geht es allerdings darum, zu zeigen, dass neutrale und unparteiische Erinnerung ein Ding der Unmöglichkeit ist. Wenn eine Realität außerhalb der menschlichen Sprache existiert, bleibt sie für uns unzugänglich, weil unsere Wirklichkeit sich nur durch Sprache manifestiert. Getreu diesem Credo konstatiert Baudolino: »Was immer ich sage, ist wahr, weil ich es gesagt habe«.

Darüber hinaus vermittelt Ecos neuer Roman wie schon Der Name der Rose auf unterhaltsame Weise Einblicke in die Lebens- und Gedankenwelt mittelalterlicher Menschen, ob sie in Oberitalien, am umherreisenden Königshof oder in der Universitätsstadt Paris lebten. Auf ideengeschichtlicher Seite wird eine mittelalterliche geographische Vorstellung der Erde präsentiert, nach der das Reich des Priesters Johannes wie der Garten Eden nach einem langen Weg durch immer exotischer werdende Länder zu erreichen ist. Einziges Manko des Buches ist, dass die immer phantastischeren Schilderungen - trotz oder wegen ihrer wilden Kapriolen - zu viel Raum einnehmen.

Als weiteres Angebot an die Leserin und den Leser steht Baudolino als Detektivroman bereit, in dem aufgeklärt wird, wer Motiv und Gelegenheit hatte, Friedrich Barbarossa in einem locked room zu ermorden. Getreu der Gattungstradition steigt Eco in das intertextuelle Spiel ein, wenn er formuliert: »Die menschliche Tollheit hat, angefangen mit Kain, die schlimmsten Verbrechen ersonnen, aber kein menschliches Hirn war je so verdreht, sich einen Mord in einem geschlossenen Raum auszudenken.« Neben begeisterten KrimileserInnen wissen auch AutorInnen wie John Dickson Carr, Dorothy L. Sayers, Maj Sjöwall und Per Wahlöö, dass genau daraus oft beträchtliches Vergnügen folgt.

Egal ob als Detektivgeschichte, historischer Roman, philosophischer Essay oder Einführung in die mittelalterlichen geographischen Vorstellungen gelesen, Baudolino ist als Lektüre auf unterschiedlichsten Anspruchsebenen empfehlenswert.

Umberto Eco: Baudolino. Roman. Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber, Carl Hanser Verlag, München/Wien 2001, 25,46 Euro.