Dschihad in Kolumbien?

Die USA militarisieren ihre Politik gegen Lateinamerika Von Gerd Riesselmann

Der im Zuge des 11. September ausgerufene »Krieg gegen den Terror« richtet sich nicht allein gegen Afghanistan. Dies zeigen nicht nur die Eingriffe der USA in Somalia. Auch in Lateinamerika setzen die USA vermehrt auf militärische Lösungen. Ihr Augenmerk liegt dabei vor allem auf Kolumbien, wo die USA sich bereits vorher in der Aufstandsbekämpfung engagierten.

In Kolumbien und anderen Ländern Lateinamerikas werde eine ähnliche Strategie wie in Afghanistan zum Tragen kommen, verkündete Francis Taylor, Anti-Terrorismus-Koordinator des US-Innenministeriums, am 15. Oktober auf einer Pressekonferenz im Anschluss an eine Sitzung des Interamerikanischen Komitees gegen Terrorismus (CICTE). »Wir werden alle in unserer Macht stehenden Ressourcen und wenn notwendig auch militärische Gewalt anwenden, um ihre Aktivitäten zu stoppen«, so Taylor in Bezug auf die Guerilla und paramilitärische Gruppen in Kolumbien. Verschiedene US-VertreterInnen betonten, dass keine Unterscheidung zwischen Aufständischen und TerroristInnen gemacht werde.

Zuvor waren die beiden Guerillagruppen Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens (FARC) und Nationales Befreiungsheer (ELN) sowie die rechtsextremistische paramilitärische Gruppe Vereinigte Selbstverteidigungsstreitkräfte (AUC) auf die Terrorliste der US-Regierung gesetzt worden. Die FARC und der ELN kämpfen seit Jahren gegen die kolumbianische Regierung und halten Teile des Landes besetzt. Die AUC gehen in Abstimmung mit der kolumbianischen Armee gegen die Guerilla aber auch gegen soziale Bewegungen und die Opposition in Kolumbien vor. Sie sind für die meisten der Menschenrechtsverletzungen sowie für Massaker an der Zivilbevölkerung verantwortlich. Nicht zuletzt durch die Aktivitäten der auch als Todesschwadronen titulierten Paramilitärs hat Kolumbien eine der höchsten Mordraten der Welt.

»Im Unterschied zu den Terroristen in Afghanistan haben die kolumbianischen Gruppen zwar keine direkte globale Reichweite. Doch jede dieser Gruppen übt Terrorismus gegenüber den Kolumbianern aus und schwächt die Fundamente der ältesten Demokratie Lateinamerikas«, so Anne Patterson, US-Botschafterin in Kolumbien. Auch könnten die Taliban möglicherweise ihre Heroin-Geschäfte von Kolumbien aus weiter führen. »Vor Ende des Jahres werden noch weitere zehn Blackhawk-Hubschrauber nach Kolumbien geliefert und Anfang nächsten Jahres weitere 25«, so Patterson. Sie kündigte weitere Finanzhilfen in der Höhe von 882 Millionen Dollar für die Andenstaaten an, davon 440 Millionen für Kolumbien.

Alberto Martinez, Europasprecher der FARC, zeigte sich von den Ankündigungen der USA jedoch unbeeindruckt. »Jedes militärische Eingreifen der Vereinigten Staaten würde die Lage massiv verschärfen«, so Martinez. Vielmehr müssten die sozialen Ursachen des Krieges in Kolumbien beigelegt werden. »Bei allem Verständnis dafür, dass die USA die Täter vom 11. September und ihre Hintermänner zur Verantwortung ziehen wollen, ist die Art und Weise, wie dieses Ereignis mit Kolumbien und Lateinamerika verknüpft und Bedrohungsszenarien konstruiert werden, absolut inakzeptabel«, kritisierte auch die kirchennahe Arbeitsgruppe Schweiz-Kolumbien.

Die USA warfen allen drei nun als terroristisch eingestuften Gruppen vor, »enorme Einnahmen aus dem Drogenhandel« zu erzielen. »Jüngst haben auch die AUC den gleichen Weg eingeschlagen«, so Patterson. Direkt belegt ist die Beteiligung am Drogenhandel jedoch nur bei der AUC, und das auch nicht erst seit kurzem. Ihre Anführer sollen mehr als siebzig Prozent des Exports sowie einen Großteil des Anbaus und der Produktion illegaler Drogen kontrollieren. Der ELN bezieht dagegen ausdrücklich Position gegen Drogenanbau und -handel, während die FARC die Geschäfte der Händler besteuert und den Kleinbauern Verkaufspreise garantiert. Mit Hilfe dieser Einnahmen hat sich die FARC in den vergangenen Jahren in die wohl bestausgerüstete und schlagkräftigste Guerilla verwandelt, die es jemals in Lateinamerika gegeben hat.

Bereits letztes Jahr - noch zur Amtszeit Bill Clintons - hatten die USA mit mehr als einer Milliarde Dollar das größte Finanzhilfepaket in der Geschichte Lateinamerikas an Kolumbien bewilligt. Diese im Zuge des sogenannten Plan Colombia freigemachten Gelder sollten angeblich der Bekämpfung des Kokaanbaus dienen. Dieser hat sich in den letzten Jahren aus den traditionellen Anbauländern Peru und Bolivien nach Kolumbien verlagert. Kolumbien ist damit einer der größten Produzenten der Grundstoffe zur Kokaingewinnung. Verantwortlich für diese Entwicklung waren sowohl die Antidrogen-Operationen in den benachbarten Andenstaaten als auch die schwere, durch die neoliberale Öffnungspolitik hervorgerufene Krise der traditionellen kolumbianischen Landwirtschaft. Der Preisverfall für klassische Agrarprodukte wie Mais und Fleisch lässt KleinbäuerInnen fernab der Großstädte kaum noch eine andere Alternative, als Koka anzubauen.

Von insgesamt 1,3 Milliarden US-Dollar, die Washington für Kolumbien verabschiedet hat, sind allerdings 1,1 Milliarden für Militär, Polizei und Justiz bestimmt. Im Mittelpunkt stehen dabei die Lieferung von mehreren dutzend Huey- und Blackhawk-Kampfhubschraubern, die Entsendung von mehreren hundert US-Militärberatern sowie der Aufbau von Eliteeinheiten der kolumbianischen Armee. Mit diesen so genannten »Anti-Drogen-Bataillonen« entstehen Kampfeinheiten, die zwar offiziell in die kolumbianische Armee integriert sind, de facto jedoch von US-Offizieren mitgeleitet werden.

Der Plan Colombia sieht unter anderem die großflächige Besprühung angeblicher Kokapflanzungen mit Herbiziden vor. Dieses Vorgehen wird sowohl von der Guerilla als auch von Nichtregierungsorganisationen wie der Caritas heftig kritisiert. Auch die Europäische Union und die Nachbarländer Kolumbiens haben sich dagegen ausgesprochen. So verabschiedete das Europäische Parlament im Januar 2001 eine Entschließung, in der es heißt, dass »die Union das Notwendige unternehmen muss, damit die massive Verwendung chemischer Herbizide aufgegeben wird.« Das Parlament will dagegen »Lösungen auf dem Verhandlungs- und Vereinbarungswege, der Agrarreform und Ersatzkulturen« den Vorzug geben. Dieser Beschluss kam allerdings nur auf starken Druck europäischer Nichtregierungsorganisationen zustande und ist für die reale Politik keineswegs bindend.

Betroffen ist durch den massiven Gifteinsatz neben der Umwelt - die bleibende Verseuchung der Amazonasregion mit Chemikalien und die Beschädigung bzw. Zerstörung von mehreren hunderttausend Hektar Regenwald - vor allem die Bevölkerung. Selbst Studien der Regierung in Bogotá, der Hauptstadt Kolumbiens, gehen davon aus, dass infolge der Sprühungen allein im Department Putumayo 200000 Menschen fliehen und weitere 7000 sterben werden. Schon jetzt klagen Familien in den betroffenen Regionen, dass Kleinkinder nach den Einsätzen an Durchfall stürben.

Besonders brisant ist die Tatsache, dass die besprühten Gebiete unter der Herrschaft der FARC stehen und gleichzeitig große Erdölvorkommen bergen. Kolumbien ist nach Venezuela das lateinamerikanische Land mit den größten Erdölreserven. KritikerInnen sehen darin den Hauptgrund für das amerikanische Engagement. Mit den Besprühungen werde für die USA »der Zugang zu den Ressourcen gleich in doppelter Hinsicht erleichtert: sowohl linke Rebellen als auch die renitente Zivilbevölkerung werden aus dem Weg geräumt«, so der Schriftsteller und Journalist Raul Zelik, der selber einige Jahre in Kolumbien verbrachte. Die Vertreibung von Kleinbauern gehöre »offensichtlich zum Kalkül«. Kolumbien sei »auf dem besten Weg zum offenen Bürgerkrieg«, so Zelik weiter. Seit dem Ende der Verhandlungen zwischen der Regierung und dem ELN Anfang August gehen Militäreinheiten gegen die Guerillaorganisationen vor, auch gegen die noch mit der Regierung verhandelnde FARC.