Dipl. Soz.-Päd./Innen (FH)

Der vorletzte linke Student trifft... Von Joe Esteban

Jetzt sind Semesterferien, und der vorletzte linke Student geht ins Volk - auf eine Party von Sozialpädagogik-Studentinnen. Denn, und das weiß der vorletzte linke Student ganz genau, Pädagogik ist ein Mittel zur Emanzipation des Einzelnen und damit der ganzen Gesellschaft. Und ohne Emanzipation kein Sozialismus. Außerdem können Sozialpädagogik-Studentinnen ganz toll Gitarre spielen, ihre Bauchnabel-Piercings zeigen und dazu Bella Ciao singen.

»Nicht mehr quantifizierbar«, entnahm er zwar der neuen Shell-Jugendstudie, seien »die Reste der alternativen Jugend-Milieus der achtziger Jahre«. Aber so ist das eben mit der Wissenschaft und ihrer tatsächlichen Praxis, denkt sich der vorletzte linke Student. Und ihn überkommt dabei ein Gefühl der Wehmut: Opfer der neoliberalen Umstrukturierung der Achtziger- und Neunzigerjahre. »Genau wie ich«, überlegt er.

Dennoch fühlt er sich nicht ganz wohl in seiner Haut. Nicht, weil die eine Sozialpädagogik-Studentin, die mit der braunen Cordhose (und dem vorletzten linken Studenten fällt dabei sofort das nette Mädchen mit den roten Gummistiefeln aus einem Hamburger Kinderladen ein, mit dem er sich immer so gut verstanden hatte), nur über ihren Auftritt als zaubernde Fee beim Ferienprogramm reden will und nicht übers Ficken (daran hat er sich schließlich längst gewöhnt), sondern weil: Vier Klienten der Bella Ciao singenden Sozialpädagogik-Studentinnen sind auch noch da. Vom »Bauspielplatz« am Friedenspark, wo die Sozialpädagogik-Studentinnen das Ferienprogramm für Halbwüchsige betreuen, kommen sie her. »Praktikum« heißt das an der Fachhochschule.

»Meine Freunde«, wie die feuerschluckende Sozialpädagogik-Studentin die vier Burschen nennt, tragen Marihuana-Embleme um den Hals, Tätowierungen am Oberarm, und das Handy liegt auf dem Tisch. Prolls! Denkt sich der vorletzte linke Student. Obwohl, und der vorletzte linke Student spürt das schlechte Gewissen ob seiner bourgeoisen Überheblichkeit: Ohne revolutionäres Subjekt keine Revolution!

»Schweinerei, die wollen unsere Kaserne umbenennen!«, läßt der eine Bursche verlauten. Nach dem Wüstenfuchs heißt sie, ach so. »Generäle der faschistischen deutschen Wehrmacht können keine Vorbilder für unsere jungen Soldaten sein«, wirft der vorletzte linke Student in die Runde. »Bin ich Rudolf Scharping?«, fragt er sich, verdutzt über die eigene Interventionsfähigkeit. Aber egal, der Kollateralschlag saß!

»Eh, tu ma Onkelz rein!«, hört er aus der anderen Ecke. »Sicher findet Ihr gut, dass sich die Jungs von ihrer rechtsextremen Vergangenheit distanziert haben«, versucht der vorletzte linke Student eine Brücke zu bauen. Nö, finden sie gar nicht, und die alten Sachen seien immer noch die besten. »Türkenfotze kahlrasiert« zum Beispiel. Rassistisch?

Derart in die Ecke getrieben, muss der vorletzte linke Student kleinlaut zugeben, noch nie auf dem Schulhof der Gesamtschule Zollstock Opfer der »Türken-Mafia« gewesen zu sein. Sind ihm wichtige und bewusstseinsprägende Sozialisationserfahrungen entgangen, nur weil er wegen des bildungsbürgerlichen Klassendünkels seiner Eltern ein Düsseldorfer Gymnasium besucht hatte? Und: Was sagt die sozialpädagogische Helferinnen-Szene dazu? Kann sie dem vorletzten linken Studenten zu Hilfe eilen und ihn aus den Klauen der faschistischen Bestie befreien?

»Das finde ich ein bisschen frauenfeindlich äh - das mit der Fotze. Aber ich bin auch stolz darauf, Deutsche zu sein!«, erklärt dem überraschten vorletzten linken Studenten eine der Sozialpädagogik-Studentinnen und lächelt dabei scheu wie ein Reh zu ihren Freunden herüber. Ein genau so gutes Verhältnis wie zur Südstadt und ihren (links-liberalen) Eltern wolle sie auch zu Deutschland aufbauen. Das habe sie sich so überlegt.

Jetzt kann sich der vorletzte linke Student nicht mehr mäßigen und bemüht (wer hat uns verraten?) einen Sozialdemokraten: »Ich liebe nicht Deutschland, ich liebe meine Frau.« Unverständliche Blicke. Leider ist der antifaschistische Herr Bundespräsident in sozialpädagogisch »gebildeten« Kreisen kein Begriff.

»Überhaupt trampelt das Ausland immer nur auf uns Deutschen herum. Was haben denn die Amis mit den Indianern gemacht?« Das wohlwollende Nicken seiner pädagogischen Freundinnen ist dem jungen Burschen gewiss.

»Die Freunde von Nazis können nicht unsere Freunde sein«, so hatte es der vorletzte linke Student einst in seiner Antifa-Gruppe gelernt, und das schien ihm eigentlich auch immer moralisch ganz konsequent gewesen zu sein. Er nimmt also seinen ganzen Mut zusammen und erklärt dies einige Tage später auf der Wiese im Römerpark einigen Sozialpädagoginnen. Auweia! Was er bloß für ein übles Menschenbild habe, unterbricht ihn ausgerechnet die Studentin, die ihn neulich noch im »Spielplatz« am Ubierring aufforderte, die Kampagne von amnesty international gegen Landminen zu unterschreiben. Denn: »Freundschaften sind das wichtigste im Leben.« Und nicht die böse, böse Politik! »Wann werden das endlich auch diese ewigen linken Paranoiker begreifen?«, fragt sie verzweifelt in die traute Runde.

Und was ist mit dem Faustschlag auf die Nase des letzten linksradikalen Studenten? Dieser junge Mann, ein Freund des vorletzten linken Studenten, sei ihr sowieso von Anfang an unsympathisch gewesen, erklärt dem vorletzten linken Studenten keck die Gastgeberin. Weil: »Der hat den ganzen Abend so intellektuell dahergeredet«.

Dann macht der vorletzte linke Student einen schweren Kommunikationsfehler, indem er assoziiert: »Ewige Linke«, »Intellektualität«, »Pogrom«. Die sozialpädagogische Gastgeberin ist empört, steht auf und verläßt die Wiese am Römerpark. Dieser Tonfall!

Wenigstens hat der vorletzte linke Student, der sonst gerne undifferenziert die »Antifa-Keule« schwingt, jetzt endlich kapiert, was die konservative junge Dame von der sozialpädagogischen jungen Dame unterscheidet: Die erstere hätte wenigstens - Sekundärtugenden hin, Sekundärtugenden her - soviel konventionellen Anstand gehabt, sich bei dem jungen Mann mit der lädierten Nase zu entschuldigen! Ein weiteres Indiz für den galoppierenden Werteverfall nach 1968, grübelt der vorletzte linke Student.

Ja, Kinder. Bei den Parties unserer BDM-Maiden herrschen eben rauhere Sitten als in harmlosen Kölner Juso-Gruppen. Mußte der vorletzte linke Student auch unbedingt - statt mit den jungen Pädagoginnen zu kuscheln - einen völlig unnötigen Streit über Politik vom Zaun brechen?

Aber sein verkrampftes Verhältnis zur eigenen Nation kriegt der vorletzte linke Student bestimmt wieder hin - dann klappt es auch endlich mit der Freundin von Sozialpädagogik (FH).