Wenn Oma die Hosen an hat

Ein unkonventionelles Portrait einer Generationenbeziehung Von Johanna Böttges

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Wie verarbeitet ein Enkel die zwiespältigen Gefühle gegenüber einer Großmutter, die zugleich liebenswürdige Oma und heimliche Familientyrannin ist? Das allein ist schon schwierig zu bewältigen. Noch schwieriger muss es sein, wenn diese Frau die Hölle des Holocaust erlebt hat. Wie soll er mit der Sprachlosigkeit angesichts des von ihr durchlebten Leides umgehen? Und wie kann ein Enkel trotzdem eine persönliche Haltung finden gegenüber der Großmutter als Mensch mit ihren Vorzügen, Fehlern und Eigenheiten?

Ariel Magnus, der Enkel und Autor, hat sich lange Zeit gelassen mit dieser Auseinandersetzung. Seine Großmutter, eine deutsche Krankenpflegerin und Jüdin, war mit 22 Jahren ihrer blinden Mutter in das Konzentrationslager Theresienstadt gefolgt, um diese nicht allein zu lassen. Später überlebte sie das Vernichtungslager Auschwitz. Nach der Befreiung zog sie nach Brasilien, wo sie bis heute lebt. Dort führte ihr Enkel, der sein Studium in Deutschland verbrachte, ein langes Interview mit seiner Großmutter - ein Gespräch voll widerstrebender Fakten und Gefühle, das beide an die Grenzen ihrer Geduld brachte.

Zwei Jahre und einen nervenaufreibenden Besuch seiner Großmutter in Deutschland lang dauerte es, bis Magnus sich an die Auswertung wagte. Das Ergebnis ist ein schmales, sehr persönlich geschriebenes Buch, das einfühlsam, aber dabei niemals heuchlerisch vom Verhältnis zwischen Enkel und Großmutter erzählt. Darin schildert Magnus die Geduldsprobe, auf die der Berlinbesuch der Großmutter seine Partnerin und ihn stellt. Zehn Tage lang bestimmt die Matriarchin das Leben des jungen Paares. Dabei fordert sie unablässig die volle Aufmerksamkeit ihrer BegleiterInnen. Nicht immer bringt Magnus genügend Verständnis auf, um mit Gleichmut auf die großmütterlichen Zumutungen zu reagieren. Zum Beispiel, wenn sie den Juden selbst die Schuld für ihre Verfolgung zuweist. Aber auch die kleinen Unmöglichkeiten und Widersprüche kosten Nerven: Fernsehgucken hält Oma angeblich für Zeitverschwendung, trotzdem spendiert sie dem Enkel eigens einen Fernseher, nur um nicht zehn Tage lang auf ihre Soaps verzichten zu müssen. Statt ins Museum will sie täglich ins KaDeWe. Und dann ist da dieser unauflösbare Konflikt zwischen der Zuneigung zur deutschen Heimat und dem Abscheu wider sie, den auch Magnus spürt und der beide verbindet.

Zusammen mit Passagen des Interviews kommt eine gezeichnete, aber ungebrochene und stets zuversichtliche Persönlichkeit zum Vorschein: eine Frau, die die Stärke hat, zu vergeben. Es gelingt Magnus, nicht nur die Lebensgeschichte eines Holocaust-Opfers aufzuschreiben, sondern darüber hinaus die Ambivalenzen einer generationenübergreifenden Beziehung offenzulegen. Dabei erscheinen viele Konflikte trotz des Ausnahmeschicksals der Familie nicht fremd. So unvergleichlich das Leben und Leiden der Großmutter ist, so bekannt wirken doch viele Züge dieser Generationenbeziehung, die Magnus mit viel Feinsinn und doch schonungslos ehrlich aufarbeitet.