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You’re welcome und Kummerang: Neue deutsche Lyrik aus dem Kookbooks-Verlag Von André Patten

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You're welcome und Kummerang: Neue deutsche Lyrik aus dem Kookbooks-Verlag

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Wie in vielen Texten junger AutorInnen geht es auch bei Matthias Traxlers Debüt You're welcome in weiten Streck­en um die Frage nach dem Wesen der Poesie. Traxlers Antwort bleibt diffus - und natürlich sollte das in einem Gedichtband nicht anders sein. Aber bedarf es zum x-ten Mal dieser bemüht ästhetischen Sprache? Der Berliner Kookbooks Verlag sagt »Ja« und prägt einen manierierten Lyrikstil, der sich seit Jahrzehnten an der Quadratur des Kreises bemüht, in dem er sich dreht.

Bei Traxlers Debüt handelt es sich, wie der Titel bereits nahelegt, um eine Einladung, diese in der jungen deutschen Lyrik dominierende Sprache kennenzulernen, sie selbst zu ­entdecken, zu erforschen. Und bis auf ein paar vielschichtig klare Formulierungen, wie »Es ist nur eine Aufregung genannt: vor kurzem« im Gedicht [das Heilige unberechnet], heißt das in erster Linie, die Gedichte bei wiederholtem Lesen neu zu erdenken. Wem das schwer fällt, der kann auf den Blog garderobenmarken.wordpress.com zurückgreifen. Dort ergründen junge AutorInnen der Kookbooks-Berlin-Familie, unter ihnen Martina Hefter und Tom Bresemann, gemeinsam Traxlers Texte und dichten diese Gedichte fröhlich weiter. Sie traxeln mit.

Solcher beim ersten Lesen schwer zugänglicher Texte nimmt sich seit 2003 der Berliner Kookbooks-Verlag an. Es sind Texte, die fordern und auffordern. Die LeserInnen sollen nicht bloß mitdenken, sondern neu denken, den vorliegenden Text als Startpunkt für ein eigenes, persönliches Lyrikabenteuer wählen.

Ein für jene dominierende Lyrik-Sprache typischer und weitgehend konventioneller Ansatz ist das Bilden neuer Wörter. Neue Worte werden erst im Kontext zu sinnhaften Begriffen. Isoliert verlieren sich die meisten wieder zu sinnfreien Silbenkombinationen - wie in Dagmara Kraus' Band Kummerang. Leider ist diese typische Über-Ästhetisierung von Lauten und Silben mitunter schwer zugänglich und nicht besonders originell. Ein Beispiel für eine gelungene Wortschöpfung findet sich dagegen im titelgebenden und eindrucksvollen Gedicht »Kummerang«, das vom »Bumerang« Kummer handelt, der in weitem Bogen davonfliegt, bis er in all seiner schmerzhaften Gewissheit wiederkehrt.

Kraus' Sprachspiele sind wie beim Kummer-Bumerang mal sofort einsichtig, mal nur über den Klang und Kontext zu erschließen und leider nur in seltenen Fällen einfach und wunderbar verwirrend. Es ist keine Fantasiesprache, die uns in Gedichten wie »Vermotzling« oder »im blattspelz« begegnet, sondern ein melodisches Silbengewitter, das unbedingt laut gelesen werden sollte. Eine ironisch-witzige Ausnahme bildet die lyrische Kontaktaufnahme »M sucht W«: »bin fährten-, eh- und termingerecht, nie nicht verhärmt und garantiert mottenecht.« Leider gelingt das nicht durchgehend, weshalb die Lektüre nach einiger Zeit ermüdend wirkt.

Wie für Kraus gilt auch für Traxlers Band: Sie können beide, etwa am Aachener Weiher in der Sonne liegend, immer mal wieder in die Hand genommen und wunderbar gelesen, nicht aber an einem Stück verschlungen werden. In dieser Sprache können sich die LeserInnen nicht verlieren, man kann sie nur erkämpfen.

Auch wenn man sich so langsam wieder eine neue Lyrik-Sprache wünscht, näher an den sprachlichen Entwicklungen unserer Zeit, in der kurze, fast-lyrische Texte uns alltäglich in den neuen Kommunikationsformen von Facebook bis Whatsapp begegnen, sollten doch alle ernsthaft Literaturbegeisterten Daniela Seel und ihrem Kookbooks-Team dankbar sein, dass sie sich solch sperriger Texte annehmen, die in den großen Verlagen von MarketingstrategInnen längst weggekürzt wurden. Im Sommer am Rhein oder zwischen den Vorlesungen auf der Uniwiese ein paar Gedichte aus dem Kookbooks-Reservoir zu lesen lohnt sich auf jeden Fall eher, als sich an Denis Scheck und die Spiegel-Bestseller zu ketten.

André Patten

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