Digitale Euphorie

Der Erfolg der jüngsten Proteste in arabischen Ländern wurde oftmals sozialen Netzwerken zugeschrieben. ExpertInnen bezweifeln diese These. Von Anton Schädlich

Es begann alles mit einem Gemüsehändler. Unzählige Male wurde Mohamed Bouazizi von den tunesischen Behörden und der Polizei gedemütigt. Am 17. Dezember vergangenen Jahres zündete er sich selbst an. Heute wird dieser Vorfall als der Anstoß einer Revolutionswelle in der arabischen Welt gefeiert. Dieser hätte sich nur über soziale Netzwerke im Internet verbreiten können, lautete eine gängige These.

Tatsächlich haben sich im Zuge der Proteste in Tunesien viele über das Internet verständigt. Das hat auch die in Deutschland lebende Tunesierin Raya Harrazi erfahren. »Die Leute haben einander zu den Protesten der Revolution eingeladen«, sagt Harrazi, die in Stuttgart studiert. »Das war wirklich sehr schnell und sehr nützlich. Deswegen haben jetzt sehr viele Erwachsene und Eltern ein Facebook-Profil.«

Kurz nach dem Sturz des tunesischen Diktators Ben Ali schmückten dann Begriffe wie »Facebookrevolution« und »Facebookratie« die Titel der Zeitungen. Schon wird die These aufgestellt, dass soziale Netzwerke die demokratischen Bewegungen fördern. Unterstützer findet man allen voran in der US-Regierung. Die US-Außenministerin Hillary Clinton betonte nach der ägyptischen Revolution auf einer Pressekonferenz, dass Staaten die Freiheit im Netz nicht einschränken dürften. Allerdings betonte sie auch, dass eine gewisse Vertraulichkeit gewahrt werden müsse. Eine Forderung an der die Wikileaks-Veröffentlichungen nicht ganz unschuldig gewesen sein dürften. Das findet auch der weißrussische Wissenschaftler, Blogger und Autor Evgeny Morozov. In einem Interview gegenüber der taz weist er darauf hin, dass amerikanische Politiker in diesem Zusammenhang überreagiert und so den hohen moralischen Stand verloren hätten, wer wen kritisieren dürfe.

Außerdem solle der Einfluss der sozialen Netzwerke nicht überschätzt werden. »Die Proteste hätte es trotzdem gegeben. Ob sie so massiv ausgefallen wären, wie sie nun gewesen sind, ist schwer zu sagen«, so Morozov. Der eigentliche Verdienst dieser Plattformen sei, dass die Weltöffentlichkeit teilnehmen konnte.

Doch laut Morozov dürfen auch die Gefahren dieser Medien nicht unterschätzt werden. Nach der gescheiterten »Twitterrevolution« im Iran des Jahres 2009 habe beispielsweise die Regierung eine 'Cyberpolizei' gegründet und im Internet Jagd auf Oppositionelle gemacht. »Bei jeder Revolution gilt: Wenn sie scheitert, kann die Razzia hinterher gravierende Folgen haben«, sagt Morozov. Wenn die Daten der Nutzer im Internet bekannt sind, werde es den Regimen noch ein gutes Stück leichter gemacht. Letztlich entscheidet außerdem die Verfügbarkeit des Internets über den Einfluss von Facebook und Co. Das erkannte auch die ägyptische Regierung und schaltete zeitweise die gesamten Kommunikationsmittel im Land ab. Dann hilft nur noch die gute alte Mund-zu-Mund-Propaganda.