Bildungsstreik im dritten Semester

270.000 Menschen gingen im Rahmen des Bildungsstreiks vor einem Jahr auf die Straße. Studierende bezweifeln, dass Politik und Hochschulen die notwendigen Umwälzungen tatsächlich angehen. Von Hanna-Lisa Hauge

Zu Anfang des Sommersemesters ist es ruhiger geworden an den deutschen Unis. In den ehemals besetzten Aulen finden regulär Vorlesungen statt und die Uni-Fassaden sind längst nicht mehr mit Transparenten behängt. Doch die Ruhe täuscht darüber hinweg, dass die Forderungen der Studierenden in der Politik inzwischen angekommen sind.

Im Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen war Bildung - anders als bei vergangenen Wahlen - das Thema Nummer eins. Hannelore Kraft (SPD) und Jürgen Rüttgers (CDU) lieferten sich zu genau den Fragen erbitterte Kämpfe, die die Proteste zum Thema hatten: die Abschaffung der Studiengebühren und die Reform des dreigliedrigen Schulsystems. Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen sprachen sich im Wahlkampf für eine sofortige Abschaffung der Gebühren aus. Die SPD kündigte an, bei einem Sieg die Studiengebühren schrittweise bis Ende 2012 abzuschaffen. StudierendenvertreterInnen begrüßen dieses Vorhaben, kritisieren jedoch, dass die NRW-SPD dafür keinen konkreten Finanzierungsplan aufgestellt habe. »Wir werden die neu gewählten Parlamentarier und Parlamentarierinnen durch die Fortsetzung der Proteste an ihre gemeinsame Verantwortung erinnern«, kündigt Alexander Lang an, Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Studiengebühren.

An den Hochschulen wird derweil mit minimalen Maßnahmen, wie der Lockerung der Anwesenheitspflicht, an den neuen Studiengängen herumgedoktert. »Wir haben die Fakultäten dazu aufgefordert, dass sie nicht mehr so viele Leistungen abfragen oder andere Formen der Leistungsüberprüfung wählen, wie zum Beispiel Essays oder Hausarbeiten«, sagt der Kölner Uni-Pressesprecher Patrick Honecker. Auch hätte das Rektorat die Fakultäten angeregt, die Anwesenheitspflicht zu reduzieren. Zudem wurden im letzten Semester einige Bachelorstudiengänge an der Uni exemplarisch evaluiert, indem Fragebögen an DozentInnen und Studierende verteilt wurden. Die Ergebnisse werden nun ausgewertet. Es ist jedoch unklar, ob und welche Folgen diese Auswertung haben wird. Peter Hacke, Studierendenvertreter in der Engeren Fakultät der Philosophischen Fakultät betrachtet diese Evaluation dennoch als einen Beleg, dass der Bildungsstreik auch in Köln etwas bewirkt hat. »Vielleicht hätte das Rektorat auch irgendwann alleine so etwas in Gang gesetzt«, sagt er. »Aber dass es zu diesem Zeitpunkt und mit dieser Energie betrieben wird, liegt in meinen Augen am Bildungsstreik.«

Auch für die Bundespolitik hatten die Proteste Auswirkungen. So lud die Bundesministerin für Bildung und Forschung Annette Schavan als Reaktion auf die Bildungsproteste zu einer groß angekündigten »Nationalen Bologna-Konferenz« am 17. Mai ein. Im Vorfeld hatte sie zwar betont, dass auch StudierendenvertreterInnen daran beteiligt werden sollten. Tatsächlich wurde aber schon vor der Konferenz deutlich, dass eine Diskussion auf Augenhöhe nicht zu erwarten war. »Was zunächst nach einem Erfolg aussah, entwickelt sich nun immer mehr zu einer Show«, meint Lucy Wagner, Studentin an der Humboldt Universität. »Die Forderung, dass 50 Prozent der TeilnehmerInnen des Gipfels Studierende sind, wurde abgelehnt und es wurden stattdessen Vertreter von Audi, VW und Siemens eingeladen.« Dass es die Politik ernst meint, glaubt sie deshalb nicht. »Eine grundlegende Überarbeitung des Bologna-Prozesses scheint nicht in Sicht zu sein.« Im Rahmen eines Gegengipfels mit dem Motto »Schluss mit dem Schavansinn« wollen Berliner Studierende deshalb für eine ernsthafte Diskussion sorgen.