Auf ein Bier und ne Kippe

Die Bude: Fotos von Ruhrpott-Kiosken zeigen den Charme des Potts Von Julia Groth

Es gibt viele schöne Ecken in Deutschland. Das Ruhrgebiet gehört eher nicht dazu. Stillgelegte Zechen, der Untergrund ein Schweizer Käse, an der Oberfläche viele Neonazis, graue Betonbauten und der Fußballverein Rot-Weiß Essen. Dass der Pott als neue Brutstätte von Kunst und Design etabliert werden soll, lässt, wenn man einmal durch die Gelsenkirchener Innenstadt spaziert ist, die Augenbrauen hochschnellen. Die Region hat allerdings ein ureigenes Kulturphänomen, das es viel eher als hippe neue Designwerkstätten verdient hat, gewürdigt zu werden: die Trinkhalle. Auch Kiosk genannt, Büdchen oder Bude. Fast 20000 von ihnen soll es im Ruhrpott geben. Ein Glück, dass sich die Fotografin Brigitte Kraemer in ihrem Bildband Die Bude diesen lange vernachlässigten Kulturorten annimmt. Vor richtigen, urtümlichen Kiosken, die neben dem Ruhrgebiet am ehesten noch in Köln blühen, kultivieren anachronistisch wirkende Gestalten in Trainingsanzügen das Bier trinken und Herumstehen. Dazwischen geben Kinder ihr letztes Taschengeld für Süßigkeiten aus und kaufen alte Damen Heftchen mit Titeln wie Adelsroman. Kioske sind Orte der Begegnung. Das fängt Fotografin Kraemer in ihren Schwarzweiß-Bildern stimmungsvoll ein. Ältere Männer sitzen oder stehen an Tischen, denen man vom bloßen Anblick her zutraut, klebrig zu sein, spielen Karten, trinken Bier und rauchen. Geblümte Sofaüberzüge und eine Fülle an Schnauzbärten erwecken in Schwarzweiß den Eindruck, dass das Leben im Pott irgendwann in den Achtzigerjahren stehengeblieben ist. Nicht einmal die Sonne scheint an der Ruhr oft zu scheinen. Neben Bildern solcher Art, die zwar ihren Charme haben, aber auch dem Ruhrpottklischee vieler Menschen entsprechen dürften, hat Kraemer Kioske fotografiert, die die Kioskkultur an der Ruhr von eher unerwarteten Seiten zeigen. Bilder von einem Schwein mit Halsband, von einem kleinen Jungen im Darth-Vader-Kostüm und einer Trinkhalle, die damit wirbt, »für Mensch und Hund« da zu sein, zeigen, dass das Ruhrgebiet vielseitiger und humorvoller ist als oft gedacht. Kraemers Fotoband nimmt gefangen, und um alle Details ihrer Bilder zu erfassen, braucht es Zeit. Zwei kurze Erklärtexte über Kioskkultur runden das Buch gelungen ab. Wer Sinn für die Schönheit von Trinkhallen hat, aber keinen ganzen Bildband darüber haben möchte, kann auch den Kalender zum Buch erstehen.