Nachts in der Uni für’n guten Zweck?

Dafür und dagegen XII: Hörsäle besetzen - Ja oder Nein? Von Julia Groth, Johanna Böttges

dafür

Wer ist dafür? Dagegen? Wer enthält sich? Ich hebe meinen Arm und stimme mit ab. Ich werde gesehen, gehört und erfahre: Meine Stimme zählt. Wenn ich will und kann, zweimal am Tag, im Plenum, der Versammlung für alle Interessierten, UnterstützerInnen, Unentschlossenen und KritikerInnen des Bildungsstreiks. Das Plenum ist offene, faire und natürlich nicht immer fehlerfreie Diskussionskultur, die mich Demokratie wieder (oder erstmals?) spüren lässt. Wo gibt es Raum dafür?

Es gibt ihn nicht an unserer Universität, ebenso wenig an den meisten anderen. In den vergangenen Wochen haben Studierende und andere sich diesen Raum genommen: Kein Grüppchen versprengter Radikaler, sondern rund 1000 Studierende beschlossen gemeinsam die Besetzung der HumF-Aula. Dort erarbeiten viele von ihnen seitdem Stellungnahmen und Ziele, leisten Pressearbeit, planen Protestaktionen, organisieren Vorträge und Konzerte und werben bei Lehrenden und Mitstudierenden für ihre Anliegen. Die Energie und den Zusammenhalt dafür haben sie zu einem großen Teil aus der Besetzung geschöpft. Die Inanspruchnahme eines Hörsaals durch die Studierenden, denn nichts anderes ist eine Besetzung, hat erst möglich gemacht, an einem gemeinsamen Ort intensiv zu arbeiten. Ein Zerfasern des Protests wäre ohne Besetzung kaum zu vermeiden gewesen, seine Ausweitung ohne Chance. Besetzungen haben also Raum für produktive Arbeit geschaffen, aber auch eine wichtige zweite Funktion erfüllt: Öffentlichkeitswirksamkeit. Eine Demonstration bringt den Bildungsstreik einen Tag lang in die Medien, eine Besetzung mehrere Wochen. Diese Präsenz ist unerlässlich, um die Aufmerksamkeit und letztlich Zustimmung der weiteren Bevölkerung zu gewinnen. Und sie ist der Weg, unsere Stimmen hörbar zu machen.

Johanna Böttges

dagegen

Vor einem vollbesetzten Hörsaal zu stehen und ein Referat zu halten, ist unangenehm. Noch unangenehmer ist, vor einem fast leeren Hörsaal zu stehen und über die Rechte der Studierenden zu sprechen, während draußen 200 wütende Leute stehen, die in diesem Raum eigentlich eine Vorlesung hätten. Diese Situation gibt es seit einigen Jahren leider immer häufiger, wenn Studierende einen Hörsaal besetzen. Früher waren Besetzungen ein fantastisches Mittel, um gegen Missstände an der Uni zu protestieren. Irgendwann werden sie es hoffentlich wieder sein. Zurzeit aber sind sie keine gute Idee, und daran werden auch die erfolgreichen Besetzungen der vergangenen Wochen nichts ändern.

Hörsaalbesetzungen sollen zeigen: Wir sind unzufrieden mit dem, was passiert - und tun jetzt was dagegen. Das funktioniert nicht, wenn, wie in den vergangenen Jahren häufig geschehen, der Kern der BesetzerInnen aus 50 Leuten besteht und sich nur zu Stoßzeiten mehrere hundert Studierende beteiligen. Erstens kann die Unileitung so auf einen Blick erkennen, wie viele Studierende bereit sind, für ihre Interessen zu kämpfen, oder glaubt zumindest, es zu tun. Das macht es ihr leicht, die schweigende Mehrheit zu ignorieren und den Anlass der Besetzung als nichtig abzutun. Zweitens schaffen Hörsaalbesetzungen so eher Streit als Solidarität. Wenn draußen mehr Studierende stehen, als drinnen protestieren, schafft das ein unangenehmes »Wir hier gegen die da«-Gefühl. Dabei sollten sich doch eigentlich die Studierenden gegen die Uni-Leitung zusammenschließen. Hörsäle zu besetzen ist zurzeit meist kein produktiver Protest. Und wird es so lange nicht sein, wie BesetzerInnen von anderen Studierenden zu hören bekommen: »Wir hätten ja gerne mitgemacht, aber unsere Dozentin hat uns nicht frei gegeben und wir brauchen die Credit Points.«

Julia Groth