Krank sein ist verdächtig

Immer mehr Hochschulen verlangen Auskunft über Symptome, wenn Studierende sich für Prüfungen krank schreiben lassen. Einige wehren sich nun gegen den Blick in die Krankenakte. Von Julia Groth

Studierende der Berliner Humboldt-Uni, die kurz vor einer Examensprüfung krank werden, haben ihr Recht auf Privatsphäre verwirkt. Wollen sie den Prüfungsversuch nicht abschreiben, müssen sie ihrem Arzt oder ihrer Ärztin erlauben, dem Prüfungsamt mitzuteilen, woran genau sie erkrankt sind. Nur, wenn die Krankheit bestimmte Einschränkungen wie starke Kopfschmerzen oder Schmerzen beim Sitzen mit sich bringt, dürfen sie die Prüfung später wiederholen. »Das ist datenschutzrechtlich katastrophal«, sagt Tobias Roßmann, Referent für Lehre und Studium im ReferentInnenrat, dessen Funktion der eines Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) entspricht. »Angeordnet hat diese Praktik niemand. Sie verbreitet sich einfach immer weiter über die Fakultäten.«

Vor etwa zwei Jahren begannen die Studiengänge Jura und Medizin mit der Krankenakten-Schnüffelei, Ende vergangenen Jahres zogen andere nach. »Es gab und gibt natürlich Protest, aber das interessiert in der Uni-Verwaltung keine Sau«, ärgert sich Roßmann. Ende des Sommersemesters will der ReferentInnenrat dem Uni-Präsidium eine Unterschriftenliste gegen diese Vorgehensweise vorlegen.

Immer mehr Fakultäten deutscher Hochschulen halten es wie die Humboldt-Uni und verlangen Auskunft über Symptome oder Diagnose einer Krankheit, wenn deswegen eine Examensprüfung verschoben werden soll. Viele weiten diese Forderung bei Bachelor- und Master-Studierenden sogar auf jede einzelne Klausur aus, mit der Begründung, dass bei diesen Studiengängen auch schon Klausurennoten aus dem ersten Semester zur Abschlussnote zählen würden. Für diesen fragwürdigen Umgang mit Daten gibt es sogar eine rechtliche Grundlage: Nach einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von 1996 darf ausschließlich der Prüfungsausschuss entscheiden, ob Studierende gesundheitlich dazu in der Lage sind, geprüft zu werden. Dazu soll ihnen der Arzt oder die Ärztin eine Entscheidungsgrundlage bieten. Ein einfaches Attest, meinen viele Fakultäten, genüge dafür nicht.

Die Studierenden der Uni Kiel haben sich jüngst erfolgreich gegen diesen Eingriff in die Privatsphäre gewehrt. Seit Ende Mai verlangen die Prüfungsämter der Uni nur noch eine ärztliche Unterschrift unter einer vorformulierten Erklärung, die besagt, dass »prüfungsrelevante Krankheitssymptome vorliegen«. Welche das sind, muss nicht mehr angeführt werden. Vorher mussten kranke ExamenskandidatInnen sie fast sechs Jahre lang offen legen, wenn auch nicht an allen Fakultäten. Erst nachdem sich die Forderung, die Symptome anzugeben, im Zuge der Einführung von Bachelor und Master im Wintersemester 2007/2008 auf die ganze Uni ausweitete, häuften sich die Beschwerden beim AStA. »Die Medien haben diese Geschichte aufgegriffen und den AStA um Kommentare gebeten. Die sind natürlich nicht so nett ausgefallen. Danach hat uns die Uni plötzlich zum Gespräch gebeten und im Anschluss das Formular geändert«, sagt die AStA-Referentin für Bachelor und Master Anne Spaller.

An der Uni Köln reicht bisher ein normales ärztliches Attest, um am Tag einer Examensprüfung krank im Bett bleiben zu dürfen. In manchen Fällen, zum Beispiel bei KandidatInnen für das juristische Staatsexamen, fordert das Prüfungsamt das Attest eines Amtsarztes. So soll sichergestellt werden, dass der oder die Betreffende nicht von Hausarzt oder Hausärztin aus Gefälligkeit krank geschrieben wird. Derzeit gibt es keine Anzeichen dafür, dass auch die Uni Köln künftig Symptome und Diagnosen erfahren will.