Schöne neue Welt

Die Science Fiction hat für das laufende Jahrzehnt interessante Entwicklungen vorausgesagt. Eine Beispielsammlung. Von Julia Groth

Wir schreiben das Jahr 2009. Die USA haben einen neuen Präsidenten. Howard Nissen verkörpert für viele die Hoffnung auf ein besseres, gerechteres Amerika. Die ersten Schritte des Demokraten sind tatsächlich vielversprechend: Er zieht unter anderem die US-Truppen aus zahlreichen Kleinkriegen auf der ganzen Welt ab und schickt sie nach Südamerika, um dort die letzten Reste des Regenwalds gegen rabiate Fast Food-Ketten zu verteidigen. Dann aber geht alles schief. Die Truppen müssen hohe Verluste hinnehmen und der Arische Speer, eine Neonazi-Organisation schwuler Männer, droht, das Weiße Haus aus dem Weltraum zu attackieren.

In ihrer Mini-Comicserie Liberty. Ein amerikanischer Traum aus dem Jahr 1990 nehmen Frank Miller und Dave Gibbons einige der tatsächlichen Entwicklungen vorweg. Die USA werden tatsächlich wieder von einem Demokraten regiert, und der hat zumindest darüber nachgedacht, die US-Truppen aus Teilen der Welt abzuziehen. Mit ihrer Version des Jahres 2009 kamen Miller und Gibbons der heutigen Realität teilweise relativ nah. Ginge es nach einigen anderen Science Fiction-Schaffenden, wären die heutigen Zeiten noch viel interessanter. So zeigt Geoff Murphys Film Freejack aus dem Jahr 1992 ein 2009, in dem es möglich ist, das Bewusstsein eines Sterbenden erst in eine Datenbank und dann in den Körper eines anderen Menschen zu übertragen. 2010 - Das Jahr, in dem wir Kontakt aufnahmen von Peter Hyams aus dem Jahr 1984 widmet sich dagegen dem Weltraum. Wie schon in Stanley Kubricks legendärem Vorgängerfilm 2001: Odyssee im Weltraum von 1968 können Menschen hier nicht nur zum Mond, sondern sogar zum Jupiter fliegen. Die Zukunft möglichst wahrscheinlich darzustellen, ist freilich gar nicht das Ziel der meisten Science Fiction-Werke. Um den Unterhaltungswert zu steigern, malen die meisten RegisseurInnen und AutorInnen die kommende Zeit in düsteren Farben. Man kann diesen Filmen und Büchern vielmehr entnehmen, welche Ängste und Hoffnungen die Menschen zu ihrer Entstehungszeit hegten. »Science Fiction war immer abhängig von aktuellen Strömungen und Tendenzen«, erklärt Drehbuchautor und Science Fiction-Experte Thorsten Dewi, der unter anderem für das Drehbuch des Fernsehfilms Lost City Raiders verantwortlich zeichnet. In Werken aus den Dreißiger- und Vierzigerjahren, stellt er fest, dominiert die Begeisterung für den technischen Fortschritt. Das schlug in den Fünfziger- und Sechzigerjahren in die Angst vor einer entfesselten Technik, insbesondere der Atomkraft, um. In den Science Fiction-Werken der Siebzigerjahre ist die Technik vollends zum Feind des Menschen geworden, der ihr ohnmächtig gegenüber steht. In den Achtzigerjahren drohte gar das Ende der Zivilisation, zum Beispiel in Filmen wie Mad Max und Terminator. In den Zukunftsvisionen der Neunzigerjahre hingegen waren virtuelle Realitäten groß in Mode. In Filmen wie Matrix oder Der Rasenmähermann werden die traditionellen Vorstellungen von Realität und Identität aufgelöst. »In den nächsten Jahren werden Themen wie Identität, Erinnerung, Seele und Sterblichkeit Grundlage vieler Filme sein«, prophezeit Dewi. Schön wäre es gewesen, wenn der Schriftsteller Edward Bellamy mit seinem 1887 veröffentlichten Buch Ein Rückblick aus dem Jahre 2000 auf das Jahr 1887 Recht behalten hätte: Dann hätte die Menschheit mittlerweile die Luftverschmutzung in den Griff bekommen, alle Menschen wären gleichberechtigt und das Bildungssystem würde die weniger talentierten Menschen besonders fördern. Das wäre wirklich eine schöne neue Welt.