Das unstete Leben des Hobelhändlers

Sie müssen nicht im Büro sitzen und können auch mal zuhause bleiben, wenn es regnet - reisende HändlerInnen haben viele Freiheiten. Der Beruf stirbt trotzdem allmählich aus. Von Julia Groth

Joachim Dickschat hobelt. Blitzschnell fliegt die Gurke über das Messer im weißen Plastik, Gurkenscheiben glitschen auf die Arbeitsplatte und rutschen noch ein Stückchen weiter, bevor sie liegen bleiben. Ein knappes Dutzend Menschen schaut gebannt zu. »Jeder Koch, der so was mit dem Messer schneiden muss, wird doch neidisch, wenn er sieht, wie schnell das mit unserem Hobel geht«, ruft Dickschat, beugt sich vor und sieht seine ZuschauerInnen eindringlich an.

Zwei Sekunden braucht er, um den Aufsatz des Gemüsehobels zu wechseln, dann rieseln Lauchwürfel neben den blassgrünen Gurkenhügel. »Das kann man auch prima an den Rand vom Teller tun«, sagt er und klingt, als würde er einen geheimen Trick der Sterneköche verraten. »Ich nenn das immer die Tellerbeschmutzung.«

Eine junge Frau, elegant gekleidet, ist offensichtlich beeindruckt und beugt sich zu ihrer Begleiterin hinüber, der Mutter vielleicht: »Komm, ich gönn mir mal so ein Teil.« Joachim Dickschat wischt sich die Finger an seiner Schürze ab und schaut zufrieden. Wieder ein Hobel verkauft, drei Aufsätze und ein Fingerschutz wie immer inklusive, das sind zwanzig Euro für die Kasse. Um die hundert Stück verkauft er an guten Tagen, aber das ist schon lange nicht mehr vorgekommen.

»Früher saß das Geld lockerer«, sagt er und zuckt mit den Schultern. Früher gab es auch mehr Leute wie ihn - HändlerInnen, die mit ihren Waren quer durch Deutschland reisen und sie auf Märkten oder in Fußgängerzonen verkaufen. Mittlerweile hat das Gewerbe ein Nachwuchsproblem. Bei Wind und Wetter draußen zu stehen ist hart, der Verdienst bescheiden. Immer weniger junge Leute wählen diesen Beruf, berichtet der Bundesverband Deutscher Schausteller und Marktkaufleute (BSM). Die reisenden HändlerInnen sterben allmählich aus.

Dickschat macht sich wenig Gedanken darüber, dass er zu einer aussterbenden Art gehört. Seit drei Stunden steht der 41-jährige Kölner schon am Eingang zur Schildergasse, der bekanntesten Einkaufsmeile seiner Heimatstadt. Die Kälte prallt an mehreren Schichten warmer Kleidung ab. Um zehn Uhr hat er den gelb-roten Stand mit den Tischen voller Gemüse, Orangen und Gemüsehobeln aufgebaut.

Ohne seine Schürze sah er noch ein bisschen aus wie ein Türsteher, mit tief hängender Jeans, schwarzer Lederjacke, seiner breiten Nase und den wasserstoffgebleichten Haarspitzen. Industrie-Isolierer hat er eigentlich gelernt, aber nur, weil seine Eltern wollten, dass er etwas Solides in der Hand hat. Mit 21 Jahren stand er trotzdem draußen und pries Quirle an. Seit zwanzig Jahren ist Dickschat nun unterwegs, wie vor ihm auch schon Vater und Mutter. In München verkauft er Senf, in Stuttgart Maultaschenausstecher, in Regensburg Vatikan-Fahnen und T-Shirts mit dem Konterfei des Papstes. Jetzt ist die Zeit für den Gemüsehobel, der läuft um Weihnachten herum besonders gut.

Dickschat hat seine Show genau geplant. Erst kommen die Scheiben, dann die Streifen, dann die Würfel. »Die nehm ich immer gern für Eintöpfe, Pichelsteiner, Minestrone, quer durch den Garten«, erzählt er dem Publikum, immer wieder, zwanzigmal am Tag der gleiche Satz. Rund einen Zentner Obst und Gemüse hobelt er täglich kurz und klein. Möhren, Kartoffeln, Kohlköpfe, Zwiebeln, Gurken, Orangen und Tomaten, alles für dreißig bis fünfzig Euro im Großmarkt gekauft. Abends landet alles im Müll.

Das Leben als reisender Händler ist teuer: Verkaufsware, Zubehör für die Vorführungen, Standmiete, die Kosten für Hotelübernachtungen, die steigenden Spritpreise. Und dann zahlt Dickschat auch noch Miete für seine Kölner Wohnung, die er manchmal wochenlang nicht sieht, und für drei Garagen, in denen er sein Material aufbewahrt. Wie viel er in einem Monat verdienen wird, kann er nie im Voraus sagen. »Manchmal verdiene ich tausend Euro an einem Tag, manchmal gar nichts«, sagt er. »Es ist schwer geworden. Und die Kosten explodieren.«

Kein Wunder, dass immer weniger Menschen dieses unstete Leben auf sich nehmen wollen. 81 Reisegewerbekarten hat die Stadt Köln im Jahr 2008 vergeben, drei Jahre zuvor waren es noch fast doppelt so viele. Die Karten sind nach einigen Verlängerungen unbefristet, müssen also nicht jedes Jahr neu beantragt werden. Wie viele Menschen deutschlandweit eine Reisegewerbekarte haben, lässt sich kaum einschätzen, denn die Karten werden nicht zentral, sondern von den Ordnungsämtern der Städte vergeben. Der BSM geht von etwa 50000 aus, die meisten von ihnen aus Süddeutschland. Die südlichen Bundesländer wie Bayern und Baden-Württemberg haben eine besonders lange Markttradition.

Darauf, sein eigener Chef zu sein, will Dickschat trotz aller Schwierigkeiten nicht verzichten. Es ist inzwischen dunkel geworden in Köln, aber er ist noch voll und ganz bei der Sache. Gerade sind keine KundInnen am Stand. Trotzdem greift er zum Hobel und macht einer weiteren Gurke den Garaus. Ihr Aroma vermischt sich mit dem Geruch nach Kohl. »Jetzt geht's hier noch mal ab«, ruft er, »ich zeig's noch mal, ich schneid noch mal!« Wieder lassen sich PassantInnen anlocken, wieder gehen Hobel über die Theke.

Zwei Stunden später, um sieben Uhr, verkauft Dickschat die letzten drei Hobel für diesen Tag. Etwa fünfzig von ihnen hat er heute verkauft, das macht um die tausend Euro Tagesumsatz - die Kosten noch nicht abgezogen. »Das war ein durchschnittlicher Tag«, stellt er fest und sieht nun doch etwas müde aus. Das lange Stehen zehrt an den Kräften. »Könnte besser sein, aber das könnte es ja immer.« Bald kann Dickschat nach Hause. Eine Familie wartet dort nicht auf ihn. Dickschat hat weder Frau noch Kinder - wenn er einmal in Rente geht, ist niemand da, der sein Geschäft fortführt.