Die Schockstrategie

Wenn der Notstand eines Staates zum Vorteil genutzt wird. Von Marie Madeleine Owoko

Schreckensszenarien wie Kriege und Naturkatastrophen, die zahlreiche Menschenleben kosten, sind an sich schon furchtbar. Glaubt man der Journalistin Naomi Klein, kann aber noch Schlimmeres passieren: »Katastrophen-Kapitalisten« machen sich den Schockzustand der Bevölkerung zunutze, um neoliberale Reformen in einem Land durchzusetzen. Diese Reformen sollen möglichst rasch und plötzlich umgesetzt werden, um gezielt einen weiteren Schock zu bewirken und die gelähmte Bevölkerung gefügiger zu machen. »Schock-Strategie« nennt Klein dieses Vorgehen.

Die Kanadierin ist seit ihrem Erfolgserstling No Logo das Aushängeschild der globalisierungskritischen Bewegung. In ihrem neuen Buch widmet sie sich dem bereits verstorbenen Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Milton Friedman, der dabei nicht gut wegkommt. Sie nennt ihn »Monster« und »Doktor Schock«. Friedman ist für sie geistiger Vater der Schock-Strategie. Nach dem Putsch in Chile oder nach dem 11. September: Überall waren Friedman und seine Schüler zur Stelle, um ihre Vorstellung einer freien Marktwirtschaft durchzusetzen. Diese hat laut Klein drei Ziele: staatliche Einrichtungen privatisieren, Sozialausgaben kürzen und Regierungen ausschalten, die dabei im Weg sind.

Auf mehr als 600 Seiten listet Klein detailliert auf, wie Friedman und seine Anhängerschaft in den vergangenen dreißig Jahren immer wieder Katastrophen genutzt haben, um Regierungen zur Privatisierung, Deregulierung und Liberalisierung zu bewegen. Ein Paradebeispiel ist Chile. Nach dem Putsch durch Augusto Pinochet befand sich das Land im Schockzustand und hatte mit einer hohen Inflationsrate zu kämpfen. Zahlreiche staatliche Unternehmen und das Rentenversicherungssystem wurden infolgedessen privatisiert.

Die Autorin vergleicht diese Vorgehensweise mit Folterexperimenten der CIA aus den Fünfzigerjahren. Der Schockzustand von Menschen nach traumatisierenden Ereignissen kann genutzt werden, um Menschen gefügig zu machen.

Da das Buch vor allem wirtschaftliche Aspekte thematisiert und die Autorin auch häufig fachspezifische Begriffe verwendet, sind gewisse Fachkenntnisse von Vorteil. Aufgrund der sehr detaillierten Schilderung gelingt es ihr aber, die Problematik spannend und zugänglich darzustellen, sodass sie den Aufklärungsanspruch, den sie mit dem Buch erhebt, erfüllen kann.