Gegen Vernunft geimpft

Viele Eltern, die ihre Kinder auf Waldorfschulen schicken, sind Impfkritiker. Das hat in Salzburg zu einer Masernepidemie geführt. Von Carolin Wedekind

In einer Salzburger Waldorfschule war es Anfang April zu einer Masern-Epidemie gekommen. Davon ausgehend erkrankten fast 200 Leute in Österreich und Süddeutschland, die Schule musste vorübergehend geschlossen werden. Die Salzburger Staatsanwaltschaft ermittelt jetzt gegen die Schulleitung. Wegen der vielen innerhalb kürzester Zeit erkrankten SchülerInnen steht die Einrichtung im Verdacht, durch den fahrlässigen Umgang mit Masern zur Verbreitung beigetragen zu haben.

Es ist nicht die erste Masern-Epidemie, die von einer Waldorfschule ausgeht. »Es gibt tatsächlich einen Bezug zwischen anthroposophischer Weltsicht und Masernausbrüchen«, sagt die Sprecherin des Robert-Koch-Instituts (RKI), Susanne Glasmacher. Das RKI ist das Bundesinstitut für Krankheitsüberwachung und -prävention. Waldorfschüler sind häufig nicht geimpft. »Ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, wieso man dieses Risiko eingehen würde«, sagt Glasmacher. »Eltern, die ihre inder nicht gegen Masern impfen lassen, finde ich verantwortungslos.«

Hauptgrund für die unterdurchschnittlichen Impfquoten an Waldorfschulen ist die These der anthroposophischen Medizin, dass das Durchleben der Krankheit eine bereichernde Erfahrung sei. »Bestimmte Krankheiten stellen Ressourcen dar«, erklärt der anthroposophische Arzt Stefan Schmidt-Troschke von der Uni Witten-Herdecke. Eine große schwedische Studie habe beispielsweise gezeigt, dass Waldorfschüler deutlich seltener Allergien haben.

Der Epidemiologe Günter Pfaff vom Stuttgarter Landesgesundheitsamt warnt vor einem leichtsinnigen Umgang mit der Kinderkrankheit. »Bei natürlichem Krankheitsverlauf gibt es zumindest ein geringes Risiko bleibender neurologischer Schäden«, sagt er. Die anthroposophische Position, dass man beim Durchstehen einer Krankheit Erfahrung gewinnt, bejaht er. »Man muss diese Erfahrung aber nicht allen älteren Kindern zumuten.« Ein großes Problem bei Masernerkrankungen ist, dass die frühere Kinderkrankheit in den letzten zwanzig Jahren häufiger bei Erwachsenen und Säuglingen auftritt und dort viel gefährlicher ist. Außerdem betont Pfaff, dass die Krankheit vielleicht in Europa nur selten verheerende Folgen hat, es in Afrika aber etwas häufiger zu Todesfällen kommt. Für Pfaff ein weiteres Argument für die Elimination der heimischen Masern. »Dass Europäische Staaten zu Masern-Exportländern werden, kann einfach nicht sein«, sagt er.

Der anthroposophische Arzt Schmidt-Troschke engagiert sich auch im Verein Ärzte für individuelle Impfentscheidung. »Theoretisch ist das zwar eine private Entscheidung, aber faktisch stehen die Eltern unter einem großen gesellschaftlichen Druck, weil Infektionskrankheiten auch ein soziales Phänomen sind«, sagt er. Schmidt-Troschke betont, dass er nicht generell gegen Impfungen ist. »Aber die Patienten werden einseitig informiert und entmündigt.« Er sieht auch ökonomische Beweggründe hinter den uneingeschränkten Impfempfehlungen der deutschen Behörden. Die Impfkommission sei nicht eindeutig unabhängig von der Pharma-Lobby. »Wegen der enormen Entwicklungskosten fordert die Pharmaindustrie, dass die Impfstoffe empfohlen werden«, so Schmidt-Troschke.

Glasmacher vom RKI ärgert sich sehr über den Vorwurf, dass »die böse Pharmaindustrie« ja nur Geld wolle. »Bei jedem Bäcker ist es okay, dass er Geld verdient, aber bei der Pharmaindustrie anscheinend verwerflich «, sagt sie. Auch von den häufig vorgetragen Argumenten, dass Schutzimpfungen zu mehr Allergien führten und Impfschäden verursachten, hält Glasmacher nichts. »Das sind sehr alte und unwissenschaftliche Behauptungen, die bei genauerer Prüfung nicht haltbar sind.«