Warum ich Pater Pierre getötet habe

Missbrauch verarbeiten Von Julia Groth

Als Olivier Ka neun Jahre alt ist, lernt er Pater Pierre kennen. Pierre ist anders als die anderen Priester, weder alt noch langweilig. Er lacht viel, spielt Gitarre und sogar Oliviers kirchenfeindliche Eltern mögen ihn. Der kleine Olivier ist begeistert vom Pater und fährt freudig mit ihm ins kirchliche Ferienlager. Dort zieht der Priester ihn allen anderen Jungen vor, was Olivier stolz zur Kenntnis nimmt - bis Pater Pierre eines Nachts zu ihm ins Bett kommt und ihn dazu bringt, seinen Penis anzufassen.

Jahre später: Olivier Ka ist erwachsen geworden. Er hat den Missbrauch erst verdrängt, dann mit einigen Leuten darüber gesprochen und ihn als verarbeitet abgehakt. Selbstbetrug, wie er nach und nach einsehen muss. Scham, Selbstverachtung und glühender Hass auf Kirche und Religion überwältigen ihn immer wieder. Ka reagiert darauf, indem er den Missbrauch und andere Erlebnisse aus seiner Kindheit niederschreibt. Sein Freund Alfred verarbeitet das Manuskript später zum Comic.

Kas autobiografischer Comic ist nicht nur spannend, sondern vor allem auch mutig. Sexueller Missbrauch ist zwar ein Thema, über das mittlerweile gesprochen wird, aber meist äußern sich Frauen und Mädchen dazu. Dass Ka sich als erwachsener Mann dazu überwindet, sich als traumatisiertes Opfer zu zeigen und den Missbrauch vor FreundInnen und Verwandten nicht länger herabzuspielen, zeugt von viel Stärke.

Warum ich Pater Pierre getötet habe ist jedoch mehr als die literarische Verarbeitung eines Missbrauchs. Wenn Ka vom Familienleben erzählt, rechnet er zugleich mit seinen streng religiösen Großeltern ab, ebenso mit seinen Hippie-Eltern. Obwohl Ka Grund hätte, seine in Sex-Dingen bigotten, naiven Eltern und ganz besonders Pater Pierre zu hassen, hält er sich damit erstaunlich zurück. Stellenweise gleiten Alfreds ohnehin etwas kritzeligen Bilder zwar in fast expressionistische Fratzen ab, die andeuten, wie Ka zumute gewesen sein muss. Aber Ka dämonisiert niemanden. Am Ende seiner Aufarbeitung steht die Erkenntnis, dass Pater Pierre kein Monster ist, sondern ein Mensch, auch wenn er Kas kindliches Vertrauen kriminell ausgenutzt hat. Und umgebracht wird er auch nur metaphorisch.