Wenn Politik Pop wird

Das Palästinensertuch ist wieder in Mode. Und verliert mit jedem Revival mehr von seiner politischen Bedeutung. Von Julia Groth

Eins der beliebtesten Accessoires in diesem Winter ist weder neu noch ausgefallen. Die Kefije, der Arafat-Teppich, das Palästinensertuch, kurz Pali genannt, hat es nicht nur erneut in die Kleiderschränke, sondern erstmalig auch in die Schaufenster der Modegeschäfte geschafft. Obgleich es nicht das erste Revival des traditionell schwarz- oder rot-weißen, troddelbehangenen Tuchs ist, reißen die Diskussionen darüber nicht ab. Für die einen steht das Pali für Antisemitismus und anderes rechtes Gedankengut, für die anderen beherbergt es immer noch linke Revolutionssymbolik. Und für immer mehr Menschen ist es inzwischen einfach nur schick - und damit nicht das erste Kleidungsstück, das im Mode-Mainstream seine politische Bedeutung verliert. Auch wenn diese beim Palituch verwirrender ist als bei vielen anderen Kleidungsstücken.

Ursprünglich für den schlichten Zweck erfunden, arabische Bauern vor der Sonne zu schützen, setzte es der einflussreiche palästinensische Nationalist Mufti Amin El-Husseini in den Dreißigerjahren mit Gewalt im arabischen Raum durch. El-Husseini, Unterstützer der NationalsozialistInnen, wollte so unter anderem ein Zeichen gegen die jüdische Besiedelung setzen. In den Siebzigerjahren hielt das Pali dann Einzug in Deutschland. An den Hälsen vieler Linker sollte es für den Kampf gegen Unterdrückung stehen - und für die »Befreiung« Palästinas von den Jüdinnen und Juden. »Das Palituch ist die Geschichte einer linksradikalen Verwirrung oder eines Irrtums«, schrieben deshalb die Jungdemokratinnen/Junge Linke Berlin (JD/JL) 2002 in ihrem Flugblatt »Coole Kids tragen kein Palituch«.

Links war das Tuch zu dieser Zeit schon längst nicht mehr. Neonazis hatten in den Neunzigerjahren die Vermummungsqualitäten des Tuchs entdeckt, und auch die antisemitische Bedeutung passte. »Das Palästinensertuch lässt sich nicht mehr eindeutig politisch einordnen«, sagt deshalb Politik- und Sozialwissenschaftler Dieter Rucht vom Wissenschaftszentrum für Sozialforschung in Berlin.

Tragen können es heute eigentlich alle, für irgendetwas werden sie damit schon stehen - wenn auch nicht gerade für Israelfreundschaft. Ruchts Beobachtungen zufolge werfen sich zwar immer noch vor allem Linke die Kefije um, aber sie werden weniger. Die jüngere Generation der Linken, so seine Einschätzung, sei es leid, die abgedroschenen Symbole ihrer Eltern aufzutragen.

Was die FlugblattschreiberInnen von der JD/JL als späten Erfolg ihrer Anti-Pali-Kampagne werten könnten, ist ihnen mittlerweile eher unangenehm. »Wir distanzieren uns heute von diesem Flugblatt«, sagt JD/JL-Mitglied Miriam Bürger. Sie ärgere sich zwar bisweilen über die Gedankenlosigkeit, mit der viele Menschen heute ein Palituch tragen. Aber um auf den politischen Hintergrund des Stoffstücks aufmerksam zu machen, müsse man die politische Diskussion mit seinen TrägerInnen suchen, statt Vorschriften zu machen.

Wer die ursprüngliche politische Bedeutung relativ gut kennen dürfte, sind die Pali-TrägerInnen, deren Eltern oder Großeltern aus dem Nahen Osten kommen. Sie haben das Tuch offenbar noch nicht satt, sondern finden derzeit eher neuen Gefallen daran. Eine Möglichkeit, um eine Zugehörigkeit auszudrücken, schätzt Rucht vom Zentrum für Sozialforschung. »Sie wollen den Islam als kulturelle Haltung zeigen«, sagt er.

Manchen ist das vielleicht suspekt, für Rucht aber kein Problem. »In der Mode sollte grenzenlose Freiheit herrschen«, sagt er. Selbst dann, wenn sich manche Bevölkerungsgruppen von der ursprünglichen politischen Bedeutung des einen oder anderen hippen Accessoires verletzt fühlen.