Bis alles in Scherben fällt

Alltag im Nazi-Terror Von Julia Groth

Wie konnte es so weit kommen? Was für Menschen haben in den Dreißigerjahren die NSDAP gewählt - und warum? Wer diesen Fragen trotz aller Geschichtsbücher hilflos gegenüber steht, der könnte in Lili Hahns Tagebuchaufzeichnungen Antworten finden. Von 1933 bis 1945 hat die junge Journalistin Tagebuch geführt und dokumentiert, wie Einschüchterung, Überwachung und schließlich unmittelbare Lebensgefahr den gewohnten Alltag verdrängten.

Hahns Vater, ein Chefarzt, ist ein kaisertreuer Nationalist, der sich weigert, die Nazis als die Bedrohung zu sehen, die sie sind. Ihre Mutter ist vom Judentum zum Christentum konvertiert und nun fanatische Katholikin - für die NationalsozialistInnen und ihre Rassenideologie aber natürlich immer noch Jüdin. Sie fühlt sich trotzdem unantastbar und sieht in der neuen Regierung sogar viel Gutes. Selbst Hahns in die USA ausgewanderter Bruder lobt einige Einrichtungen der Nazis. Ohne den Rückhalt ihrer Familie muss die junge Frau erleben, wie ihre sozialen Kontakte wegbrechen, weil sie »Halbjüdin« ist. Sie bekommt Berufsverbot und muss sogar für kurze Zeit ins Gefängnis, weil ihre ebenso wie die Mutter konvertierte und streng katholische Schwester sie nach einer unbedachten Äußerung denunziert.

Die schleichenden Veränderungen, die Hahns Freiheit immer mehr einschränken, sind besonders erschreckend, weil viele Menschen sie einfach hinnehmen. Allzu vielen Deutschen kommen die Ideen der Nazis gelegen, sie drücken aus, was viele ohnehin dachten: Die Juden seien raffgierig, die Kommunisten gehörten unschädlich gemacht und Deutschland müsse wieder stark werden. Dass es diese Haltung gab, ist natürlich keine neue Erkenntnis. Lili Hahns Tagebuch zeigt die Feindseligkeiten, die Denunziationen und das alltägliche Elend aber sehr verdichtet und subjektiv.

Bis alles in Scherben fällt ist ein packendes Zeitdokument, das die Ignoranz, Dummheit und Boshaftigkeit des deutschen Bürgertums der damaligen Zeit illustriert. Hahn stilisiert sich in ihrem Tagebuch nicht zur Heldin und man muss ihr durchaus nicht immer zustimmen. Aber ihr wütender Widerstand, ihr Mut und ihre Stärke können nicht anders als beeindrucken. Ein schwacher Trost beim Lesen ist, dass Hahn überlebt hat und nach dem Zweiten Weltkrieg in die USA auswandern konnte.