philtrat: Bücher http://www.philtrat.de/ de http://www.philtrat.de/ philtrat redaktion@philtrat.de (Support philtrat) Mit einem Fragebogen zur perfekten Ehefrau http://www.philtrat.de/articles/2085/ Der Debütroman des in Melbourne lebenden IT – Berater Graeme Simsions erobert die Buchwelt. Tue, 12 Aug 2014 16:38:04 GMT http://www.philtrat.de/articles/2085/ Franziska Kopp Ein Genetikprofessor doziert über das Asperger Syndrom in wissenschaftlich höchster Versiertheit, ohne seine eigene Disposition zu erkennen. Er tappt so ziemlich in jedes soziale Fettnäpfchen, das die menschliche Interaktion zulässt. Der schönsten Frau, die man je gesehen hat, antwortet man auf die Frage, ob man sie attraktiv finde, eher nicht: "Das habe ich noch nicht bedacht". Don Tillmann schon.

Professor Dr. Don Tillmann identifiziert sich als ein völlig normales, jedoch hochintelligentes, strukturiertes und höchst effizient lebendes menschliches Individuum. Der Protagonist hat einen festgelegten Speiseplan für jeden Wochentag, damit er keine Zeit bei der Auswahl eines Gerichtes oder mit unkoordinierten Zubereitungsabläufen während des Kochvorgangs verliert. Er treibt Sport, um seinen Körper in Form zu halten und verbindet dabei die Laufrunde mit dem allwöchentlichen Besuch auf dem Markt, wo er dem Händler schon gar nicht mehr erklären muss, was er kaufen möchte. Der weiß es eh schon. Dons Leben läuft so logisch ab, da bekommt das Wort ALLTAG eine ganz neue Bedeutung. Doch was zur totalen Perfektion noch fehlt,ist eine Ehefrau.

Deswegen startet der Genetikprofessor pragmatisch und mit wissenschaftlichem Eifer das Ehefrauen-Projekt um eine geeignete Partnerin für Tisch und Bett zu finden. Um die Fehlerquote von ungeeigneten Frauen und unökonomischen Dates von Anfang an so gering wie möglich zu halten, plant er, die in Frage kommenden Kandidatinnen mittels eines Fragebogens im Vorhinein auf ihre Kompatibilität zu prüfen. Um sie dann im Anschluss der persönlichen Examinierung zu unterziehen.

Doch wider Erwarten läuft plötzlich alles ganz anders: denn dann kommt Rosie.

Rosie, die so ganz und gar nicht Dons Vorstellungen von einer passenden Ehefrau entspricht, versucht ihren biologischen Vater ausfindig zu machen und benötigt dafür die Genetik-Kenntnisse von Don Tillmann. Das "Vater- Projekt", nimmt seinen Lauf. Mit Rosie weichen jegliche Strukturen aus Dons Leben und sein Terminplan verwandelt sich plötzlich in das ganz normale Chaos namens Leben.

Mit trockenem Humor und viel Situationskomik, die größtenteils der sozialen Inkompetenz des Protagonisten geschuldet ist, erzählt Graeme Simsion wie das Leben des Don Tillmann gehörig auf den Kopf gestellt wird. Was für die Hauptfigur purer Ernst ist, ist für die LeserInnen zum Brüllen komisch.

Man fühlt sich durch den Sprachrhythmus in das ständig ratternde Hirn des Protagonisten versetzt und kann durch die präzise Wortwahl des Autors Dons Innenwelt nachempfinden.

Ein wortgewandter und aberwitziger Sheldon Cooper der Literatur, der ohne lästig zwischengeschaltete Publikumslacher und Werbepausen auskommt und dafür die eigenen Bauchmuskeln anstrengt, Lachfalten fördert und Mundwinkel schmunzeln lässt.

Auch wenn der Verlauf der Geschichte zum Teil recht absehbar ist und den allgemeinen Regeln einer Liebeskomödie auf Umwegen folgt, ist dieser Roman doch originell und eine leichte, freudige Sommerlektüre.

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Kunst auf zweiten Blick http://www.philtrat.de/articles/2083/ In Street Art Cologne stellt Anne Scherer die Kölner Street Art-Szene vor. Tue, 12 Aug 2014 16:35:03 GMT http://www.philtrat.de/articles/2083/ Vera Kleinken Street Art boomt. Immer mehr Menschen sind von ihr fasziniert. Banksy, der britische Künstler, der auf der ganzen Welt illegal Wände mit politischen Statements bemalt, ist schon lange Held von Vielen. Häuserwände werden immer häufiger bunt bemalt. Aber es gibt auch kleinere Kunstwerke, die kaum auffallen, wie zum Beispiel Sticker oder auch Stencils - Graffitis, die mit Schablonen auf Wände gesprüht werden. All das ist auch in Köln zu finden.

Ihre Wurzeln hat die Street Art im Graffiti. Oftmals beginnen Street-Art-KünstlerInnen ihre Karriere in der Graffitiszene und entwickeln sich von da aus weiter. Aber immer noch benutzen Street-Art-KünstlerInnen hauptsächlich Sprühdosen und immer noch ist die Street Art illegal.

2011 und 2013 fand das City Leaks Festival in Köln statt. Es bot KünstlerInnen aus aller Welt eine legale Plattform, riesige Häuserwände zu gestalten. Das Interesse der KölnerInnen am Festival war so groß, dass sogar Fahrrad-Führungen abgesagt werden mussten: Zu viele TeilnehmerInnen hatten den Verkehr in Ehrenfeld blockiert.

Jetzt hat Anne Scherer, die das erste City Leaks Festival kuratiert hat, ein Buch veröffentlicht, indem sie Werke und KünstlerInnen vorstellt: Street Art Cologne. Im Rahmen der Buchveröffentlichung fanden eine erfolgreiche Vernissage in Scherers Galerie "Die Kunstagentin" (Maastrichter Straße 26) statt sowie Führungen durch Kölner Viertel. Das Buch gibt eine informative Einleitung in das Thema Street Art und erklärt die verschiedenen Techniken, die die KünstlerInnen benutzen. Vor allen Dingen aber führt Scherer im Buch mit Hilfe von Straßenkarten, Bildern und Texten durch Köln. Auch wenn kein Vorwissen über Street Art besteht, bereitet das Buch große Freude. Es inspiriert die LeserInnen zur Auseinandersetzung mit dem Thema und lädt zum Spaziergang durch Köln ein. So kann sich jeder selbst ein Bild von dieser vielfältigen Kunst machen, die überall zu entdecken ist.

Lest das Interview mit Anne Scherer hier: http://www.philtrat.de/articles/2084/

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Wenn Oma die Hosen an hat http://www.philtrat.de/articles/2065/ Ein unkonventionelles Portrait einer Generationenbeziehung Wed, 10 Jul 2013 11:26:43 GMT http://www.philtrat.de/articles/2065/ Johanna Böttges Wie verarbeitet ein Enkel die zwiespältigen Gefühle gegenüber einer Großmutter, die zugleich liebenswürdige Oma und heimliche Familientyrannin ist? Das allein ist schon schwierig zu bewältigen. Noch schwieriger muss es sein, wenn diese Frau die Hölle des Holocaust erlebt hat. Wie soll er mit der Sprachlosigkeit angesichts des von ihr durchlebten Leides umgehen? Und wie kann ein Enkel trotzdem eine persönliche Haltung finden gegenüber der Großmutter als Mensch mit ihren Vorzügen, Fehlern und Eigenheiten?

Ariel Magnus, der Enkel und Autor, hat sich lange Zeit gelassen mit dieser Auseinandersetzung. Seine Großmutter, eine deutsche Krankenpflegerin und Jüdin, war mit 22 Jahren ihrer blinden Mutter in das Konzentrationslager Theresienstadt gefolgt, um diese nicht allein zu lassen. Später überlebte sie das Vernichtungslager Auschwitz. Nach der Befreiung zog sie nach Brasilien, wo sie bis heute lebt. Dort führte ihr Enkel, der sein Studium in Deutschland verbrachte, ein langes Interview mit seiner Großmutter - ein Gespräch voll widerstrebender Fakten und Gefühle, das beide an die Grenzen ihrer Geduld brachte.

Zwei Jahre und einen nervenaufreibenden Besuch seiner Großmutter in Deutschland lang dauerte es, bis Magnus sich an die Auswertung wagte. Das Ergebnis ist ein schmales, sehr persönlich geschriebenes Buch, das einfühlsam, aber dabei niemals heuchlerisch vom Verhältnis zwischen Enkel und Großmutter erzählt. Darin schildert Magnus die Geduldsprobe, auf die der Berlinbesuch der Großmutter seine Partnerin und ihn stellt. Zehn Tage lang bestimmt die Matriarchin das Leben des jungen Paares. Dabei fordert sie unablässig die volle Aufmerksamkeit ihrer BegleiterInnen. Nicht immer bringt Magnus genügend Verständnis auf, um mit Gleichmut auf die großmütterlichen Zumutungen zu reagieren. Zum Beispiel, wenn sie den Juden selbst die Schuld für ihre Verfolgung zuweist. Aber auch die kleinen Unmöglichkeiten und Widersprüche kosten Nerven: Fernsehgucken hält Oma angeblich für Zeitverschwendung, trotzdem spendiert sie dem Enkel eigens einen Fernseher, nur um nicht zehn Tage lang auf ihre Soaps verzichten zu müssen. Statt ins Museum will sie täglich ins KaDeWe. Und dann ist da dieser unauflösbare Konflikt zwischen der Zuneigung zur deutschen Heimat und dem Abscheu wider sie, den auch Magnus spürt und der beide verbindet.

Zusammen mit Passagen des Interviews kommt eine gezeichnete, aber ungebrochene und stets zuversichtliche Persönlichkeit zum Vorschein: eine Frau, die die Stärke hat, zu vergeben. Es gelingt Magnus, nicht nur die Lebensgeschichte eines Holocaust-Opfers aufzuschreiben, sondern darüber hinaus die Ambivalenzen einer generationenübergreifenden Beziehung offenzulegen. Dabei erscheinen viele Konflikte trotz des Ausnahmeschicksals der Familie nicht fremd. So unvergleichlich das Leben und Leiden der Großmutter ist, so bekannt wirken doch viele Züge dieser Generationenbeziehung, die Magnus mit viel Feinsinn und doch schonungslos ehrlich aufarbeitet.

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Lola Bensky http://www.philtrat.de/articles/2046/ Worüber unterhält sich eine Musikreporterin mit Jimi Hendrix? Über Lockenwickler, Diäten und den Holocaust. Lola Bensky lebt in den Sixties und ist die Tochter jüdischer Überlebender von Auschwitz. Tue, 13 Nov 2012 19:08:38 GMT http://www.philtrat.de/articles/2046/ Johanna Böttges Worüber unterhält sich eine Musikreporterin mit Jimi Hendrix? Über Lockenwickler, Diäten und den Holocaust. Lola Bensky lebt in den Sixties und ist die Tochter jüdischer Überlebender von Auschwitz. Für ein australisches Rockmagazin interviewt sie die künftigen Stars der Achtundsechziger: Janis Joplin, Mick Jagger und Jim Morrison. Doch in die bunte Flower-Power-Welt mischt sich immer wieder die traumatische Vergangenheit von Lolas Eltern.

Im fast lakonischen Plauderton seziert Lily Bretts Roman (Suhrkamp) die Psyche einer Generation, die den Holocaust nicht erlebt hat und doch mit ihm leben muss.

Auf den ersten Blick wirkt die Handlung fast ein wenig flach. Doch Brett schafft eine fruchtbare Synthese. Die schlichte Sprache und das oberflächliche Milieu der Popstars kontrastieren und verstärken die psychologische Tiefe des Romans. Das zunächst simple Strickmuster aus Vor- und Rückblenden wird zunehmend komplexer. Es macht deutlich: So verwoben Gegenwart und Vergangenheit im Roman sind, so unentrinnbar durchdrungen ist Lolas Leben von der Vergangenheit ihrer Eltern.

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Tahrir und kein Zurück http://www.philtrat.de/articles/2045/ Die Bilder vom Tahrir-Platz in Kairo, von hunderttausenden DemonstrantInnen bevölkert, stehen wie keine anderen für die Revolution in Ägypten. Tue, 13 Nov 2012 19:07:49 GMT http://www.philtrat.de/articles/2045/ Hanna-Lisa Hauge Die Bilder vom Tahrir-Platz in Kairo, von hunderttausenden DemonstrantInnen bevölkert, stehen wie keine anderen für die Revolution in Ägypten. Juliane Schumacher und Gaby Osman lassen in Tahrir und kein Zurück (Unrast) die AktivistInnen, die sich dort organisierten, in weiten Teilen selbst zu Wort kommen. Dazu sprachen sie mit vielen von ihnen, werteten aber auch Blogeinträge und andere Quellen aus. Das Buch stellt keine wissenschaftliche Untersuchung dar, dies war jedoch auch nicht beabsichtigt. Vielmehr geht es darum, die verschiedenen Strömungen innerhalb der Bewegung und den Ablauf der Proteste zu untersuchen.

Das Fazit der AutorInnen fällt nicht gerade hoffnungsvoll aus. Die Jugendbewegung konnte (noch) nicht bis in die Politik durchdringen, die Macht des Militärs ist ungebrochen. Manche AktivistInnen müssen sich immer noch vor dem Geheimdienst fürchten. Eine einmalige Erfahrung vermittelt das Buch jedoch sehr anschaulich: dass die 18 Tage der Revolution auf dem Tahrir-Platz die jungen Leute für immer verändert haben. Viele von ihnen engagieren sich seither politisch in anderen Kontexten.

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O Nacht! Ich nahm schon Flugbenzin http://www.philtrat.de/articles/2043/ In Das brennende Archiv gelingt ein vielseitiges Portrait Thomas Klings Tue, 13 Nov 2012 18:58:19 GMT http://www.philtrat.de/articles/2043/ André Patten O Nacht! Ich nahm schon Flugbenzin …", so beginnt ein großartiges Gedicht des Düsseldorfers Thomas Kling aus dem Gedichtband "Geschmacksverstärker. Gedichte von 1985-1988". Den richtigen Satz zum richtigen Zeitpunkt, das genaue Wort, den Auftakt effektvoll zu gestalten - das wusste Kling stets gut in seinen Texten zu inszenieren, wie der Einstieg in das Gedicht "Ratingen Zettbeh" zeigt.

Thomas Kling verbrachte den Großteil seines Lebens im Rheinland, bevor er 2005 im Alter von 48 Jahren in Dormagen verstarb. Sein eindrucksvolles lyrisches Werk gab seitdem zu mehreren Publikationen Anlass. Dieses Jahr kam eine weitere wichtige hinzu: Für Das brennende Archiv stellten Norbert Wehr und Ute Langansky unveröffentlichte Texte Klings, Skizzen und Fotos sowie zu Lebzeiten entlegen publizierte Gedichte, Essays und Gespräche zusammen - und förderten damit einige literarische Schätze ans Tageslicht!

Neben den Manuskriptseiten zu "Öffentliche Verkehrsmittel" oder "letzter take: bogart" mit den Gelegenheitszeichnungen des Autors finden sich in Das brennende Archiv Postkarten, expressive Fotos von Auftritten Klings, einige Gedichte aus den Achtziger Jahren, Essays sowie private E-Mails, Briefe und sogar die fotokopierten Hände des Autors.

Langansky und Wehr verzichten auf Kommentare und Erläuterungen. Stattdessen lassen sie einzig Kling über seine schriftstellerische Tätigkeit sprechen und bieten den LeserInnen so einen Einblick in den Menschen hinter dem Text.

Das brennende Archiv ist eine wunderbare Einladung, sich (wieder) mit einem der besten deutschen Lyriker­Innen der Achtziger und Neunziger Jahre zu befassen. All jenen, die den Dichter Kling noch nicht kennen, sei empfohlen, sich auf Youtube das eine oder andere Performance-Video des Künstlers anzusehen. Denn Thomas Kling hat seine Gedichte nicht bloß vorgelesen, er hat sie ausdrucksstark inszeniert.

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Syrien von Innen http://www.philtrat.de/articles/2042/ In Brennpunkt Syrien kombiniert eine ehemalige Syrienkorrespondentin Hintergründe des gegenwärtigen Konflikts mit persönlichen Begegnungen und detailreichem Wissen. Ihr Buch ist damit ein wichtiger Beitrag zur Darstellung Syriens. Tue, 13 Nov 2012 18:56:41 GMT http://www.philtrat.de/articles/2042/ Hanna-Lisa Hauge Kristin Helberg hat sieben Jahre als Korrespondentin des NDR in Syrien gelebt. Ihr Wissen über Land und Leute hat sie nun in einem Buch verarbeitet. Es behandelt Themen wie das Zusammenleben der Konfessionen, den Aufstieg des Assad-Clans oder den Konflikt mit Israel um die Golanhöhen. Dabei lässt Helberg im Reportage-Stil viele Szenen mit Interviews einfließen. Durch diese Themenvielfalt ist Brennpunkt Syrien sehr viel mehr als Sekundärliteratur zum gegenwärtigen Konflikt. Zugleich ziehen sich Einschätzungen zur aktuellen Situation durch das ganze Buch. So schlüsselt die Journalistin und Politikwissenschaftlerin beispielweise die verschiedenen Strömungen der Opposition auf oder berichtet, auf welche Art und Weise sich der friedliche zivile Widerstand entwickelt. Da dieser oftmals sehr viel weniger mediale Aufmerksamkeit bekommt als die bewaffneten Rebellinnen und Rebellen, sind dies wertvolle Informationen.

Darüber hinaus weist Helberg auf einige Missstände in der Berichterstattung über Syrien hin. Dazu zählt sie das Misstrauen gegenüber syrischen Quellen. Sie stellt die These auf, dass kein Konflikt dieser Welt bisher so umfassend medial festgehalten worden ist wie der syrische. SyrerInnen dokumentierten von Anfang an mit Videos und Fotos die Gewalttaten des Regimes, die bereits seit mehr als eineinhalb Jahren andauern. Eine Art BürgerInnenjournalismus sei entstanden, der zum Teil ein hohes Maß an Professionalität aufweise. Oftmals hieße es dann jedoch in den deutschen Medien, dass diese Quellen nicht überprüfbar seien und dass man darum nicht wisse, was in Syrien wirklich vor sich gehe. Sie kritisiert diese Haltung, da die meisten Szenen ihrer Ansicht nach nicht gefälscht oder inszeniert werden könnten, zumal so viele Beiträge pro Tag hochgeladen werden.

Ein weiterer Aspekt betrifft die Berichterstattung ausländischer JournalistInnen. So berichtete Helberg bei einem Vortrag in Düsseldorf im September 2012, dass diese entweder mit Erlaubnis des Regimes einreisen oder illegal mit den Rebellinnen und Rebellen das Land betreten müssten. Die einseitige Erfahrung habe in beiden Fällen gravierende Auswirkungen auf die Berichterstattung, was aber kaum offen thematisiert werde.

An anderer Stelle erläutert die Autorin die "schizophrene" Haltung des Westens gegenüber Syrien in der Vergangenheit. Diese habe oftmals einen Einfluss darauf gehabt, welche ihrer Themen in Deutschland gut angekommen seien, je nachdem, ob der Diktator gerade in der Gunst des Westens stand oder nicht. So habe eigentlich niemand genau wissen wollen, dass in Syrien IslamistInnen oder vermeintliche IslamistInnen jahrelang am brutalsten verfolgt wurden und reihenweise in den Gefängnissen verschwanden.

In Zeiten, in denen hiesige JournalistInnen, die nicht einmal ein Wort Arabisch sprechen, zu ExpertInnen erklärt werden, kommt dieses Buch einer wirklichen Syrien-Kennerin gerade recht. Teilweise wirken die Texte jedoch wie schnell herunter geschrieben und kommen beinahe stichwortartig daher. Das mag der Aktualität geschuldet sein, denn das Buch deckt Ereignisse bis zum Sommer 2012 ab.

Das persönliche Engagement, welches aus den Texten herausklingt, mag man der Journalistin nicht ankreiden. Schließlich berichtet sie trotzdem auf eine differenzierte Art und Weise. Befremdlicher wäre es, wenn Helberg angesichts der furchtbaren Gewalt in ihrer zweiten Heimat einen nüchternen Bericht abliefern würde.

Kristin Helberg: Brennpunkt Syrien. Einblick in ein verschlossenes Land, 272 Seiten, Herder Verlag. 9,99 Euro.

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Sie traxeln mit http://www.philtrat.de/articles/2014/ You’re welcome und Kummerang: Neue deutsche Lyrik aus dem Kookbooks-Verlag Tue, 03 Jul 2012 16:19:50 GMT http://www.philtrat.de/articles/2014/ André Patten You're welcome und Kummerang: Neue deutsche Lyrik aus dem Kookbooks-Verlag

Sie traxeln mit

Wie in vielen Texten junger AutorInnen geht es auch bei Matthias Traxlers Debüt You're welcome in weiten Streck­en um die Frage nach dem Wesen der Poesie. Traxlers Antwort bleibt diffus - und natürlich sollte das in einem Gedichtband nicht anders sein. Aber bedarf es zum x-ten Mal dieser bemüht ästhetischen Sprache? Der Berliner Kookbooks Verlag sagt »Ja« und prägt einen manierierten Lyrikstil, der sich seit Jahrzehnten an der Quadratur des Kreises bemüht, in dem er sich dreht.

Bei Traxlers Debüt handelt es sich, wie der Titel bereits nahelegt, um eine Einladung, diese in der jungen deutschen Lyrik dominierende Sprache kennenzulernen, sie selbst zu ­entdecken, zu erforschen. Und bis auf ein paar vielschichtig klare Formulierungen, wie »Es ist nur eine Aufregung genannt: vor kurzem« im Gedicht [das Heilige unberechnet], heißt das in erster Linie, die Gedichte bei wiederholtem Lesen neu zu erdenken. Wem das schwer fällt, der kann auf den Blog garderobenmarken.wordpress.com zurückgreifen. Dort ergründen junge AutorInnen der Kookbooks-Berlin-Familie, unter ihnen Martina Hefter und Tom Bresemann, gemeinsam Traxlers Texte und dichten diese Gedichte fröhlich weiter. Sie traxeln mit.

Solcher beim ersten Lesen schwer zugänglicher Texte nimmt sich seit 2003 der Berliner Kookbooks-Verlag an. Es sind Texte, die fordern und auffordern. Die LeserInnen sollen nicht bloß mitdenken, sondern neu denken, den vorliegenden Text als Startpunkt für ein eigenes, persönliches Lyrikabenteuer wählen.

Ein für jene dominierende Lyrik-Sprache typischer und weitgehend konventioneller Ansatz ist das Bilden neuer Wörter. Neue Worte werden erst im Kontext zu sinnhaften Begriffen. Isoliert verlieren sich die meisten wieder zu sinnfreien Silbenkombinationen - wie in Dagmara Kraus' Band Kummerang. Leider ist diese typische Über-Ästhetisierung von Lauten und Silben mitunter schwer zugänglich und nicht besonders originell. Ein Beispiel für eine gelungene Wortschöpfung findet sich dagegen im titelgebenden und eindrucksvollen Gedicht »Kummerang«, das vom »Bumerang« Kummer handelt, der in weitem Bogen davonfliegt, bis er in all seiner schmerzhaften Gewissheit wiederkehrt.

Kraus' Sprachspiele sind wie beim Kummer-Bumerang mal sofort einsichtig, mal nur über den Klang und Kontext zu erschließen und leider nur in seltenen Fällen einfach und wunderbar verwirrend. Es ist keine Fantasiesprache, die uns in Gedichten wie »Vermotzling« oder »im blattspelz« begegnet, sondern ein melodisches Silbengewitter, das unbedingt laut gelesen werden sollte. Eine ironisch-witzige Ausnahme bildet die lyrische Kontaktaufnahme »M sucht W«: »bin fährten-, eh- und termingerecht, nie nicht verhärmt und garantiert mottenecht.« Leider gelingt das nicht durchgehend, weshalb die Lektüre nach einiger Zeit ermüdend wirkt.

Wie für Kraus gilt auch für Traxlers Band: Sie können beide, etwa am Aachener Weiher in der Sonne liegend, immer mal wieder in die Hand genommen und wunderbar gelesen, nicht aber an einem Stück verschlungen werden. In dieser Sprache können sich die LeserInnen nicht verlieren, man kann sie nur erkämpfen.

Auch wenn man sich so langsam wieder eine neue Lyrik-Sprache wünscht, näher an den sprachlichen Entwicklungen unserer Zeit, in der kurze, fast-lyrische Texte uns alltäglich in den neuen Kommunikationsformen von Facebook bis Whatsapp begegnen, sollten doch alle ernsthaft Literaturbegeisterten Daniela Seel und ihrem Kookbooks-Team dankbar sein, dass sie sich solch sperriger Texte annehmen, die in den großen Verlagen von MarketingstrategInnen längst weggekürzt wurden. Im Sommer am Rhein oder zwischen den Vorlesungen auf der Uniwiese ein paar Gedichte aus dem Kookbooks-Reservoir zu lesen lohnt sich auf jeden Fall eher, als sich an Denis Scheck und die Spiegel-Bestseller zu ketten.

André Patten

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Frau Münchhausen http://www.philtrat.de/articles/2013/ Mit Hoppe entwirft Felicitas Hoppe eine Wunschbiografie Tue, 03 Jul 2012 16:16:21 GMT http://www.philtrat.de/articles/2013/ Laura Reina In ihrem neuesten Werk beschreibt Felicitas Hoppe die Kindheit eines Mädchens, das aus seiner Geburtsstadt Hameln entführt wird und fortan mit dem Entführer-Vater durch die Welt reist. Das Mädchen soll sie selbst gewesen sein.

Hoppe beginnt ihr Buch mit dem Hinweis »Für Familienmitglieder gilt das gesprochene Wort!«. So ist schnell klar, dass Felicitas Hoppes Roman, der durch den einfachen, wie treffenden Titel Hoppe autobiografisch anmutet, keine Biografie ist.

Die Autorin, die in diesem Jahr den Georg-Büchner-Preis erhielt, reimt sich in diesem Roman eine hanebüchene Vergangenheit zusammen, die Kinder wie Erwachsene beeindruckt. Die Protagonistin des Romans wird als passionierte Eishockey-Spielerin ohne sonderlich großes Talent, aber mit viel Herzblut gezeichnet. Das junge Mädchen pflegt eine Leidenschaft fürs Briefeschreiben. Sie schreibt an Personen, die angeblich ihre Familie in Deutschland sein sollen. Die Sehnsucht nach einer (anderen) großen Familie spiegelt sich in der Liebe zur Familie ihres prominenten Eishockey-Kollegen Wayne Gretzky wider.

Durch die korrigierenden Kommentare einer Erzählinstanz, die sich hinter dem Kürzel fh versteckt, wird die Illusion erweckt, es gebe tatsächlich eine Person, welche als ZeitzeugIn die Geschichten ergänzen und richtig zu stellen vermag. Passagen wie: »Zurück vom Hoppetext zu den Fakten« zaubern beim Lesen immer wieder ein Schmunzeln auf die Lippen. Auch die interviewten Personen im Roman, die die junge Hoppe charakterisieren sollen, sind klug in Szene gesetzt. Es ist erstaunlich wie die Autorin das Genre der Autobiografie nutzt, verzerrt und den LeserInnen auf energische Art aufzeigt, dass geschriebenes Wort nicht immer auch gleich Wahrheit beschreibt. Die Phantasie der Autorin ist beeindruckend. Das Spiel mit Genreerwartungen ebenfalls. An vielen Stellen referiert Felicitas Hoppe auf ihre KritikerInnen und nutzt den Roman als schlagfertige Antwort auf das Feuilleton.

Als Lügengeschichte ist Hoppe ganz ausgezeichnet, als Neukonzeption des Genres Biografie amüsant, aber vielleicht doch etwas langatmig.

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Über Wachen und Schlafen http://www.philtrat.de/articles/2011/ Ein Manifest des »systemrelevanten Humors« stellen die fünf Autoren der Lesebühne »Lesedüne« in ihrem Buch Über Wachen und Schlafen (Volant & Quist) vor. Tue, 03 Jul 2012 16:12:51 GMT http://www.philtrat.de/articles/2011/ Anna Pavani Ein Manifest des »systemrelevanten Humors« stellen die fünf Autoren der Lesebühne »Lesedüne« in ihrem Buch Über Wachen und Schlafen (Volant & Quist) vor. Es ist die Spannbreite, die in dieser Anthologie beeindruckt: Außergewöhnliche Briefwechsel, spöttische Kurzgeschichten, ungewöhnliche Interviews und Gedichte, grafische Spiele, durchbohrende kurze Theaterstücke zwingen geradezu zum Weiterblättern.

Mit Humor und kritischem Scharfsinn behandeln die Autoren verschiedene politische und soziale Aspekte unserer Gegenwart. Wie auf der Bühne sind sie dabei nie vorhersehbar und nie selbstverständlich. Ihr »post-post-ironisches Drama der Absurditäten« spielt mit den Wörtern und erzeugt dabei eine durchdringende Gesellschaftskritik. In der beigefügten CD sind die Autoren auch live zu hören: Einfach großartig, was da für eine kreative Energie ausströmt! Den Mythen des heutigen Alltags können die fünf Autoren nur mit einem ketzerischen Lächeln begegnen. Das gilt auch für sie selbst. Foucault hätte sich beim Lesen sicher gefreut.

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London fürs Handgepäck http://www.philtrat.de/articles/1999/ Wer sich fragt, wie die großen SchriftstellerInnen der letzten zwei Jahrhunderte eine Großstadt wie London wahrgenommen haben, ist mit dem Kulturkompass London fürs Handgepäck (Unionsverlag) gut beraten. Tue, 27 Mar 2012 10:20:54 GMT http://www.philtrat.de/articles/1999/ Laura Reina Wer sich fragt, wie die großen SchriftstellerInnen der letzten zwei Jahrhunderte eine Großstadt wie London wahrgenommen haben, ist mit dem Kulturkompass London fürs Handgepäck (Unionsverlag) gut beraten. Holger Ehling hat eine bunte Auswahl von Texten berühmter britischer und ausländischer SchriftstellerInnen und PolitikerInnen zusammengestellt, die Englands Hauptstadt von allen Seiten beleuchten. Adrian Bailey bietet eine Pub-Tour für jene, die sich nicht vom neuen Chic einiger Pubs täuschen lassen und authentische Pubs bevorzugen.

Michael Frayne führt vor Augen, was die in England seit dem 17. Jahrhundert bestehende Pressefreiheit für die Entwicklung der Printmedien bedeutete, die ihr Zentrum in der Fleetstreet hatten. Die Fussballkultur erklärt Nick Hornby, der Anhänger eines nicht so erfolgreichen Londoner Clubs ist. Auch Fontane und Heine kommen zu Wort und berichten staunend über Urbanisierung und Industrialisierung, die in der Heimat noch nicht in diesem Maße voran geschritten war. Diese Textsammlung macht Lust auf einen Trip nach England zum historischen Sightseeing.

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Horrorjobs http://www.philtrat.de/articles/1998/ Das Buch entstand aus einer Kolumne für ein Berliner Magazin: Tobias Kurfer hat sich in die vermeintlichen Nieder­ungen der Arbeitswelt begeben und überhaupt nicht witzige Dinge erlebt - auch wenn er das zu glauben scheint. Tue, 27 Mar 2012 10:19:57 GMT http://www.philtrat.de/articles/1998/ C. Wienen Das Buch entstand aus einer Kolumne für ein Berliner Magazin: Tobias Kurfer hat sich in die vermeintlichen Nieder­ungen der Arbeitswelt begeben und überhaupt nicht witzige Dinge erlebt - auch wenn er das zu glauben scheint. Das Buch Horrorjobs - Wie ich mich probehalber ausbeuten ließ (Fischer) ist der Leidensbericht zu einigen Probearbeitstagen.

Was Kurfer über die Arbeit der MuseumswächterInnen, DogwalkerInnen oder KinderanimateurInnen berichtet ist meist nur ein erster Eindruck und selten überraschend. Einzig die Menschen, denen er begegnet, können das Interesse der LeserInnen wecken. Ein paar gute Gags werden vom ständigen Jammern und von einigen abschätzigen Bemerkungen überlagert. Kurfer ist sich auch eigentlich zu schade für all das und macht es nur, um endlich ein Kolumnist zu sein. Die verdrehte Logik scheint er nicht zu bemerken. Am Ende erleichtert er die LeserInnen mit dem Versprechen, dass er nie wieder solche Jobs machen wird. Wenn er weiter so schlechte Bücher schreibt, sollte man sich da nicht sicher sein.

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Hamas mal anders http://www.philtrat.de/articles/1997/ Hamas - Die islamische Bewegung in Palästina räumt mit dem gängigen Bild der Hamas auf Tue, 27 Mar 2012 10:18:37 GMT http://www.philtrat.de/articles/1997/ Hanna-Lisa Hauge Über die Hamas wird viel geschrieben. So behaupten die Schreiber­Innen des passenden Wikipedia-Artikels, dass die Hamas in Palästina einen islamischen Staat errichten und den israelischen Staat beseitigen will. Khaled Hroub, der am Zentrum für Islamstudien der Uni Cambridge lehrt, möchte dem verzerrten Bild, welches in Bezug auf die Hamas vorherrscht, entgegenwirken. Er betont, dass die Hamas durchaus andere Seiten hat als die einer »Terrororganisation« und dass sie sich besonders seit ihrem Sieg in den demokratischen Wahlen zur Nationalbehörde Palästinas 2006 verändert hat. Mit dieser Position steht er weitgehend alleine: die meisten Regierungen erkennen diese Entwicklung noch nicht an. Um diese immer wichtiger werdende und sich wandelnde Organisation realistisch einschätzen zu können, ist es wichtig, aktuelle Entwicklungen zu berücksichtigen. Ein zentraler Ansatzpunkt der Analyse des Autors ist es, sich nicht nur auf die schriftlichen Dokumente der Organisationen zu verlassen, sondern auch die Handlungen der Hamas als politischer Akteurin zu untersuchen. Der Aufbau nach einem Frage-Antwort-Schema macht dabei das komplexe Thema zugänglich.

Hroub stellt fest, dass beispielsweise das angebliche Ziel der Hamas, einen islamischen Staat zu schaffen, nur in den frühen Schriften auftaucht und in seiner Bedeutung für die heutige Politik überschätzt wird. Das Ziel Israel zu vernichten, wie es der Hamas zumeist unterstellt wird - so auch in allen deutschsprachigen Wikipedia-Artikeln zum Zeitpunkt der Verfassung dieses Texts -, sei niemals öffentlich propagiert worden. Ebenso drücke die Hamas-Charta, welche vielen JournalistInnen und anderen, die über die Hamas sprechen, sehr oft als Grundlage der Charakterisierung dient, nicht die gegenwärtige Zielsetzung der Hamas aus. Diese sei viel pragmatischer ausgerichtet, als es den Anschein hat.

Die jahrelange Beschäftigung des Autors mit der Hamas macht das Buch sehr informativ. Gerade weil das Thema eine solche politische Sprengkraft besitzt, wäre es jedoch wünschenswert gewesen zu Lasten der Lesbarkeit durchgehend die Quellen in Fußnoten anzugeben.

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Tot im Totenmaar http://www.philtrat.de/articles/1996/ Im Eifel-Krimi Müllers Morde darf auch der Mörder erzählen Tue, 27 Mar 2012 10:16:41 GMT http://www.philtrat.de/articles/1996/ Laura Reina Es ist die pure Ironie: Der Umweltmanager eines Kölner Energieunternehmens stirbt an einer CO2- Vergiftung im Totenmaar in der Eifel. Die Polizei hält den Tod für einen Unfall. Der Liebhaber des Toten aber vermutet einen Mord und widmet sich fortan der Aufklärung. Die Ermittlungsarbeit legt er in die Hände des mehr oder weniger befreundeten Geschichtsprofessors Richard Romanoff. Dieser spürt normalerweise nur Kunstgegenstände für KundInnen auf, um sein Konto aufzubessern.

Interessant ist, dass in Müllers Morde abwechselnd der Mörder selbst sowie der ermittelnde Romanoff als Erzähler auftreten. Monika Geier, die ihre Krimis bislang in der Pfalz spielen ließ, liefert ein weiteres Mal ein wunderbar leicht und mit viel Witz geschriebenes Werk, das durch seine vielseitigen Charaktere und zahlreiche Wendungen fesselt. Die Handlung mutet zwischenzeitlich fast kafkaesk an, als der Mörder Müller versucht aus seinem missglückten Auftrag lebend herauszukommen, ohne zu wissen gegen welche Gegner er kämpft und für wen er überhaupt gearbeitet hat. Manchmal wünscht man ihm schon fast, dass dies gelingt. Im nächsten Moment schockiert der äußerst intelligente Mann allerdings wieder durch seine Kaltblütigkeit.

Es macht Spaß, dem Amateurdetektiv Romanoff dabei zu zusehen wie er versucht, Müller das Handwerk zu legen. Da sich alle Personen mit dem Energiekonzern in Verbindung bringen lassen, vermuten die LeserInnen schon den Grund für den Mord, aber die Autorin wartet da noch mit einer raffinierten Wendung auf. Das Buch ist nur schwer aus der Hand zu legen. Gut recherchiert, clever geschrieben und amüsant verpackt.

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Paradies zu verkaufen http://www.philtrat.de/articles/1995/ In Traumland zeigt sich Island von seiner Aluminiumseite Tue, 27 Mar 2012 10:15:30 GMT http://www.philtrat.de/articles/1995/ Sebastian Grote Die IsländerInnen gehören zu den glücklichsten und wohlhabendsten Menschen der Welt. Dennoch leiden viele PolitikerInnen seit Generationen an einem Minderwertigkeitskomplex. Zu lange musste ihr Volk in grasbedeckten Hütten wohnen und vom Fischfang leben. Die USA, die im Kalten Krieg eine Militärbasis auf Island errichten wollten, kamen ihnen deshalb gelegen. Sie brachten Arbeitsplätze und Fernsehgeräte. Dass ihre Insel dabei ein potentielles Ziel für russische Atombomben wurde, nahmen sie als Opfer für den Fortschritt hin. Bloß keine grasbedeckten Hütten mehr! Nun ist der Kalte Krieg vorbei, die AmerikanerInnen sind nach Hause gegangen und der Wohlstand muss erneut gerettet werden.

Dieses Mal ist es die Aluminiumindustrie, die mit günstigen Energiepreisen ins Land gelockt werden soll. Island ist nicht allein ein Paradies für Touristen, die sich an seiner gewaltigen Landschaft erfreuen. Die aktiven Vulkane, Geysire und reißenden Ströme stehen auch für 30 Terawattstunden, von denen die Isländer nur einen Bruchteil benötigen. 30 Terawattstunden, die zur Produktion von Alufolie und Bierdosen dienen sollen. »Grüne Energie«, die aber nur durch eine kaum vorstellbare Naturzerstörung erschlossen werden kann.

Andri Snær Magnason rechnet in Traumland mit der isländischen Regierung ab, die den Ausverkauf des Landes an die Schwerindustrie propagiert. Durch gut recherchierte Fakten überzeugt er die LeserInnen von dem Größenwahn der VisionärInnen. Mit mitreißenden Worten kämpft er für den Erhalt der isländischen Natur. Magnason belässt es allerdings nicht bei der Ökokritik. So betont er auch die Gefahr, sich von einem einzigen Wirtschaftszweig abhängig zu machen. Spätestens hier gelingt ihm dann auch der Blick über seine Insel hinaus. Island ist nämlich bei Weitem nicht das einzige bedrohte Traumland der Welt.

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Wenn Jesus mit Jimi Hendrix kifft und in einer Rockband spielt http://www.philtrat.de/articles/1979/ In Gott bewahre zeigt Gott sein hässliches Gesicht Thu, 20 Oct 2011 20:16:23 GMT http://www.philtrat.de/articles/1979/ Fatima Khan Gott ist wütend. Nur einmal kehrt er der Welt den Rücken zu, um sich vier Tage Angelurlaub zu gönnen - wohlbemerkt entsprechen vier Tage im Himmel 400 Jahre auf der Erde - und kann nicht fassen, dass sich die Welt in dieser Zeit in einen Sündenpfuhl verwandelt hat: Kriege, Naturkatastrophen, Kommerz.

Der Schuldige ist schnell gefunden: Jesus, genannt JC, verbringt seine Zeit damit kiffend Gitarre mit Jimi Hendrix zu spielen, anstatt sich um die sich zerfleischenden Erdenbewohner zu kümmern. Die Konsequenz: Jesus soll nochmal auf die Erde, um die Menschheit zum Guten zu bekehren und sie an das einzig wahre Gebot von Gott zu erinnern: »Seid lieb!«. Moses war nämlich ein Egoplayer, der die zehn Gebote nur erfunden hat, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Zunächst versucht Jesus als Gitarrist in einer erfolgslosen Rockband die Menschen in New York zu erreichen. Er schart jedoch nur gescheiterte Ex-istenzen um sich -Obdachlose, Alkoholiker und Prostitutierte. Als nächstes versucht er sein Glück in einer landesweiten amerikanischen Castingshow.

In Gott bewahre zeichnet John Niven eine Religions- und Gesellschaftskritik, die es in sich hat: Er präsentiert ein Bild von Gott, seinem heiligen Sohn und dem Jenseits, dass an überschäumender Phantasie nicht zu überbieten ist und jedem Gläubigen das Blut in den Adern gefrieren läßt: Gott kifft, trinkt, liebt Schwarze und Homosexuelle und zitiert Monthy Python. Und Gott flucht, ziemlich viel sogar.

Jesus, JC und die heutige amerikanische Welt werden sehr überzeichnet dargestellt, aber im Kern auch wieder treffend. Die angesprochenen Problempunkte - Umweltsünden, Kriege, moralischer Verfall, kirchliche Hassprediger und skrupellose Kommerzialisierung - sind durchaus nachvollziehbar. Die unflätige Sprache und die platte Jenseitsdarstellung hätte sich John Niven allerdings sparen können.

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Ich bin dann mal gründen http://www.philtrat.de/articles/1977/ Der Ratgeber Die Ideenmacher hilft auch GeisteswissenschaftlerInnen in die Selbstständigkeit Thu, 20 Oct 2011 20:14:51 GMT http://www.philtrat.de/articles/1977/ Laura Reina Die Berufswahl ist für viele Studierende nicht leicht. Die meisten geisteswissenschaftlichen Studiengänge bereiten nicht direkt auf die berufliche Praxis außerhalb des wissenschaftlichen Unibetriebs vor, sodass ein Quereinstieg für GeisteswissenschaftlerInnen die Regel ist. In einer Zeit, in der Jobs im kreativen und kulturellen Bereich generell rar gesät sind, werden viele Studierende nach dem oder auch schon während des Studiums selbstständig. So präsentieren auch Andrea Rohrberg und Alexander Schug in ihrem Ratgeber Die Ideenmacher- Lustvolles Gründen in der Kultur- und Kreativwirtschaft den Weg in die Selbstständigkeit als Ausweg aus dem schwierigen Arbeitsmarkt für GeisteswissenschaftlerInnen und kreative Köpfe aller Art. Rohrberg und Schug erläutern, wie Selbstständigkeit strukturiert angegangen werden kann, um einen möglichst komplikationsfreien Berufsweg zu ebnen. Die AutorInnen sind selbst FreiberuflerInnen und können ihre eigenen Erfahrungen hilfreich vermitteln. So entsteht eine leserInnenfreundliche Gestaltung, die den Ratgeber übersichtlich und attraktiv macht.

Abschließend liefert eine umfassende Lektüreliste weitere Infos. Auch wenn der Ratgeber nicht alles aufzeigen kann, was für eine erfolgreiche Selbstständigkeit notwendig ist und einige Hinweise überflüssig sind, bietet der Praxis-Guide Interessierten eine Grundlage von der Entwicklung einer Idee bis hin zur ersten Buchhaltung der eigenen Firma.

In dem etwas pathetisch geratenen Epilog steckt der neben dem beruflichen Know-How relevanteste Hinweis der AutorInnen: Auch aus einem gescheiterten Projekt kann man lernen und auch Aufgeben ist erlaubt. Wichtig ist vor allem, dass man es versucht hat.

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Kein Bock auf Sarrazin http://www.philtrat.de/articles/1975/ Im Manifest der Vielen sprechen deutsche Intellektuelle mit Migrationshintergrund Klartext. Thu, 20 Oct 2011 20:13:28 GMT http://www.philtrat.de/articles/1975/ Johanna Böttges Integrations-Debatte, Islam-Diskussion, Sarrazin-Debakel: Die öffentliche Debatte darüber, wie Zugewanderte und ihre Nachkommen ihr Leben in Deutschland leben und zu leben haben, erreichte 2010 einen traurigen Höhepunkt. »Deutschland schafft sich ab«, postulierte Thilo Sarrazin und erwarb mit seinem populistischen Schreckensszenario Sympathien an den Stammtischen derer, die immer noch glauben, per Genealogie die Definitionshoheit darüber zu besitzen, was »Deutschsein« bedeutet. Zu einem Manifest der Vielen hat jetzt die Journalistin Hilal Sezgin die Stimmen derjenigen MitbürgerInnen versammelt, die manche der Diskutierenden allenfalls als »Ausnahmen« gelten lassen wollen: Angehörige einer deutschen intellektuellen Mittelschicht mit Migrationshintergrund, denen diese Zugehörigkeit zunehmend aberkannt wird. Die 29 kurzen Stücke analysieren, warnen, klagen an. Ihre Perspektive ist teils wissenschaftlich, teils persönlich.

Die Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus etwa identifiziert eine Verschiebung im Diskurs. Statt ethnischer oder nationaler Abstammung problematisiert dieser zunehmend die Religionszugehörigkeit, genauer: die Zugehörigkeit zum Islam. Sezgin nennt diesen Prozess die »Muslimifizierung« von MigrantInnen. Durch die Ausgrenzung als »MuslimIn« werde ein neues Wir-Gefühl geschaffen, wo sich die so Bezeichneten zuvor in erster Linie als Deutsche begriffen. Spielhaus entlarvt zudem den Versuch der historisch falschen Konstruktion einer deutsch-europäischen Leitkultur, die den Islam ausschließt, als Ausdruck einer Krise des nationalen Selbstverständnisses, in der sich Deutschland zwischen deutscher und europäischer Einheit und Globalisierung befinde.

Fassungslosigkeit, Enttäuschung und Wut sprechen aus den Beiträgen. Es entsteht ein vielstimmiges Manifest als Bekenntnis zu Pluralität und der Achtung des Individuums als Grundpfeiler der Demokratie.

Glücklicherweise lassen sich diese politisch und sozial engagierten JournalistInnen, WissenschaftlerInnen und KünstlerInnen, unter ihnen Hatice Akyün, Ilija Trojanow und Feridun Zaimoglu, nicht vertreiben oder wegintegrieren. Sie haben sich entschlossen, Deutschlands Zukunft heute zu gestalten.

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[r]echte Kerle http://www.philtrat.de/articles/1973/ »Der Mann ist sozial und sexuell ein Idiot«, schrieb Volker Elis Pilgrim, einer der Begründer der so genannten Männer-»Rechts«-Bewegung, 1973 und markierte damit ihren Anfang in Deutschland. Thu, 20 Oct 2011 20:12:22 GMT http://www.philtrat.de/articles/1973/ Laura Reina »Der Mann ist sozial und sexuell ein Idiot«, schrieb Volker Elis Pilgrim, einer der Begründer der so genannten Männer-»Rechts«-Bewegung, 1973 und markierte damit ihren Anfang in Deutschland. In seinem Buch und durch viele Vorträge auf Männertagen ist erkennbar, dass er und seine Anhänger mit Feminismus nichts anfangen konnten. Was jedoch mit dem Zitat genau ausgesagt werden sollte, wird von Alexander Kemper in seinem Buch [r]echte Kerle. Zur Kumpanei der MännerRECHTSbewegung (Unrast) nicht ausreichend erklärt. Er beschreibt in den Siebziger- und Achtzigerjahren die in den Deutschland entstandene Männerrechtsbewegung. Viele Kapitel sind zu kompakt geschrieben, denn es entstehen beim Lesen einige Verständnisfragen, die auf fehlende Belege seiner Argumente basieren. Deutlich wird jedoch, dass die Männerbewegung u. a. antidemokratisch, antifeministisch und antisemitisch geprägt war. Sie verharmloste den Nationalsozialismus und empfand die Reparationszahlungen an Israel als Erpressung. Gut gelungen ist Kemper der historische Abriss vom Beginn der Männerbewegung bis zu ihrem heutigen Stand.

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Arabische Erzählkunst http://www.philtrat.de/articles/1972/ Rafik Schami ist Erzähler. Möglicherweise ist er sogar der einzige hauptberufliche Erzähler in Deutschland. Zwar ist Schami für seine Romane bekannt, doch bei seinen Auftritten bietet er seinem Publikum keine Lesungen im herkömmlichen Sinne. Thu, 20 Oct 2011 20:11:41 GMT http://www.philtrat.de/articles/1972/ Hanna-Lisa Hauge Rafik Schami ist Erzähler. Möglicherweise ist er sogar der einzige hauptberufliche Erzähler in Deutschland. Zwar ist Schami für seine Romane bekannt, doch bei seinen Auftritten bietet er seinem Publikum keine Lesungen im herkömmlichen Sinne. Die Bezeichnung »Erzählabende« trifft es wohl am ehesten, sagt er selbst. Der in Damaskus geborene Chemiker lebt bereits seit Jahrzehnten in Deutschland und schrieb seine Bücher von Beginn an auf Deutsch. Bereits als kleiner Junge wollte er die Kunst des Erzählens erlernen. Wie Schami auf Umwegen zu diesem Beruf kam und wie viel Übung dafür notwendig war, beschreibt er in Die Frau, die ihren Mann auf dem Flohmarkt verkaufte (Hanser). Das Buch ist jedoch keine Autobiografie. So berichtet Schami streckenweise in wissenschaftlichem Stil über die Bedeutung von Märchen, oder erläutert, dass es im deutschsprachigen Raum fast keine überzeugenden Übersetzungen arabischer Werke gibt. Man kann erahnen, welchen Verlust das für die deutschen LeserInnen bedeutet, wenn auch nur einige dieser Bücher so erzählerisch vollendet geschrieben sind wie seine Werke.

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Die neue arabische Würde http://www.philtrat.de/articles/1943/ "Arabischer Frühling" beschreibt, weshalb in der arabischen Welt nichts mehr so sein wird wie zuvor Thu, 14 Jul 2011 18:50:30 GMT http://www.philtrat.de/articles/1943/ Hanna-Lisa Hauge Mubarak stirbt und kommt in die Hölle. Dort warten bereits die beiden ehemaligen ägyptischen Präsidenten Nasser und Sadat. Sie fragen ihn, was ihn denn getötet habe. »Traf dich eine Kugel oder wurdest du vergiftet?«. Mubarak antwortet: »Es war Facebook!« Auf vielen der Transparente auf dem Tahrir-Platz waren Witze solcher Art über den Präsidenten zu lesen.

Diese und andere Insider-Informationen sind in Tahar Ben Jellouns Buch Arabischer Frühling zu finden. Der vermutlich bekannteste marokkanische Schriftsteller nähert sich dem so genannten Arabischen Frühling aus ungewöhnlichen Perspektiven. Da finden sich die LeserInnen zunächst in den Köpfen von Mubarak und Ben Ali wieder, die den aufkeimenden Unruhen völlig hilflos gegenüber stehen.

Auf den eher humoristischen Teil folgen dann einige Kapitel über die einzelnen Länder von Ägypten bis Jemen. Ben Jelloun prangert in einem der Essays auch das Verhalten der westlichen Regierungen an, die lange mit den Diktatoren zusammengearbeitet haben - wohl wissend, dass unter deren Herrschaft Menschen gefoltert wurden und die Korruption ein unerträgliches Ausmaß erreichte.

Im zweiten Teil des Buches kehrt Ben Jelloun zu seinen schriftstellerischen Wurzeln zurück und veranschaulicht in einer Art Kurzgeschichte, wie unwürdige Zustände in Tunesien den arbeitslosen Akademiker Mohamed Bouazizi dazu brachten, sich selbst zu verbrennen. Er beschreibt, wie korrupt und willkürlich die Polizei des Ben Ali Regimes handelte.

Den Schluss bilden zwei Artikel, die der Autor bereits vor einigen Jahren veröffentlicht hat. Diese verdeutlichen, dass die Revolten keineswegs aus dem Nichts ausgebrochen sind. Der Widerstand blieb der nicht-arabischen Welt beispielsweise schon dadurch vorenthalten, dass Bücher von kritischen AutorInnen oft nicht in andere Sprachen übersetzt wurden. Die Annehmlichkeit der Ignoranz dürftenjedoch auch ihren Teil dazu beigetragen haben.

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Eine Hand wäscht die andere http://www.philtrat.de/articles/1942/ Im Krimi Die Musenfalle kommt eine Schauspielerin in Nöte Thu, 14 Jul 2011 17:41:13 GMT http://www.philtrat.de/articles/1942/ Laura Reina Lilly Sommer ist eine ambitionierte Schauspielerin, die eigentlich gehaltvolles Theater spielen möchte. Sie bekommt aber keine Gelegenheit. Kaum hat sie einen Job als Hauptdarstellerin einer Fernsehwerbung ergattert, der ihr aus ihrer finanziellen Krise heraushelfen könnte, ist der Job auch schon wieder weg und sie steht unter Mordverdacht. Denn der Produzent des Werbespots und sein Freund wurden ermordet. Unglücklicherweise hatte Lilly am Vorabend ein kleines privates Treffen mit einem der Männer…

Um ihre Unschuld zu beweisen, beginnt sie, nach dem oder der wahren TäterIn zu suchen. Dazu benötigt sie allerdings Hilfe. Eine Spur führt sie zu Frieda Bernhard, der Leiterin einer elitären Theatergruppe. Dino, ein alter Bekannter und ehemaliges Mitglied besagter Truppe soll Lily helfen, in die Gruppe hinein zu kommen. Zufällig arbeitet der gescheiterte Schauspieler in einer Detektei. Gemeinsam haben beide: geplatzte Träume und ein Alkoholproblem. Das verbindet. Nach dem Motto »Eine Hand wäscht die andere« lösen sie gemeinsam ihre Fälle. Dino ist auf der Suche nach einer vermissten Frau. Wie man sich denken kann, hängt dies ebenfalls mit den Morden zusammen.

Die Personen im Buch sind interessant konstruiert. Dazu gehören unter anderem ein erfolgloser Polizist, der sich als Sohn des getöteten Produzenten entpuppt, eine etwas zu idealistische Theatergruppenleiterin und eine Polizistin, die der Macht der Vorurteile unterliegt. Autorin Nora Miedler gelingt es, den Spagat darzustellen, den KünstlerInnen vollbringen müssen, um einerseits ihrem Anspruch an die Kunst gerecht zu werden und auf der anderen Seite die eigene Existenz zu sichern. Nur das Ende könnte manche LeserInnen enttäuschen.

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Jenseits der Habibi-Schnulzen http://www.philtrat.de/articles/1941/ In Rock the Kasbah werden alternative Musik-Szenen des Mittleren Ostens und Nordafrikas vorgestellt Thu, 14 Jul 2011 17:37:46 GMT http://www.philtrat.de/articles/1941/ Hanna-Lisa Hauge Kreischende Gitarren, wummernde Bässe und headbangende Jugendliche sind nicht unbedingt das erste, was man mit ägyptischer oder marokkanischer Musik assoziiert. Dennoch gibt es in beiden Ländern eine Metal-Fangemeinde mit großem Zulauf. Der Journalist Arian Fariborz, der unter anderem für die Deutsche Welle arbeitet, stellt in mehreren Reportagen Musikszenen in Ägypten, Algerien, Israel, Palästina, Marokko, Libanon und Iran vor.

Häufig stoßen MusikerInnen und Fans von alternativen Musikstilen in diesen Ländern auf große Hürden, wenn sie Konzerte veranstalten oder Alben aufnehmen wollen. Im Iran müssen SängerInnen beispielsweise einem Ministeriumsmitarbeiter beweisen, dass sie singen können. Konzerte müssen oft heimlich stattfinden. In Ägypten wurden in den Neunzigerjahren sogar Jugendliche verhaftet und in Gefängnissen misshandelt. Eine skrupellose Medienkampagne hatte den Metal-Fans satanistische Praktiken unterstellt. Die Stimmungsmache gegen die RockerInnen hat sich jedoch inzwischen beruhigt und langsam erholt sich die Szene.

Die beschriebenen Musikstile reichen von experimenteller Musik im Libanon über den Hip Hop Algeriens, Israels und Palästinas bis hin zur Sufi-Musik des marokkanischen Dorfes Joujouka.

Angenehm ist, dass Fariborz nicht pauschalisiert, wenn die Sprache auf die Länder des Mittleren Ostens und Nordafrikas kommt. Stattdessen stellt er ausgewählte Länder und Musikstile vor und lässt viele MusikerInnen selbst sprechen. Daher handelt es sich mitunter um ganz spezielle Bands oder Genres. Weil die Länder und die Beispiele so verschieden sind, stellt sich die Frage, weshalb sie dennoch in diesem Buch zusammengefasst wurden. Fariborz gibt im letzten Kapitel eine Antwort darauf. Gemeinsam sei vielen seiner Beispiele, dass die Musik oft nicht einzig der Unterhaltung diene, sondern auch als gesellschaftlicher Protest verstanden werde. Außerdem beabsichtigte der Autor, auf die Musik jenseits des weit verbreiteten und kommerzialisierten arabischen Pop aufmerksam zu machen. Das ist ihm auf sehr anschauliche und unterhaltsame Weise gelungen.

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Künstlerportraits http://www.philtrat.de/articles/1940/ Kunst wird immer wieder im biographischen Kontext der KünstlerInnen betrachtet, und das wissen diese selbstverständlich auch. Einige inszenieren sich folglich so, wie sie gerne wahrgenommen werden möchten. Thu, 14 Jul 2011 17:36:24 GMT http://www.philtrat.de/articles/1940/ C. Wienen Kunst wird immer wieder im biographischen Kontext der KünstlerInnen betrachtet, und das wissen diese selbstverständlich auch. Einige inszenieren sich folglich so, wie sie gerne wahrgenommen werden möchten. Da kann die Grenze zwischen realer Persönlichkeit und Kunstfigur auch schon mal verschwimmen - ein alter Hut.

Das Buch »Leben als Kunstwerk - Künstlerbiographien im 20. Jahrhundert« (transcript), herausgegeben von Christopher F. Laferl und Anja Tippner fragt nach den Motiven, die eigene Person ins Werk zu integrieren. Ein Beispiel hierfür ist Joseph Beuys, der mit einiger Phantasie seinen Lebens- und Werklauf selbst interpretiert hat. Es gilt als erwiesen, dass der selbst ernannte Schamane ein wenig gemogelt hat: Er wurde wohl doch nicht nach einem Flugzeugabsturz von lokalen KrimtatarInnen in Filz und Fett gebettet. Das ist aber eine tolle Story, die auch sinnvoll erscheint, wenn man seine braun-grünen Filz-Pappe-Bilder betrachtet. Nur warum erzählt er so etwas? Neben der »Beuys'schen Selbstverklärung« und dem »Madonna-Marilyn-Komplex« werden auch Starimages im Allgemeinen und weitere Selbstinszenierungen analysiert.

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Postwachstumsgesellschaft http://www.philtrat.de/articles/1939/ Weniger Netto vom Brutto, soziale Ungerechtigkeit, Existenzängste, Depressionen und Burnoutsyndrome - trotz stetigem Wirtschaftswachstum sinken Wohlstand und Zufriedenheit in unserer Gesellschaft. Thu, 14 Jul 2011 17:29:47 GMT http://www.philtrat.de/articles/1939/ Anton Schädlich Weniger Netto vom Brutto, soziale Ungerechtigkeit, Existenzängste, Depressionen und Burnoutsyndrome - trotz stetigem Wirtschaftswachstum sinken Wohlstand und Zufriedenheit in unserer Gesellschaft. Irmi Seidl und Angelika Zahrnt, Autorinnen des Buches »Postwachstumsgesellschaft« (Metropolis-Verlag), sehen eine Lösung für diesen Widerspruch in einer bewussten Rücknahme des Wachstums. Unsere Märkte sind so gesättigt, dass wirtschaftliches Wachstum nur mit einem immensen Innovationsaufwand und einer Wegwerfmentalität möglich ist. Auch ist der Staat zum schnelleren und qualitativeren Ausbau vom Dienstleistungssektor gezwungen, um im industriellen Sektor verloren gegangene Arbeitsplätze zu ersetzen. Die Folgen für die Umwelt und arme Länder sind heute mehr als deutlich. Die Autorinnen fordern darum, dass Staat, Unternehmen und Gesellschaft auf eine Wachstumsrücknahme umjustiert werden. »Postwachstumsgesellschaft« kritisiert nicht nur die Zwänge des Systems. Mit volkswirtschaftlichem, soziologischem, staatstheoretischem und philosophischem Handwerk geht dieses Buch - sehr konkret und pragmatisch - nichts weniger als die Verbesserung unserer Gesellschaft an.

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Kölner Lieblingsorte http://www.philtrat.de/articles/1924/ Nä, wat es Kölle schön! Die Fotografin Britta Schmitz hatte sich schon für die beliebte Reihe 111 Orte, die man gesehen haben muss durch die Domstadt fotografiert und präsentiert nun ihre gesammelten Lieblingsbilder. Fri, 29 Apr 2011 18:26:12 GMT http://www.philtrat.de/articles/1924/ C. Wienen Nä, wat es Kölle schön! Die Fotografin Britta Schmitz hatte sich schon für die beliebte Reihe 111 Orte, die man gesehen haben muss durch die Domstadt fotografiert und präsentiert nun ihre gesammelten Lieblingsbilder. In Kölner Lieblingsorte (Emons) werden KölnerInnen - und auch die Immis unter ihnen - viele Orte wieder erkennen, aber vor allem neue entdecken. Der Bildband erfüllt die Erwartungen, Sonnenuntergänge am Rhein, malerische Winteratmosphäre im Volksgarten und gemütliche Fröhlichkeit am Dom. Neben den Standardmotiven hat sie aber auch die charismatischen Orte gefunden, die man gerne mal übersieht. Sie legt noch einen Schwerpunkt auf die kleinen Kunstoasen, wie der vertikale Parkplatz und der Skulpturenpark in Niehl. Auffällig wenig Menschen laufen durch ihre Bilder, aber so lenkt nichts von der Stadt selbst ab. Insgesamt ein wirklich gelungener Band, mit dem man als Zaunpfahl winken kann, wenn der Besuch von außerhalb zu lange auf sich warten lässt.

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Erfolgreicher Karrierestart http://www.philtrat.de/articles/1923/ Viele müssen sich nach dem Studium in den Bewerbungsdschungel begeben. Eloquenz und Sympathie sollen da auf Knopfdruck sitzen. Fri, 29 Apr 2011 18:25:24 GMT http://www.philtrat.de/articles/1923/ C. Wienen Viele müssen sich nach dem Studium in den Bewerbungsdschungel begeben. Eloquenz und Sympathie sollen da auf Knopfdruck sitzen. Die schriftlichen Unterlagen sollen individuell und zugleich standardisiert sein, mal per Post, mal per Mail - oder vielleicht doch erst einmal anrufen? Viele sind verunsichert, was gefordert wird. Die Lektüre Erfolgreicher Karrierestart - Die besten Initiativstrategien für Hochschulabsolventen im verdeckten Stellenmarkt (Gabler) soll helfen. Der Autor Dieter L. Schmich setzt vor jede Bewerbungsphase die Selbstanalyse. Damit geht er keine neuen Wege. Doch nur lesen und nicken gilt nicht, die LeserInnen sollen die enthaltenen Listen ausfüllen und sich erstmal an die Arbeit machen. Schmich hat den Schwerpunkt auf die Stellen abseits der Anzeigen gelegt und gibt interessante Tipps, wie man diese überhaupt findet. Das Buch hilft mit vielen Vorlagen Fehler zu vermeiden. Wem die Bewerbungsphase eine Schweißperle auf die Stirn treibt, der wird hier an die Hand genommen.

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Mord am Rhein http://www.philtrat.de/articles/1922/ Im Krimi Endstation Nippes ermittelt eine Kölner Journalistin gemeinsam mit Prostituierten Fri, 29 Apr 2011 18:24:01 GMT http://www.philtrat.de/articles/1922/ Julia Groth Spielt ein Roman zwischen Junkies und EinbrecherInnen, kann das schnell danebengehen. Überzeichnete Figuren und möchtegern-authentische Dialoge machen das Lesen nur allzu oft zur Qual. Nicht so in Ingrid Strobls neuem Buch Endstation Nippes. Dort recherchiert eine WDR-Journalistin glaubwürdig in der Welt der KinderschänderInnen.

Ich-Erzählerin Katja Leichter rutscht durch Zufall in eine üble Geschichte hinein. Eigentlich will sie nur eine Reportage über Pflegefamilien machen, auch das schon kein einfaches Thema. Dann aber wird ihre Interviewpartnerin ermordet, ein Mädchen treibt tot im Rhein und obendrein fühlt sich Leichter verpflichtet, sich um einen hilfsbedürftigen kleinen Jungen und seine kratzbürstige Schwester zu kümmern. Die im Übrigen tiefer in die scheinbar unzusammenhängenden Ereignisse verstrickt sind, als sie ahnt.

In ordentlichem Tempo spinnt Autorin Strobl einen spannenden und sozialkritischen Plot, der bis nach Thailand und Nepal führt, ohne dass die Hauptfigur Köln je verlässt. Zum Glück, denn die Domstadt bildet, authentisch und ohne plakativ zu sein, eine wunderbare Kulisse. Ihre wichtigsten HelferInnen findet Hobbyermittlerin Katja Leichter in ihrem Veedel und dessen näherer Umgebung: Ex-Junkies, Ex-Prostituierte und einen geläuterten Einbrecher. In diesen Figuren offenbart sich wohl, mehr noch als im Plot selbst, das Menschenbild der Autorin. Während ein Gutteil der bürgerlichen, gesellschaftlich akzeptierten AkteurInnen Dreck am Stecken hat, sind es die Menschen am Rand der Gesellschaft, die Herz zeigen und zupacken, wenn es nötig ist.

Strobl muss es wissen. Sie ist nicht nur, wie die Hauptfigur selbst, Journalistin mit einem Faible für Themen, die weh tun. Sie saß auch selbst schon im Gefängnis. Zweieinhalb Jahre Untersuchungshaft trug ihr der Vorwurf der »Unterstützung einer terroristischen Vereinigung« Ende der Achtzigerjahre ein, gemeint waren die militanten linken Revolutionären Zellen. Wahrscheinlich wirkt die Hauptfigur in Endstation Nippes auch deshalb so authentisch, weil Strobl ihr viel von sich selbst mitgegeben hat. Leider auch die etwas albernen Bemühungen um ein Leben nach den Regeln des Buddhismus. Die ließe Katja Leichter besser sein. Ingrid Strobl vielleicht auch.

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Eingemauert in Köln http://www.philtrat.de/articles/1921/ Festungsstadt Köln – Das Bollwerk im Westen fasst Erkenntnisse zum preußischen Köln zusammen Fri, 29 Apr 2011 18:21:52 GMT http://www.philtrat.de/articles/1921/ C. Wienen Wer hastig zur Bahn eilt, hat es vielleicht noch nicht bemerkt: am Südbahnhof steht ein Fort aus dem 19. Jahrhundert, ein Überbleibsel der Festungsstadt Köln. Heute forschen dort MitarbeiterInnen der Geowissenschaften in ihren Laboren und Büros. Auch entlang des Rheins haben viele vielleicht schon bei einem Kölsch auf einem Fundamentrest gesessen.

Henriette Meynens Buch (Emons) befasst sich mit den preußischen Wehranlagen, die Köln im 19. Jahrhundert umringten. Sie hat mit verschiedenen AutorInnen zahlreiche Zeichnungen, Listen und Fotos zusammengetragen, Überreste im Stadtgebiet untersucht und Unterlagen gewälzt. Sie erzählt die Geschichte der Festungsstadt von vielen Blickpunkten, beleuchtet Menschen und Politik. Allerdings sollte man zur Lektüre ein gewisses Interesse mitbringen, denn die vielen Grundrisse und Zeichnungen scheinen sich zu wiederholen, dabei ist Meynens nur sehr akribisch. Fußnoten und Literaturverzeichnis weisen dem Interessierten den weiteren Weg ins Thema. Die dreieinhalb Kilo schwere Mischung aus Bildband, Aufsatzsammlung und Quellenedition langweilt aber nicht.

Die Bauten wurden nach dem ersten Weltkrieg als Bedingung des Versailler Vertrages abgebaut. Kein großer Verlust, die Stadt platzte aus allen Nähten und die Anlagen waren zur Verteidigung gegen Fliegerbomben nicht mehr zeitgemäß. Einige Gebäude konnte Adenauer in Verhandlungen jedoch retten. Lediglich die Überreste, die dann im Zweiten Weltkrieg nicht zerstört wurden, finden sich noch in einigen Ecken der Stadt.

Insgesamt ist es ein interessantes Buch mit guten Texten. Für EinsteigerInnen liefert es allerdings zu viele Details und ist mit 14 Euro pro Kilo auch nicht gerade billig.

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Punkvarianten http://www.philtrat.de/articles/1920/ Straight Edge – wenn Punks vegan und alkoholfrei leben Fri, 29 Apr 2011 18:20:42 GMT http://www.philtrat.de/articles/1920/ Anna Hölscher »Don't smoke, Don't drink, Don't fuck, At least I can fucking think« heißt es im Song »Out of Step" der Punkband Minor Threat. Er wurde wegbereitend für eine Bewegung: Straight Edge.

Die Anfänge von Straight Edge in den 1980er Jahren lagen vor allem in der Unzufriedenheit einzelner MusikerInnen der Punkszene mit den dort vorherrschenden Standpunkten. Sie waren Anfeindungen ausgesetzt, weil sie sich nicht an den Gepflogenheiten beteiligten, Alkohol zu trinken, zu rauchen oder Drogen zu nehmen. Die Textzeile »don't fuck« löste auch heftige Diskussionen innerhalb der Band Minor Threat aus. Oft als allgemein sexkritische Äußerung missverstanden, richtet sie sich gegen verantwortungslosen Umgang mit Sex.

In der folgenden Entwicklung von Straight Edge fanden verstärkt politische Haltungen Einzug in die Szene, allen voran Konsumkritik und Kritik an Alkohol- und Tabakkonzernen. Eine wichtige Subströmung ist Vegan Straight Edge, die sich für Tierrechte einsetzt. Allerdings kam es in manchen lokalen Szenen auch zu gewalttätigen Übergriffen von Straight Edger­Innen gegenüber Alkohol trinkenden oder rauchenden Menschen.

Das Buch gibt einen Überblick über die Entwicklung der Straight Edge Szene und über wichtige Strömungen der Bewegung. Besondere Beachtung findet die politische Dimension, die stets zwischen konservativem Puritanismus und linksradikalem Aktivismus pendelt. Hierzu werden einige in der Szene einflussreiche Songtexte zitiert.

Das gerade mal 70 Seiten starke Büchlein liest sich spannend und flüssig. Interessant wäre eine CD-Beilage gewesen, um die vielen zitierten Songtexte auch hören zu können. Allerdings könnten die Songs die nicht an Punk und Hardcore gewöhnten Leser­Innen auch verschrecken.

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