philtrat: Medienwelt http://www.philtrat.de/ de http://www.philtrat.de/ philtrat redaktion@philtrat.de (Support philtrat) stichwort: piratenpartei http://www.philtrat.de/articles/1695/ Tragen die PiratInnen ihre Augenklappen rechts? Die junge Partei ringt um ein politisches Profil. Tue, 28 Jul 2009 15:48:44 GMT http://www.philtrat.de/articles/1695/ Carolin Wedekind Viel wurde in den letzten Wochen über den deutschen Ableger der schwedischen Piratpartiet geschrieben. In die Schlagzeilen geriet die Partei, als der SPD-Abgeordnete Jörg Tauss zu ihnen wechselte, nachdem seine Fraktion im Bundestag für die Internetsperre stimmte. Tauss, gegen den wegen des Besitzes von kinderpornografischem Material ermittelt wird, legte beim Bundesverfassungsgericht Beschwerde gegen das Gesetz ein. Sein Parteiwechsel wurde von vielen PiratInnen bejubelt.

Eine weitere Personalie machte den Makel der fehlenden politischen Linie der PiratInnen deutlich: Auf dem Bundesparteitag Anfang Juli wurde das Parteiamt des Ersatzrichters mit Bodo Thiesen besetzt. Dieser hatte in den vergangenen Jahren auf Mailinglisten und in Internetforen Zweifel an der deutschen Kriegsschuld geäußert, die Judenverfolgung als "lächerliche 12 Jahre" relativiert und kritisiert, dass der Holocaust in Deutschland als Tatsache gilt. In einer Newsgroup schrieb er im Jahr 2003 außerdem, es stünde "jedem Juden frei, jederzeit Deutschland für immer zu verlassen." Das alles war vielen auf dem Parteitag anwesenden Mitgliedern bekannt, hielt sie aber nicht von der Wahl Thiesens ab. "Wir sind die Piraten", bloggte bald darauf die DVU.

Zwar distanzierte sich der Parteivorstand und Thiesen entschuldigte sich, doch seine Äußerungen haben deutlich gezeigt, dass die Piratenpartei sich dringend für eine politische Richtung entscheiden muss. Denn die Betonung einiger weniger Kernthemen, zu denen auch die Ablehnung von Zensur gehört, ohne Position zu anderen politischen Themen zu beziehen, bietet nach rechts viel Platz. Zu hoffen bleibt, dass die derzeitige politische Unentschlossenheit der PiratInnen nicht den Zielen schadet.

Das stichwort erschien begleitend zum Hauptartikel über PiratInnen-Hochschulgruppen.

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Geburt aus dem Geiste der Ohnmacht http://www.philtrat.de/articles/1487/ Superman wird 70 Jahre alt. Damit ist er eine der beständigsten Figuren amerikanischer Ikonografie und wird das wohl auch weiterhin bleiben. Fri, 27 Jun 2008 14:40:36 GMT http://www.philtrat.de/articles/1487/ Thomas Hemsley Wer hat nicht schon davon geträumt zu fliegen, einen Röntgenblick zu haben oder unverwundbar zu sein? Wer wünscht sich nicht, einmal ein Held sein zu können? Wer wollte nicht mal den Problemen des Alltags mit großer Macht entgegentreten können - oder einfach nur entfliehen?

Als Superman im Juni des Jahres 1938 auf den Seiten der ersten Ausgabe der Action Comics das Licht der Welt erblickte, bündelten sich in ihm nicht nur die Ohnmachtsgefühle der Heranwachsenden, sondern auch die einer ganzen Nation. Seine jüdischen Schöpfer Jerry Siegel und Joe Shuster destillierten aus alten (Moses, Herkules) und neuen Mythen (Pulpliteratur, Douglas-Fairbanks-Abenteuerfilme) eine Figur, mit der sie zumindest in der Fantasie den persönlichen Unsicherheiten und der Erfahrung der Großen Depression, des aufkeimenden Nationalsozialismus in Europa und des weltweiten Antisemitismus trotzen konnten.

Superman war zwar streng genommen nicht der erste kostümierte Held mit besonderen Fähigkeiten und einer Doppelidentität, trat aber wohl durch seine konzeptionelle Einfachheit eine Welle von Imitationen los und wurde sehr schnell zu einem der größten Multimediaphänomene unserer Zeit. Der Held, der in einer Kleinstadt namens Smallville aufwuchs, arbeitete dann in einer Metropole namens Metropolis

für den Daily Planet als Reporter Clark Kent und kannte auch fast nur Menschen mit alliterativen Namen wie Lois Lane und Lana Lang. Er erhielt 1939 sein eigenes Heft und einen Zeitungsstrip, erlebte ab 1940 Abenteuer im Radio, hatte ab 1941 eine von den Fleischer Studios produzierte Zeichentrickserie und ab 1948 eine Live-Action-Reihe, damals noch im Kino. In der Zeichentrickreihe lernte er auch das Fliegen - er hatte sich vorher mit großen Sprünge beholfen. Ab 1951 gab es dann auch eine Fernsehserie. Auch inhaltlich wurde das Superman-Universum immer umfangreicher: Zu seinem Erzfeind Lex Luthor gesellten sich noch unter anderem Mr. Mxyzptlk, eine Art Rumpelstilzchen aus der fünften Dimension. Desweiteren folgten in den kommenden Jahren Supermans arktischer Rückzugsort, die Festung der Einsamkeit, der fast schon surreale Bösewicht Bizarro, eine Art Negativabzug unseres Helden, seine Cousine Supergirl und verschiedene Sorten Kryptonit, ein Gestein, das Superman seiner Kräfte beraubt. Das bekannteste ist das wie Nervengift wirkende grüne Kryptonit. Am interessantesten ist aber das rote, das immer unterschiedlich wirkt: so hat es Superman schon in einen Drachen verwandelt, in einen Zwerg, Amnesie verursacht, ihn rapide altern lassen oder tollpatschig gemacht.

Es ist wohl kein Zufall, dass Superman - der Film im Jahr 1978 in die Kinos kam und zusammen mit Star Wars zur Speerspitze des modernen effektbeladenen Blockbusterkinos wurde. Nach den gesellschaftlichen Umwälzungen durch die 68er-Generation, dem Vietnamdebakel und Watergate sind die 70er-Jahre vor allem in den USA synonym geworden für Misstrauen gegenüber der Politik, Angst und Kulturpessimismus, kurz: Ohnmacht.

In den 80er-Jahren gab es dann noch drei Filmfortsetzungen und in den Comics war wie bei allen Superhelden Dekonstruktion angesagt, bis Superman dann in den 90ern getötet wurde, und wieder auferstehen durfte.

amerikanischen kollektiven Unbewussten nichts anhaben. Denn auch im 21. Jahrhundert ist Superman noch relevant, gerade auch durch die Erschütterungen, die die Anschläge des 11. September 2001 und die darauf folgenden Kriege verursacht haben. Die Action Comics gehen auf die 870. Ausgabe zu, die Superman-Serie auf die Nummer 680. Und seit 2001 wird mit großem kommerziellem und kritischem Erfolg in der Fernsehserie Smallville die Jugend Clark Kents auf den neuesten Stand gebracht.

Im Jahre 2006 kam dann Superman Returns in die Kinos. Von Bryan Singer inszeniert, dem Regisseur der ersten beiden X-Men-Filme, fiel dieser Film trotz aufwendiger Actionszenen eher poetisch und kontemplativ als bombastisch und effektüberfrachtet aus. Die eindrucksvollste Szene beantwortet vielleicht auch die von Lois Lane gestellte Frage, ob wir Superman denn brauchen würden: Einem Erlösergott gleich schwebt Superman in der Erdumlaufbahn und hört die vielen Gebete und Hilferufe, die auf der Erde in diesem einen Augenblick ausgesprochen werden. Überwältigt von der Menge gibt er sich einen Moment lang der Schwäche hin - für den Bruchteil einer Sekunde will er eben nicht gebraucht werden müssen.

Aber solange es Teenager gibt, die starke Vorbilder brauchen, und die USA trotz und auch wegen großer gesellschaftlicher Schwachpunkte weltweit ihre Allmachtsphantasien ausspielen müssen, wird der ultimative Held zumindest in unseren Träumen und modernen Mythen noch gebraucht.

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Brüder im Tod http://www.philtrat.de/articles/1429/ In einem neuen Theaterstück verschmelzen Kurt Cobain und Hamlet zu einer fiktiven Figur, die sich zwischen Verzweiflung und Lebenslust bewegt. Tue, 22 Jan 2008 08:05:52 GMT http://www.philtrat.de/articles/1429/ Christina Grolmuss Bis zur Premiere von To be or not to be bleibt nicht mehr viel Zeit. Die SchauspielerInnen versammeln sich im Keller der Studiobühne. Auf einem Blatt Papier an der Tür steht in großen Buchstaben »Schmiede«. Eine wirkliche Bühne gibt es hier nicht. Auf dem Boden liegt ein Dutzend alter Matratzen, dazwischen eine akustische Gitarre, in der Ecke langweilt sich ein ungenutzter Mikrofonständer. In diesem Raum entsteht das neue Projekt von Hiltrud Kissel, das zwei auf den ersten Blick sehr unterschiedlichen Charakteren gewidmet ist: dem Shakespeare-Antihelden Hamlet und dem Grunge-Idol der Neunzigerjahre Kurt Cobain. »Ich bin großer Nirvana-Fan und Kenner der Grunge-Szene«, sagt Kissel. Als Anglistin hat sie sich lange Zeit mit Hamlet beschäftigt und findet, dass zwischen beiden Figuren eine enge geistige Verwandtschaft besteht. Darauf weise auch Cobains Abschiedsbrief hin. Dort schreibt er: »Ich möchte sterben wie Hamlet.« Der Brief, erzählt Kissel, ziele auf dasselbe ab wie der berühmte Monolog Hamlets über »Sein oder nicht Sein«: Entscheidet man sich für das Ertragen der weltlichen Zustände oder für den selbst gewählten Weg in einen frühen Tod? Die Umsetzung des Stückes treibt die Annäherung der beiden Persönlichkeiten aufs Äußerste. Hamlet und Cobain verschmelzen zu einer neuen, fiktiven Figur. Der Doppelcharakter dieser Rolle findet seinen Ausdruck auf der sprachlichen Ebene. »Die Texte fließen ineinander«, erklärt Kissel. Auf eine Textpassage von Hamlet könne sogleich ein Songtext oder Tagebucheintrag von Kurt Cobain folgen. Zwar orientiert sich das Ensemble am Shakespeare-Stück und an den schriftlichen Hinterlassenschaften von Cobain, viele Textpassagen sind jedoch aus Improvisation heraus entstanden. Inhaltlich folgt das Bühnenwerk keiner stringenten Handlung, sondern ist eher eine Collage verschiedener Lebenssituationen. Auch Traumsequenzen gehören dazu. Der zentrale Schauplatz ist eine Kleinfamilie, deren Mitglieder ebenfalls von jeweils einer Person verkörpert werden. In Doppelrollen treten Hamlets/Cobains Mutter, der Stiefvater/wechselnde Lebensgefährten von Cobains Mutter, Horatio/Bandmitglied und Ophelia/Courtney Love auf. Die Motivation für dieses Stück entstand nicht zuletzt auch aus dem persönlichen Empfinden der Regisseurin, dass die Lebensverzweiflung junger Menschen ein aktuelles Problem darstelle. »Sie nimmt sogar zu«, sagt Kissel. »Die jungen Menschen haben eher pessimistische Einstellungen.« Gleichzeitig will sie aber auch zeigen, dass sich ihre Figuren nicht nur auf der dunklen Seite des Lebens bewegen, sondern sich auch nach Liebe sehnen und Lebenslust verspüren. »Der Zuschauer wird viele verschiedene Facetten zu sehen bekommen. Das Stück soll ihn aufwühlen und berühren, aber auch gut unterhalten«, sagt die Regisseurin.

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Hinter der Weißen Rose http://www.philtrat.de/articles/1428/ Ein Hörbuch erklärt des geistige Umfeld der Widerstandsgruppe Tue, 22 Jan 2008 08:02:52 GMT http://www.philtrat.de/articles/1428/ Verena Risse Was kann man von einem Hörspiel erwarten, das den Titel Harter Geist und weiches Herz. Das intellektuelle Umfeld der Weißen Rose trägt und in einem Verlag für philosophische Hörbücher verlegt wird? Sehr viel, vor allem Ungekanntes und Ungeahntes. Denn die Autorin Barbara Ellermeier zeigt die Mitglieder der Weißen Rose nicht nur als HeldInnnen des Widerstandes oder MärtyrerInnen, die für die Freiheit gestorben sind. Vielmehr geht es ihr um deren philosophische, theologische und literarische Gedanken sowie die Begegnungen mit KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen, welche die Münchener Studierenden prägten und den ideologischen Hintergrund für ihr Handeln bildeten. Somit handelt das Hörspiel nicht - wie der Titel zunächst suggeriert - nur vom intellektuellen Umfeld der Weißen Rose. Es schließt auch die Werke ein, die die Mitglieder privat lasen oder in Lesekreisen besprachen. Zu den DenkerInnen, mit denen sich die Mitglieder der Weißen Rose intensiv beschäftigten, gehören Augustinus, Thomas von Aquin, Sören Kierkegaard und Karl Jaspers. Es ist kein Zufall, dass die meisten der zitierten Autoren nicht nur in der Philosophie, sondern auch in der Theologie großen Einfluss ausübten. Schließlich war es ihr christlicher Glaube, der die Studierenden prägte und sie zunächst zurückschrecken ließ, sich zu positionieren und aktiv zu werden. Der Glaube aber zwang sie zum Denken und schließlich auch zum Handeln. Der theologische Einfluss kam darüber hinaus auch von Seiten einiger ihrer wichtigsten Mentoren. Zu diesen zählten der Philosophieprofessor Kurt Huber, der selbst zum engsten Kreis der Weißen Rose gehörte und das sechste und letzte Flugblatt verfasst hat, Carl Muth, Herausgeber der katholisch-kritischen Zeitschrift Hochland sowie der katholische Publizist Theodor Haecker, der regelmäßig im Rahmen der Lesekreise seine Werke vortrug. Wie Hans und Sophie Scholl, Alexander Schmorell, Christoph Probst und Willi Graf philosophierten, diskutierten und letztendlich beschlossen, zu handeln, ihre Gedanken in Flugblättern zu formulieren und diese zu verteilen, schildert Ellermeier anhand von bisher unbekannten Briefen, Tagebuchaufzeichnungen, Büchern und ZeugInnenaussagen und lässt so die Weiße Rose und ihre ZeitgenossInnen selbst zu Wort kommen. Es wird deutlich, dass die Flugblätter nicht nur eine leichtfertig geplante Rebellion gegen die NationalsozialistInnen darstellen. Sie sind aus langen Überlegungen, wissenschaftlichen Recherchen, bisweilen quälenden Selbstbefragungen geborene, überaus fundierte Appelle, gegen das nationalsozialistische Verbrechen und für die politische Freiheit zu kämpfen. Vom ersten Track an zeigt das Hörbuch die hohe sprachliche Qualität, die wissenschaftliche Ausgereiftheit sowie die umfassenden politischen wie kulturellen Kenntnisse, die den Flugblättern zu Grunde liegen. Durch ihre Flugblätter hat sich die Weiße Rose entschieden, nicht den Weg einer inneren Emigration zu gehen, nicht abzuwarten, bis alles vorüber ist und sich bis dahin durch die regelmäßige Zufuhr geistiger Nahrung am Leben zu erhalten. Im Gegenteil, die kritische Auseinandersetzung mit moral- sowie politikphilosophischen Fragestellungen zwang sie, »in das Rad der Geschichte einzugreifen«, wie es Hans Scholl formulierte. Und so vermag das Porträt des intellektuellen Umfelds der Weißen Rose letztendlich an die Macht von Intellekt, Kultur und Geist zu erinnern - ein Potenzial, welches die NationalsozialistInnen sehr wohl erkannt und gefürchtet haben.

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Duell der Unizeitschriften http://www.philtrat.de/articles/1397/ Nächstes Jahr erscheinen zwei neue Magazine von Studierenden der Uni Köln Fri, 30 Nov 2007 18:07:11 GMT http://www.philtrat.de/articles/1397/ Maximilian Waclawczyk Es geschieht nicht alle Tage, dass die journalistische Landschaft der Uni Köln eine neue studentische Zeitschrift bekommt. Anfang kommenden Jahres feiern jedoch gleich zwei aus studentischen Eigeninitiativen geborene Zeitschriften ihr Debüt: Sicht.Felder und meins. Beide wollen sich teils durch WerbepartnerInnen, teils über einen geringen Verkaufspreis finanzieren. Im Fall von Sicht.Felder entstand aus einer privaten Initiative heraus ein Netzwerk junger AutorInnen, die den Plan fassten, eine Zeitschrift auf die Beine zu stellen. Das Netzwerk soll stetig wachsen und wirbt deshalb über diverse Verteiler und Plakate um potentielle AutorInnen. »Wir wollen aus möglichst verschiedenen Fachrichtungen und von möglichst verschiedenen Universitäten rekrutieren«, sagt Redakteur David Birkenfurth, der an der Uni Köln Philosophie und Kunstgeschichte studiert. Die Möglichkeit, interdisziplinär auf verschiedene Fachbereiche zu blicken, soll Schwerpunkt der Zeitschrift sein. »Thematisch wird die Zeitschrift zwischen Feuilleton und Fachblatt liegen, um eine Verständlichkeit über die Fachgrenzen hinaus zu sichern«, sagt Birkenfurth. Sicht.Felder wird voraussichtlich ab Anfang 2008 zweimal im Jahr erscheinen. Auch die Konkurrenz gibt sich Mühe. Kunstvoll gestaltete Fotografien und ein modernes Layout prägen das Bild von meins. »Unsere Zeitschrift richtet sich bewusst an junge Studenten der Uni Köln«, sagt Patrick Hopfe, Autor der Zeitschrift im Bereich Kunst und Kultur. Interessierte sollen sich in den unterschiedlichsten Ressorts austoben können, der kreative Bereich soll allen künstlerisch Avancierten offen stehen. Auf regelmäßig stattfindenden Hauptversammlungen der einzelnen Ressorts werde beraten, was in der nächsten Ausgabe gedruckt werden soll, erklärt Hopfe. Die Zeitschrift meins soll im Laufe des ersten Jahresquartals und dann vierteljährlich oder öfter erscheinen. Wie es sich für beide Zeitschriften auswirkt, dass sie ihren Startpunkt zufällig in denselben Zeitraum gelegt haben und sich in Anspruch und Leserschaft sowie dem uninahen Veröffentlichungsbereich in weiten Teilen decken, wird sich zeigen. Eine Sache ist jedoch jetzt schon klar: Über einen Mangel an Lesestoff werden sich die Studierenden an der Uni Köln im nächsten Jahr nicht beklagen müssen.

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Kampf dem Verdummen http://www.philtrat.de/articles/1393/ In seinem neuen Film prangert Hans Weingartner die Messung der Einschaltquoten an. Seine Recherche hat aber Lücken. Fri, 30 Nov 2007 18:00:39 GMT http://www.philtrat.de/articles/1393/ Julia Eva Fröhlich Hans Weingartners neuer Film Free Rainer hat wie sein Vorgänger Die fetten Jahre sind vorbei einen gesellschaftskritischen Anspruch. Diesmal hat sich der Regisseur das Medium Fernsehen vorgeknöpft. In Free Rainer werden die Privatsender als Bösewichte dargestellt, die durch die konstante Ausstrahlung anspruchsloser Sendungen die ZuschauerInnen so lange an qualitativ minderwertiges Fernsehprogramm gewöhnt haben, bis diese Gefallen daran fanden. Deshalb erfreuen sich diese Sender konstant hoher Einschaltquoten. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen und eine weiter fortschreitende Verdummung der Bevölkerung zu verhindern, versucht Rainer (Moritz Bleibtreu), geläuterter Ex-Produzent eines solchen Senders, diese Entwicklung mit der gleichen Strategie umzukehren. Durch Manipulation der Einschaltquoten gewöhnt er die ZuschauerInnen wieder an qualitativ hochwertiges Fernsehen und erreicht so anscheinend sein Ziel, dass die Medien eine unterhaltende, aber auch bildende Funktion übernehmen. Die Botschaft seines Films ist für Weingartner offenbar eine Herzensangelegenheit. »Mich stört schon lange, dass wir alle seit Jahren den geistigen Verfall unserer Gesellschaft beobachten, aber nichts dagegen tun«, erklärt er auf seiner Homepage. »Stattdessen gilt Schwachsinn als cool. Die neuen Helden sind Menschen, die in ihrem Leben noch kein Buch gelesen haben.« Schauspieler Moritz Bleibtreu stimmt ihm zu: »Wir leben in einer Welt, die stark von medialen Einflüssen abhängt, aber die Leute, die sich um diese Unterhaltung kümmern, sind sich der Verantwortung ihrem Publikum gegenüber nicht bewusst und haben ihm gegenüber auch keinen Respekt.« Doch Weingartner kritisiert nicht nur die Qualität des Privatfernsehens. Er bemängelt auch die Methode, mit der die Einschaltquoten ermittelt werden. MigrantInnen und Nicht-GEZ-Zahlende wie Studierende und Arbeitslose würden dabei nicht berücksichtigt. Diese Kritik Weingartners ist nur teilweise korrekt. Denn dass Studierende und Arbeitslose bei der Erfassung der Quote nicht berücksichtigt würden, wird durch Statistikangaben widerlegt. Auch MigrantInnen werden nicht generell von der Quotenerfassung ausgeschlossen (siehe Kasten). Neben aller Kritik an der Erfassung der Quote ist Weingartner aber ohnehin eine grundlegendere Botschaft in Free Rainer besonders wichtig: »Der Film will den Menschen zurufen: Befreit euren Geist. Macht die Glotze öfter mal aus und lebt euer Leben. Das spielt sich da draußen ab und nicht in dem Kasten.«

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stichwort: ermittlung der einschaltquoten http://www.philtrat.de/articles/1392/ Die Nürnberger Gesellschaft für Kosumforschung (GfK) ermittelt im Auftrag von ARD, ZDF, RTL und der ProSiebenSat.1 Media AG die ZuschauerInnenzahlen im deutschen Fernsehen. Fri, 30 Nov 2007 17:56:35 GMT http://www.philtrat.de/articles/1392/ Julia Eva Fröhlich Die Nürnberger Gesellschaft für Kosumforschung (GfK) ermittelt im Auftrag von ARD, ZDF, RTL und der ProSiebenSat.1 Media AG die ZuschauerInnenzahlen im deutschen Fernsehen. MigrantInnen werden nur dann in die Erhebung einbezogen, wenn sie EU-BürgerInnen sind. Denn das in Deutschland eingesetzte System für bevölkerungsrepräsentative Stichproben berücksichtigt nur den Bevölkerungsteil mit einer Wahlberechtigung bei kommunalen Wahlen. Nicht-EU-BürgerInnen sind davon ausgeschlossen. KritikerInnen der Quotenerfassung weisen darauf hin, dass die Erfassung der Daten, auf denen die Quoten basieren, fehleranfällig sei.

Die für die Erhebung relevante Personengruppe besteht aus etwa 13000 Menschen in 5640 Haushalten, von denen einer jeweils 6000 deutsche Haushalte repräsentieren soll. In jedem dieser Haushalte wird eine Box installiert, die im Sekundentakt alle Ein-, Um- und Ausschaltvorgänge erfasst und speichert. Jedes Familienmitglied ab drei Jahren erhält eine spezielle Fernbedienung, mit der es sich jedes Mal, wenn es fernsieht, an- und abmelden muss. Ob diese Regel befolgt wird, lässt sich allerdings nicht kontrollieren. Ein weiteres Problem entsteht, wenn sich die so genannten Panelhaushalte Zweitfernseher für ein anderes Zimmer oder fürs Büro anschaffen oder sich zum Beispiel ein Fußballspiel in der Kneipe ansehen.

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»Es gibt keine Kölner Comic-Szene« http://www.philtrat.de/articles/1365/ Der Kölner Illustrator Leo Leowald zeichnet seit drei Jahren den täglichen Webcomic Zwarwald. Seine Strips erzählen Episoden aus seinem Leben, wie beispielsweise von einem verkaterten Blick in den Spiegel Fri, 19 Oct 2007 18:41:51 GMT http://www.philtrat.de/articles/1365/ Carolin Wedekind Leo Leowald veröffentlicht auf zwarwald.de täglich einen autobiografischen Comicstrip. Mit der philtrat sprach er über seinen Webcomic, die deutsche Comic-Szene und linke Nischenmedien.

Was ist das Besondere an Zwarwald?

Ich habe mir selbst die Bedingung gestellt, dass Zwarwald etwas Tagebuchartiges haben soll. Die Geschichten haben fast immer einen Bezug zu dem Tag, an dem ich sie zeichne. Deshalb kann ich eigentlich auch nicht auf Vorrat zeichnen. Manchmal erzähle ich eine Vergangenheitsgeschichte in drei oder fünf Teilen. Aber sogar in diesen Geschichten steckt etwas vom jeweiligen Tag, wenn das für die Leser auch nicht in jedem Fall erkennbar sein muss.

So einen Blogstrip machen ja erstaunlich wenige Leute. In Deutschland gibt es nur eine Handvoll, die das regelmäßig macht. Ich habe mehrfach versucht, andere Zeichner zu überreden. Auch, um nicht so allein auf weiter Flur zu stehen.

Gibt es bei einer täglichen Serie nicht manchmal Tage an denen Sie sich sagen, nein, heute mal nicht?

Andere Leute trainieren regelmäßig für irgendwelche Sportarten oder machen jeden Tag Yoga. So was Ähnliches ist Zwarwald für mich auch. Es hat einen gewissen Reinigungseffekt.

Andererseits kann es auch nerven. An manchen Tagen wache ich auf und denke: Was mache ich denn heute? Das lässt mich dann bis zum Abend nicht los, bis ich dann immer noch nicht weiß was ich mache und mich dann noch mal zwei Stunden hinsetzen muss, um mir was auszudenken.

Erscheint deshalb jetzt auch am Wochenende kein Zwarwald mehr?

Ich muss mir die Wochenenden frei nehmen, um so langsam mal wieder mein Sozialleben aufbauen zu können. Ich hatte drei Jahre lang keinen wirklich freien Tag. Nach dem ersten Wochenende ohne Zwarwald habe ich gemerkt, wie ein enormer Druck von mir abgefallen ist. Ich bin ja auch mittlerweile Familienvater mit kleinem Kind und einer Frau, die das dann ausbaden muss. Wenn abends das Kind gewickelt und ins Bett gebracht werden muss und ich sage, dass ich noch eben Zwarwald machen muss, dann kommt mir das schon ein bisschen unhöflich vor.

Ist es politisch motiviert, dass Sie nur in linken Nischenmedien wie der Jungle World veröffentlichen?

Die großen Tageszeitungen haben mich bisher nicht wahrgenommen. Ich bin aber mit dieser linken Nische auch nicht ganz unzufrieden. Es waren zumindest Medien, die ich alle mochte und auch selber gelesen habe. Ich bin nicht gezielt in diese Nische reingestrebt, kann mich aber ganz gut damit identifizieren.

Verdienen Sie mit Zwarwald eigentlich etwas?

Nein. Das gesamte Zwarwald-Projekt bringt unterm Strich finanziell gar nichts. Darum ging es aber auch von vorneherein nicht und ich habe über die drei Jahre versucht, das nicht aus den Augen zu verlieren. Zwarwald war nie kommerziell geplant, sondern als Gegengewicht zu den Sachen, die ich kommerziell mache, nämlich Illustrationen. Dabei gibt es immer irgendwelche Einschränkungen von Kundenseite, und die hab ich bei den Comics nicht.

Ich würde schon gerne davon leben können, aber das ist in Deutschland ziemlich ausgeschlossen. Ich mache nicht wirklich Mainstream-Humor und Deutschland ist kein Comic-Land. Die beiden Fakten reichen schon, damit man sich eigentlich alle Illusionen abschminken kann.

Comics, mal abgesehen von Moers und Manga, werden sowieso nicht mit der Latte gemessen, mit der normale Bücher, die auf den Markt kommen, gemessen werden. Da ist man schon froh, wenn tausend Stück verkauft sind.

Es gibt bald ein neues Buch…

Nächstes Jahr gibt es ein neues. Das wird, vielleicht zur Enttäuschung vieler Zwarwald-Leser, ein Vater-Sohn-Buch werden. Die Frage war, ob der zweite Band wie der erste wird, also irgendeine Auswahl. Diese tägliche Zufälligkeit auf eine Buch-Beliebigkeit übertragen. Vom Verlag kam der Wunsch, ein Thema zu wählen. Ich hab mir dann mehrere Themen überlegt und das einzige, was mir so wichtig war, dass ich dachte, da könnte ich ein Buch draus machen, war dann eben Vater werden.

Wenn man sich Hamburg oder Berlin ansieht, kann man schon etwas neidisch werden. Gibt es eine Kölner Comic-Szene?

Es gab hin und wieder Versuche, irgendwas zu machen. Kölner Comictage oder zum Beispiel Cosmix, das war ein Umsonst-Magazin, das man hauptsächlich in Comic-Läden bekam. Wie die meisten Anthologien im Comic-Bereich war das qualitativ aber eher durchwachsen. Es gibt einzelne Zeichner, zum Beispiel 18 Metzger. Aber eine Szene gibt es nicht und es gibt auch kein Forum. Aber immerhin gibt es überhaupt wieder eine deutsche Comicszene, das ist ja auch schon was.

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Ewig im Rampenlicht http://www.philtrat.de/articles/1364/ Das Internet vergisst nichts. Ein Medienrechtler fordert deshalb, dass Daten automatisch gelöscht werden müssen. Fri, 19 Oct 2007 18:40:16 GMT http://www.philtrat.de/articles/1364/ Julia Groth Wenn Ghyslain Raza in zehn Jahren das Haus verlässt, kann es sein, dass immer noch Menschen auf ihn zeigen und lachen. Denn Raza, besser bekannt als das »Star Wars Kid«, genießt einen zweifelhaften und vor allem unfreiwilligen Ruhm. Im Jahr 2002 filmte sich der damals 14-jährige Kanadier dabei, wie er einen Golfballsammler schwang wie ein Lichtschwert aus den Star Wars-Filmen. Klassenkameraden fanden das Video und luden den Kurzfilm ohne Razas Wissen ins Internet, wo Millionen Menschen über den pummeligen Teenager lachten - und es gelegentlich immer noch tun. Denn was einmal frei zugänglich ins Internet gelangt ist, lässt sich nicht mehr zurück-, dafür aber meist beliebig oft und lange abrufen. Der Medienrechtler Viktor Mayer-Schönberger von der US-Universität Harvard fordert deshalb, dass künftig nur noch Daten ins Netz gestellt werden sollen, die nach einer bestimmten Frist automatisch gelöscht werden. »Ich sehe unsere Gesellschaft bedroht«, sagte Mayer-Schönberger gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa). Menschen seien so veranlagt, erklärte der Medienrechtler, dass sie die meisten aufgenommenen Informationen wieder vergäßen. So stufe man Neues automatisch wichtiger ein als Vergangenes. Das Internet habe diesen Prozess jedoch gestört, weil es relevante ebenso wie irrelevante Daten für jeden immer zur Verfügung stelle. »Das führt dazu, dass Google mehr über uns weiß als wir selbst«, sagte Mayer-Schönberger der dpa. Softwarehersteller sollten deshalb eine Art Daten-Verfallsdatum in ihre Produkte einbauen, das Nutzer nach Wunsch verlängern können. Besonders für Job-Suchende können sich längst vergessene Party-Fotos und Urlaubsvideos, die vor Jahren ins Internet gestellt wurden, schnell als Katastrophe erweisen. Meyer-Schöneberger nennt als Beispiel den Fall einer angehenden Lehrerin in den USA, der ihr Diplom verweigert wurde, als die Universitätsleitung im Internet ein Foto von ihr im Piratenkostüm mit einem Glas in der Hand entdeckte. Wenn SchülerInnen das Bild mit dem Titel »Betrunkener Pirat« fänden, könnten sie die Frau nicht mehr als Lehrerin und Vorbild respektieren, so die Begründung. Auch in Netzwerken wie dem StudiVZ stellen viele NutzerInnen persönliche, teils kompromittierende Daten und Bilder frei zur Verfügung. In einer Zeit, in der PersonalleiterInnen sich nicht immer mit dem Lebenslauf zufriedengeben, sondern BewerberInnen teils mit Suchmaschinen nachrecherchieren oder sogar gezielt in sozialen Netzwerken nach ihnen suchen, kann das zum Nachteil werden. Wer sich zum Beispiel bei einer Spedition als FahrerIn bewirbt, aber Mitglied der StudiVZ-Gruppe »Die Straßenverkehrsordnung behindert meinen Fahrstil« ist, hat so möglicherweise unabsichtlich seine Chancen auf eine Anstellung verbaut.

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Aufstand der Ja-Sager http://www.philtrat.de/articles/1336/ Die politische Aktivistengruppe The Yes Men sorgt mit ungewöhnlichen Aktionen regelmäßig für Aufsehen. Zuletzt propagierten zwei ihrer Mitglieder einen Brennstoff aus Leichen. Fri, 20 Jul 2007 18:10:45 GMT http://www.philtrat.de/articles/1336/ Gregor Leyser Die Erwartungen der BesucherInnen der Ölmesse im kanadischen Calgary Mitte Juni waren hoch. Zwei vermeintliche Repräsentanten der US-amerikanischen Mineralölindustrie hatten sich angekündigt, um über die Zukunft der Energiepolitik zu sprechen. Sie hatten wichtige politische Bekanntmachungen versprochen. Aufsehen erregend waren die Redebeiträge der sich als Shepard Wolff und Florian Osenberg vorstellenden Herren dann tatsächlich. Mit ihren Vorschlägen zur Lösung der Energiefrage hatte wohl niemand gerechnet.

Vivoleum nannten sie den Stoff, mit dem sie auf das absehbare Versiegen fossiler Brennstoffquellen reagieren wollen: Rohöl, gewonnen aus Leichen. Um Nachschub brauche man sich nicht zu sorgen, da bei der gegenwärtigen Energiepolitik die Todesfälle durch klimabedingte Umweltkatastrophen ein schier unerschöpfliches Reservoir böten. Fast interessanter als die Ausführungen der angeblichen Fachleute war die Reaktion der Messe-OrganisatorInnen. Erst nachdem die beiden Redner den Vortrag auf die Spitze getrieben und zwei angeblich aus Vivoleum gefertigte Kerzen abgebrannt hatten, wies man die Saalordner an, die beiden Redner zu entfernen.

Hinter der Aktion standen die Polit-Aktivisten The Yes Men, die damit auf die verfehlte Energiepolitik der führenden Industrienationen aufmerksam machen wollten. Seit den Neunzigerjahren benutzen sie dieselbe Taktik, um öffentlichkeitswirksam auf Missstände hinzuweisen. Sie geben sich als Vertreter internationaler Institutionen und Unternehmen aus und veröffentlichen Verlautbarungen, in denen sie die Politik ihrer angeblichen ArbeitgeberInnen bis zum Erreichen der Schmerzgrenze zu Ende denken. Als sehr nützlich dafür erwies sich die Registrierung der Internetdomain gatt.org, auf der die Yes Men einen vermeintlichen Internetauftritt der World Trade Organization (WTO) platzierten. So erhielten sie eine Reihe von Einladungen zu internationalen Tagungen.

Nachdem auf vielen Konferenzen Yes-Men-Konzepte wie der Handel mit Menschenrechtsverletzungen, konzeptionell vergleichbar mit dem Emissionshandel, unkritisch aufgenommen wurden, legte die Gruppe deutlich an Radikalität zu. So präsentierte sie unter anderem die Idee, menschliche Exkremente zu recyceln, um damit den Hunger in Afrika zu bekämpfen. 2002 bekam ein Yes Man als vermeintlicher Repräsentant der WTO große Zustimmung, als er in einer Rede verkündete, dass sich die WTO in ihrer bisherigen Form auflöse. Sie werde in Zukunft eine Organisation sein, die statt für die Interessen von Großkonzernen für die Unterstützung von Armen eintreten wolle.

In einer Verlautbarung zum 20. Jahrestag der Chemiekatastrophe im indischen Bhopal schlüpfte ein Yes Man in die Rolle eines Sprechers des Dow-Chemical Konzerns. Als Eigentümer des Unternehmens, das die damalige Katastrophe verschuldet hatte, wolle man sich seiner Verantwortung stellen und die betroffenen Familien mit zwölf Milliarden Dollar entschädigen. Mit dieser Ankündigung erreichten sie, dass die Dow-Aktie zeitweise in den Keller fiel. Ebenfalls als Dow-Repräsentanten stellten sie im gleichen Jahr BankerInnen den Acceptable Risk Calculator vor. Dieser sollte Firmen helfen, Standorte für Fabriken in Gegenden zu finden, wo die Bevölkerung bereit ist, ein hohes Unfallrisiko zu akzeptieren. Das Programm erntete großen Beifall. Einige BankerInnen ließen es sich nach der Veranstaltung nicht nehmen, mit Gilda, the Golden Skeleton, dem angeblichen Maskottchen des Konzerns, für Erinnerungsfotos zu posieren.

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Girls just wanna have fun http://www.philtrat.de/articles/1335/ Mitte Mai lief in den USA die letzte Folge der Fernsehserie Gilmore Girls Fri, 20 Jul 2007 18:09:06 GMT http://www.philtrat.de/articles/1335/ Thomas Hemsley Am 15.Mai wurde in den USA die letzte Folge der Fernsehserie Gilmore Girls ausgestrahlt. Ihre Fans schätzen vor allem den Humor und die vielen popkulturellen Anspielungen und sehen die Serie als ein Musterbeispiel für intelligente Unterhaltung. Auch das überdurchschnittlich schnelle Sprechtempo und die vielen Dialoge heben Gilmore Girls von ähnlich konzipierten Serien ab.

Die erste Folge flimmerte am 5. Oktober 2000 über die US-amerikanischen Bildschirme. Die Drehbuchautorin Amy Sherman-Palladino erdachte die Serie über die junge, allein erziehende Mutter Lorelai Gilmore und ihre Tochter Rory. Die beiden wohnen in dem fiktiven Ort Stars Hollow und führen, umgeben von skurrilen, aber liebenswerten Charakteren, ein Leben, das geprägt ist von Freundschaft, Essen, ausgiebigen Film- und Fernsehabenden und dem Interesse an Literatur und Musik. Lorelai versucht, zusammen mit einer Freundin ein kleines Hotel zu eröffnen und ihrer Tochter das Studium an der Universität Harvard zu ermöglichen. Rory schlägt sich währenddessen mit den Problemen des Erwachsenwerdens herum. Um ihre Chancen auf Harvard zu erhöhen, muss sie eine teure Privatschule besuchen, weswegen Lorelai widerwillig ihre reichen Eltern um Geld bittet. Diese nutzen die Chance, sich in das Leben ihrer Tochter und Enkeltochter einzumischen.

Die Szenen mit Rorys Großeltern sind oft beeindruckende Darstellungen von emotionaler Kälte, dem einengenden Korsett überkommener Traditionen und Rituale und dem Snobismus des amerikanischen Geldadels. Die Hausmädchen werden gewechselt wie sonst nur Kostüme für die Bälle, die besucht werden müssen, und es ist von entscheidender Bedeutung, wer beim Treffen der Töchter der amerikanischen Revolution zuerst Tee serviert bekommt. Firmen werden fusioniert und Karrieren zerstört, während man sein Golf-Handicap aufbessert. Die Lebensplanung der jeweils jüngsten Generation wird eher von der Klassenzuteilung auf der Mayflower bestimmt als von den Wünschen und Entscheidungen der Betroffenen.

Oberflächlich betrachtet könnte man die Serie leicht als familientaugliche Seifenoper mit dem Figurenkabinett einer Sitcom abtun. Man könnte auch die Dichte der popkulturellen Referenzen als Selbstzweck auffassen. Das würde Gilmore Girls jedoch nicht gerecht. Zu liebevoll ist der Mikrokosmos Stars Hollow in Bezug auf EinwohnerInnen, Geschichte und Festivitäten ausgefeilt. Auch die Tiefe, mit der gezeigt wird, wie junge Menschen mit Wünschen und Begabungen von gesellschaftlichen Konventionen, der Familie und dem starren Bildungssystem unter Druck gesetzt werden, ist bemerkenswert. Und dass sich die Charaktere über Jane Austen, Charles Bukowski und Metallica unterhalten, ist kein kulturelles Namedropping, sondern bietet ihnen einen Kommunikationsrahmen. Wie im richtigen Leben also.

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Zurück zur Vielehe http://www.philtrat.de/articles/1268/ Das kirgisische Parlament hat angekündigt, über einen Gesetzesentwurf zu diskutieren, der Polygamie wieder erlaubt. Diese wurde zu Sowjetzeiten verboten. Fri, 27 Apr 2007 20:10:35 GMT http://www.philtrat.de/articles/1268/ Alexandra Streck Das kirgisische Parlament hat angekündigt, über einen Gesetzesentwurf zu diskutieren, der Polygamie wieder erlaubt. Diese wurde zu Sowjetzeiten verboten. Gegenwärtig sieht der entsprechende Artikel des kirgisischen Strafgesetzbuches für Polygamie bis zu zwei Jahre Haft vor. Hintergrund der geplanten Diskussion ist, dass Polygamie trotz des Verbots im Land praktiziert wird und die Zahl der Vielehen in den letzten Jahren gestiegen ist. Darüber hinaus könne so das Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen ausgeglichen werden, argumentiert Justizminister Marat Kajpow.

Seit dem Ende der Sowjetunion haben zirka eine Million kirgisischer Männer auf der Suche nach Arbeit das Land verlassen. Die zurückbleibenden Frauen haben kaum eine Chance, finanziell für sich selbst zu sorgen. Deshalb ziehen viele Kirgisinnen es vor, die zweite, dritte oder vierte Ehefrau eines wohlhabenden Mannes zu werden.

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Schweizer Invasion http://www.philtrat.de/articles/1267/ Anfang März sind Schweizer Soldaten in den Nachbarstaat Liechtenstein einmarschiert. Laut eines Schweizer Militärsprechers hatte sich der 170 Mann starke bewaffnete Trupp bei einem Manöver in den Alpen verlaufen. Fri, 27 Apr 2007 20:09:57 GMT http://www.philtrat.de/articles/1267/ Beate Schulz Anfang März sind Schweizer Soldaten in den Nachbarstaat Liechtenstein einmarschiert. Laut eines Schweizer Militärsprechers hatte sich der 170 Mann starke bewaffnete Trupp bei einem Manöver in den Alpen verlaufen. Über Nacht waren Kommandeur und Mannschaft von schlechtem Wetter überrascht worden, hatten die Orientierung verloren und waren versehentlich mehrere Kilometer in Liechtensteiner Staatsgebiet vorgedrungen. Liechtenstein wird voraussichtlich nicht militärisch reagieren, obwohl die Schweiz das Fürstentum nun bereits zum zweiten Mal angegriffen hat. Im Winter 1985 waren bei einer Artillerieübung Schweizer Raketen über das Ziel hinaus geschossen und hatten auf Liechtensteiner Hoheitsgebiet einen Waldbrand verursacht.

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»Bedenkliches Desinteresse« http://www.philtrat.de/articles/1265/ Die polnischen Opfer des Zweiten Weltkriegs finden in Deutschland zu wenig Beachtung - dafür rücken die deutschen Vertriebenen immer mehr in den Mittelpunkt, sagt der Polen-Experte Oliver Hinz. Fri, 27 Apr 2007 20:01:19 GMT http://www.philtrat.de/articles/1265/ Kathrin Ohlmann Die Diskussion darüber, wie viel Mitgefühl man deutschen Vertriebenen spenden darf, ohne Opfermythen zu bedienen, hat durch den Fernsehfilm Die Flucht neue Nahrung bekommen. Für die philtrat sprach Kathrin Ohlmann mit dem freien Journalisten und Experten für deutsch-polnische Beziehungen Oliver Hinz über die Klagen deutscher Vertriebener und die Befürchtung vieler Polen, ihren Landbesitz an Deutsche zu verlieren. Der Historiker Peter Steinbach war als Berater für den Fernsehfilm Die Flucht tätig und sagt: »Wir als Historiker müssen lernen, Leidens-, Unterdrückungs- und Verfolgungsgeschichten in ihrer Gleichzeitigkeit wahrzunehmen.« Ist das exemplarisch für den aktuellen Diskurs über die deutsche Geschichte?Ich finde es natürlich legitim, auch die deutschen Opfer zu behandeln. Aber dass der Bundesrat vor wenigen Jahren beschlossen hat, dass es einen nationalen Gedenktag für die deutschen Opfer der Vertreibung geben soll, und dass in diesem Beschluss stand, dass alle Opfer auf eine Stufe gestellt werden müssten, ist ein Skandal. Den Gedenktag gibt es zwar nicht, aber es gibt die Tendenz, dass viele nicht mehr kritisieren, dass man die deutschen Opfer zur sehr in den Mittelpunkt stellt und die anderen vergisst. Ich finde es bedenklich, dass es in Deutschland so wenig Wissen über und so viel Desinteresse an zum Beispiel den polnischen Opfern gibt. Hat sich die deutsche Vertriebenen-Debatte in den letzten Jahren verändert?Ich denke, bei der jetzigen Debatte vergisst man, welche Opfer deutscher Täter und deutscher Verbrechen es gibt. Die Deutschen werden immer mehr als Opfer wahrgenommen. Wie wird diese Entwicklung in Polen gesehen?In Polen wird von sehr vielen, von Politikern, Wissenschaftlern, Presse, angenommen, dass die Deutschen die polnischen Opfer vergessen und nur noch die deutschen Opfer sehen. Aber man kann ja auch sowohl der deutschen als auch der polnischen Opfer gedenken. Theoretisch auch in einem Zentrum gegen Vertreibungen, denn es gibt ja auch polnische Vertriebene. Wenn es gelingen würde, dass man auch die polnischen und die anderen Opfer wahrnimmt, wäre das ein Gewinn und näher an der Wahrheit. Wie werden der Bund der Vertriebenen (BdV) und deren Vorsitzende, die CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach, in Polen gesehen?Erika Steinbach ist in Polen für die meisten Menschen eine Unperson. Das ist auch verständlich, denn was in Deutschland leider oft vergessen wird, ist, dass Erika Steinbach Anfang der Neunzigerjahre gegen den deutsch-polnischen Grenzvertrag gestimmt hat. Die Gesellschaft Preußische Treuhand will ehemalige Besitztümer und Land von Vertriebenen in den früheren Ostgebieten des Deutschen Reichs einklagen. Wie wird das in Polen gesehen?In einer Umfrage im Juni 2004 sagten 61 Prozent der befragten Polen, dass sie es für wahrscheinlich halten, dass die deutsche Regierung eines Tages ehemalige deutsche Besitztümer und Gebiete zurückfordern wird. Es gab vor einigen Jahren auch schon gewonnene Prozesse von deutschen Spätaussiedlern. Sie sind wieder Eigentümer geworden, und nun müssen die polnischen Bewohner der Häuser Miete an Deutsche zahlen. Weil es solche Fälle gibt, ist es wichtig, dass die deutschen Politiker deutlich machen, dass es nicht ihr Ziel ist, Eigentum und Land zurückzufordern, und klar sagen, dass die Preußische Treuhand nicht für ganz Deutschland spricht. Erika Steinbach distanziert sich von den Entschädigungsforderungen der Preußischen Treuhand, aber es gibt personelle Verstrickungen zwischen dem BdV und der Treuhand. Der stellvertretende Vorsitzende des BdV Hans-Günther Parplies sitzt beispielsweise dort im Aufsichtsrat. Wie sehen Sie Steinbachs Position zur Preußischen Treuhand?Sie distanziert sich von der Preußischen Treuhand, aber eine richtige Trennung gibt es leider nicht. Es gibt eine indirekte Zusammenarbeit, da Steinbach Parplies bisher nicht aus dem BdV-Vorstand ausgeschlossen hat. Aber auch die rot-grüne Bundesregierung hat in dieser Beziehung Fehler gemacht. Deutsche Bundesbehörden haben den deutschen Vertriebenen noch unter der Regierung von Gerhard Schröder nahe gelegt, in Polen zu klagen, um Geld vom Staat zu bekommen. Wenn in Deutschland vergessen wird, wie mitschuldig die deutsche Regierung an diesen Klagen war, dann will man das Problem leider nicht wahrhaben. Viele vergessen, dass die Bundesregierung einmal fast die Position der Preußischen Treuhand eingenommen hat. Welche Position liegt der Ausstellung »Erzwungene Wege«, die vom BdV in Berlin Ende letzten Jahres gezeigt wurde, und dem geplanten Zentrum gegen Vertreibungen zugrunde?Was ich an der Ausstellung vor allem beanstande, sind die Videos, in denen Opfer schildern, was ihnen widerfahren ist. Da tauchen Betroffene aus vielen Ländern auf, natürlich auch deutsche, aber es gibt kein einziges Video von polnischen Vertreibungsopfern, von denen es ungefähr eine Million gegeben hat. Natürlich hat Erika Steinbach als politisches Ziel, dass man in Ewigkeit der deutschen Vertreibungsopfer gedenkt. Sie konnte ihre Ausstellung letztlich in einem Gebäude des Bundes machen, dem Kronprinzenpalais in Berlin. Auch daran sieht man, dass die Kritik und der Widerstand gegen das Zentrum gegen Vertreibungen stark abgenommen haben. Diese Ausstellung war sozusagen der europäischste und unproblematischste Teil des von Erika Steinbach angestrebten Zentrums. Das andere ist dann nur noch der deutsche Teil, die deutsche Sicht und zeigt den Opferstatus der Deutschen.

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Stichwort: Vertriebenenpolitik http://www.philtrat.de/articles/1264/ Fernseh-Zweiteiler Die Flucht Anfang März haben über zehn Millionen ZuschauerInnen in Deutschland den ARD-Zweiteiler Die Flucht gesehen. Fri, 27 Apr 2007 19:56:08 GMT http://www.philtrat.de/articles/1264/ Kathrin Ohlmann Fernseh-Zweiteiler Die FluchtAnfang März haben über zehn Millionen ZuschauerInnen in Deutschland den ARD-Zweiteiler Die Flucht gesehen. Fiktional stellt er die Vertreibung Deutscher aus Ostpreußen dar, indem er die Geschichte einer ostpreußischen Gräfin erzählt, die im Winter 1944/1945 vor der nahenden Front flüchtet und einen Flüchtlingstreck aus Ostpreußen nach Bayern anführt. Die Presse reagierte überwiegend positiv auf die Produktion und begrüßte sie als willkommenen Impuls für eine nationale Debatte über die Leiden der deutschen Vertriebenen. Bund der Vertriebenen Der Bund der Vertriebenen (BdV) ist der Dachverband der deutschen Vertriebenenverbände. Diese sind als Organisationen der deutschen Heimatvertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden. Nach eigenen Angaben haben die Verbände ungefähr zwei Millionen Mitglieder. Vorsitzende des BdV ist die CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach. Ihre Forderung nach einem Zentrum gegen Vertreibungen in Berlin ruft besonders in Polen Protest hervor. Für Aufruhr in Polen sorgte ihre Äußerung, die derzeitige polnische Regierung unter Jaroslaw Kaczynsky sei «rechtsextrem«. Der Bund der Vertriebenen wird mit Geldern des Bundes gefördert. Preußische Treuhand Die Preußische Treuhand (PH) ist eine Gesellschaft, die Eigentumsansprüche enteigneter BewohnerInnen der ehemaligen Ostgebiete des Deutschen Reiches durchsetzen will. Diese Gebiete gehören heute zu Polen und zur Tschechischen Republik. Die PH hat 2006 Polen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte auf Entschädigung verklagt. Sie wurde im Jahr 2000 von Funktionären der Vertriebenenverbände Landsmannschaft Schlesien und Ostpreußen gegründet. Sie hat ihren Sitz in Düsseldorf. Besonders seit dem Beitritt Polens zur EU im Mai 2004 sieht die PH ihre Chancen gewachsen.

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Frauen an die Wahlurnen http://www.philtrat.de/articles/1235/ Das Bonner Frauenmuseum zeigt noch bis Mitte April die Ausstellung »Mit Macht zur Wahl«. Mit historischen und künstlerischen Exponaten beleuchtet sie die Geschichte des Frauenwahlrechts in Europa. Fri, 23 Feb 2007 19:25:57 GMT http://www.philtrat.de/articles/1235/ Kathrin Ohlmann »Die Frau, die denkt, ist gleich dem Manne, der Rot auflegt - lächerlich.« Das Schild mit Lessings Zitat sticht den BesucherInnen sofort ins Auge, wenn sie den ersten Ausstellungsraum betreten. Es gehört zu einer Sammlung von Schildern, Fotografien und Kleidungsstücken, die mit Sicherheitsnadeln und Schnüren an einem bunten Metallgefährt befestigt sind. Die Exponate sollen die Lebenswirklichkeit der Frauen im 18. und 19. Jahrhundert näher bringen. Die Künstlerin Ulrike Oeter nennt ihr Werk »mobiles Straßenmuseum«, denn es steht nicht nur zur Ansicht im Frauenmuseum. Oeter geht mit dem Wagen, den sie auch als »Gedächtnis auf Rädern« bezeichnet, des Öfteren auf Tour durch die Bonner Innenstadt, um mit PassantInnen ins Gespräch zu kommen.

Neben dieser künstlerischen Hinführung zum Ausstellungsthema bietet die wissenschaftliche Einführung einen kurzen Überblick über den Kampf um das Frauenwahlrecht und über die unterschiedlichen Zielsetzungen der Frauenrechtlerinnen. Die sozialistischen Frauen forderten das allgemeine und gleiche Wahlrecht für Frauen wie für Männer. Die Verbände bürgerlicher Frauen waren dagegen uneins über die Frage nach allgemeinem oder eingeschränktem Stimmrecht und ob das Privileg des Wählens für Steuerzahlerinnen, für Frauen der Oberschicht oder für gebildete Frauen gelten sollte. Ein wichtiger Schritt zur Vernetzung internationaler Gruppen der bürgerlichen Frauenbewegung fand 1904 bei der internationalen Frauenkonferenz in Berlin statt. Hier wurde der Weltbund für das Frauenstimmrecht gegründet. Die sozialistischen Frauen organisierten sich zunächst in der Fraueninternationalen. Erst mit dem Ende des Ersten Weltkriegs arbeiteten bürgerliche und sozialistische Aktivistinnen in Deutschland zusammen und erkämpften bei der Gründung der Weimarer Republik 1918 das allgemeine Wahlrecht für Frauen.

Der erste Teil der Ausstellung zeichnet die Entwicklung des Frauenwahlrechts in Deutschland nach und porträtiert verschiedene Aktivistinnen anhand ihrer Lebensgeschichten, beispielsweise die in der Revolution 1848 aktive Johanna Kinkel oder die Sozialistin Rosa Luxemburg. Der zweite Teil hingegen stellt die Geschichte der Frauenbewegung in den einzelnen europäischen Ländern dar. Die skandinavischen Länder waren die ersten in Europa, in denen Frauen das allgemeine, gleiche Wahlrecht bekamen. In Finnland können Frauen seit 1906 wählen und gewählt werden. Die meisten mitteleuropäischen Staaten führten das Frauenwahlrecht nach dem Ersten Weltkrieg ein. Als letzte Länder im europäischen Raum etablierten 1971 die Schweiz und 1984 Liechtenstein das Stimmrecht für Frauen. Dem Kampf der militanten Frauenrechtskämpferinnen in Großbritannien, den Suffragetten, widmet die Ausstellung einen eigenen Schwerpunkt.

Das Besondere an der Europa-Sektion ist das Zusammenspiel von historischer und künstlerischer Aufarbeitung des Themas. Jedes Land hat einen eigenen Bereich, in dem auf großen Tafeln die Geschichte der Frauenbewegung dokumentiert ist. Außerdem stellen Künstlerinnen der jeweiligen Länder durch ein Kunstwerk ihre eigene Sicht der Dinge dar. Die Ausstellung präsentiert sich interessant und ungewöhnlich, obwohl sich manche Texte holprig lesen und zuweilen etwas undifferenziert sind. Die Ausstellung läuft noch bis zum 15. April.

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Kotzender Müntefering http://www.philtrat.de/articles/1234/ Erik Gedeons Theater-Parodie über die Großen Koalition kann nicht überzeugen Fri, 23 Feb 2007 19:24:41 GMT http://www.philtrat.de/articles/1234/ Christina Rietz Ein fauler Gesundheitskompromiss, eine fiese Mehrwertsteuererhöhung und eine Debatte über die Gesichtsbehaarung von Hartz-IV Empfängern. Die Große Koalition liefert genügend Stoff für eine Satire, die das Absurde im politischen Alltag geißelt. Erik Gedeons Versuch einer Politsatire startete unlängst im Düsseldorfer Schauspielhaus. »Große Koalition - Das Kanzleramt wie es singt und lacht« ist ein Liederabend in bewährter Gedeon-Manier, bei dem sich eine Ansammlung bekannter Schlager und Popsongs um eine recht dünne Geschichte gruppiert, die von überzeugenden SchauspielerInnen vorgetragen wird.

Zwei Parteien, »Die Einen« und »Die Anderen«, schließen unter großer Selbstbeweihräucherung einen Koalitionsvertrag. Dabei wird ganze sechs Mal die gleiche Passage aus der Präambel des echten schwarz-roten Koalitionsvertrags von 2005 vorgetragen. Doch auch im Theater hat der Koalitionsvertrag keine besonders hohe Halbwertszeit, und so stellen sich schnell die ersten Unstimmigkeiten bei den KoalitionärInnen ein. Schon bald erklingt dennoch das erste gemeinsame Lied: »Marmor, Stein und Eisen bricht.« Dabei erinnern die PolitikerInnen entfernt an reale Vorbilder. Eine Angela-Merkel-Kopie mit fliederfarbenem Blazer und watscheligem Gang dient als Kanzlerin der »Einen«. Vizekanzler der »Anderen« ist eine gelungene Parodie auf Franz Müntefering, dessen dominantes Sauerland-R zum Running Gag wird. Die übrigen Parteimitglieder sind nicht eindeutig zuzuordnen. Manchmal stoibern sie herum, bisweilen erinnern sie aber auch an Cem Özdemir oder Guido Westerwelle, auch wenn diese mit der großen Koalition wenig zu tun haben.

Der alltägliche Parteienstreit führt bald dazu, dass sich der Müntefering-Verschnitt erbrechen muss. Der Sitzungssaal wird in Wutanfällen verwüstet, jemand schreibt »Schlampe« über das Haupt der Kanzlerin.

In dieses Chaos platzt die Putzkraft Frau Hoffmann, und mit ihr die Personifikation der gemeinen Wählerin, um deren Gunst die Parteigrandezza natürlich zu buhlen beginnt. Spätestens während der Begattungsattacke der männlichen Parteimitglieder auf die arme Raumpflegerin könnten die anwesenden Studienräte mit den zugehörigen Schulklassen im Auditorium, die sich vielleicht auf etwas subtilere Komik gefreut hatten, den Theaterbesuch bereuen.

Aus dem Thema hätte Gedeon mehr machen können als die permanente Zurschaustellung der üblichen Klischees. Sie fordert Politik- und PolitikerInnenverdrossene nicht zu einer differenzierten, kritischen Sicht der Dinge auf, sondern bestärkt sie eher in ihrer »Die da oben machen doch was sie wollen« - Haltung. Wer eine bissige und intelligente Satire auf Schwarz-Rot erwartet, bekommt stattdessen Vulgärkomik jenseits aktueller Bezüge. Setzt man seine Ansprüche niedriger an, ist der Abend trotzdem eine unterhaltsame Gelegenheit zum Mitklatschen und Mitsingen.

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Vernetzte Comic-Kultur http://www.philtrat.de/articles/1193/ Dank der Möglichkeiten des Internets haben sich Webcomics seit ihren Anfängen Mitte der Neunzigerjahre rasant verbreitet. Eine Subkultur unter der Lupe. Fri, 05 Jan 2007 19:36:59 GMT http://www.philtrat.de/articles/1193/ Thomas Hemsley Nach Feierabend wollen sich die Mitarbeiter eines Kinos einen Film über ComputerspieltesterInnen ansehen. Stattdessen nutzen sie die technischen Möglichkeiten des Kinos, um ein Spiel auf der großen Leinwand zu spielen. Diese Szene findet sich in Gordon McAlpines nur im Internet veröffentlichten Comic Multiplex. Das letzte Panel des Strips zeigt die Kinomitarbeiter in der ersten Reihe sitzend und mit lautstarker Begeisterung spielend. In diesem Bild vereinen sich die Interaktivität von Computerspielen, die überwältigende ästhetische Erfahrung des Kinos und die Konzentration komplexerVorgänge in simplen Comic-Bildern. Nach Vorläufern im Usenet und den Anfängen des Internets erschien 1995 mit Charley Parkers Argon Zark! der erste richtige Webcomic. Er wurde am Computer hergestellt, nicht analog gezeichnet und dann eingescannt wie seine Vorläufer und viele aktuelle Comics. Er wurde zunächst auch nur im Internet publiziert. Parker thematisierte das Internet, indem er seinen Helden Abenteuer im Cyberspace erleben ließ. Sein Motto ist: »I link, therefore I am!« Parker passte das Seitenformat dem horizontalen Format des Computerbildschirms an und nutzte verschiedene Multimediaanwendungen. Es folgten schnell weitere Comics, die das Potenzial ausloteten: Musik, kontroverse Inhalte, die man sonst nur aus Undergroundcomics kannte, herkömmliche Gagstrips und komplexe, langfristige Storylines. Neben den herkömmlichen Genres der Printcomics, die auch im Internet weiterhin beliebt sind, wie zum Beispiel Strips mit anthropomorphen Tieren (Kevin and Kell), entwickelten sich recht schnell fanspezifische Comics, die es so in Printform nicht gibt. Zu den bekannteren gehören Comics über ComputerspielerInnen, wie PvP, oder Filmkritik-Comics wie Theater Hopper, Popcorn Picnic und eben Multiplex. Trotz des Images der sozialen Inkompetenz, Eigenbrötelei und emotionalen Distanz, das ComputerspielerInnen oder Comic-Fans immer anhaftet, ist ein großer Teil dieser so genannten Nerds und Geeks eingebunden in vielgestaltige subkulturelle Strukturen. Netzwerkpartys, Fanzines, Festivals, Conventions, Kinobesuche mit der Clique und Fachgeschäfte als Treffpunkte sind einige der Varianten, »realen« Kontakt zu anderen Fans zu haben. Das Internet erweitert das Spektrum der Möglichkeiten auf eine globale Ebene. Dieser Umstand und die vielen Schnittstellen der einzelnen Subkulturen sorgen dafür, dass die inzwischen schon sehr vielfältige Webcomic-Kultur schnell wächst. Das lässt sich wohl damit erklären, dass das Internet allen Personen mit Computer und Internetanschluss ermöglicht, ihre Meinung kund zu tun. Genauso können alle, die glauben, zeichnen zu können, einen Comic veröffentlichen. Da die meisten UserInnen Fans sind und es sich anbietet, Comics über etwas zu machen, womit man sich auskennt, kommentieren die genannten Comics nicht nur Spiele und Filme, sondern auch mit einer großen Prise Ironie die Lebensstile und die klischeehaften Eigenschaften der Gleichgesinnten. Dadurch werden in den besten Fällen das Publikum und die Industrie so witzig wie treffend beleuchtet. Ebenso schnell wie die Kunstform entwickelte sich auch eine Infrastruktur der Distribution und des Austauschs. »Verlage« wie Keenspot, Onlinezeitschriften wie der Webcomics Examiner und Foren wie Comixpedia bieten den KünstlerInnen und KonsumentInnen eine Plattform. Die meisten KünstlerInnen haben auf ihren eigenen Seiten Gästebücher oder Blogs. Es gibt Merchandising-Artikel und Links zu den Lieblingscomics der einzelnen AutorInnen. Die Szene ist gut vernetzt. Sind KünstlerInnen verhindert oder wollen eine Pause einlegen, überbrücken GastzeichnerInnen die Wartezeit, oder Charaktere aus dem einen Comic tauchen im anderen auf. Damit kommt die Webcomicgemeinde nah an die Verwirklichung des »Global Village«-Gedankens der Multimediawelt heran. Von Anfang an waren Comics als Gebrauchskunst für die Zeitung lesenden Massen gedacht. Sie wurden meist in Teamarbeit von mehrköpfigen Studios produziert, am Frühstückstisch von der ganzen Familie gelesen und in Heften gesammelt auf Schulhöfen hin- und hergetauscht. Aber auch inhaltlich spielt Gemeinschaft im Comic oftmals eine große Rolle. Ob SuperheldInnengruppen, die Peanuts um Charlie Brown, das kleine unbeugsame gallische Dorf oder Schlumpfhausen: Freundschaft, Kommunikation, Gruppenzugehörigkeit und Teamwork sind hier wichtige Elemente.

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Der schneller schrieb als sein Schatten http://www.philtrat.de/articles/1162/ René Goscinny erlangte als Comic-Autor weltweite Berühmtheit. Er textete für bekannte Comicserien wie Asterix und Lucky Luke. Fast dreißig Jahre nach seinem Tod ist er immer noch unvergessen. Fri, 13 Oct 2006 18:40:24 GMT http://www.philtrat.de/articles/1162/ Thomas Hemsley Herauszufinden, wie viele EuropäerInnen mit Goscinnys Werken, vor allem den Asterix-Geschichten, lesen gelernt haben, wäre sicher eine Umfrage wert. Fest steht jedenfalls, dass er zu den meist gelesenen AutorInnen Europas gehört. Das war noch nicht abzusehen, als er am 14. August 1926 als Sohn polnischer Juden in Paris geboren wurde und in Argentinien aufwuchs. Als er im Jahr 1945 in die Vereinigten Staaten ging, um für Walt Disney zu arbeiten - wozu es nicht kam -, war er schon ein Weltbürger im besten Sinne. In den USA lernte er Harvey Kurtzman und weitere spätere AutorInnen und ZeichnerInnen des MAD-Magazin kennen. Kurtzman verschaffte ihm Gelegenheitsarbeiten in der Werbebranche. Außerdem lernte er Maurice de Bévère kennen, später besser bekannt als Lucky-Luke-Erfinder Morris. Im Jahr 1950 kehrte Goscinny nach Europa zurück, wo er sich zunächst als Zeichner an einigen eigenen Comicserien versuchte, zum Beispiel der kurzlebigen Detektivparodie Dick Dicks. 1951 lernte er Albert Uderzo kennen. Ihre ersten gemeinsamen Gehversuche machten sie, mit Uderzo als Zeichner und Goscinny als Szenaristen, unter anderem mit den Geschichten um den Indianer Umpah-Pah. 1955 bat Morris Goscinny, seine schon begonnene Serie Lucky Luke zu schreiben. Mit der Geschichte Die Eisenbahn durch die Prärie - ab diesem Jahr erstmals auch als reguläres Album in Deutschland erhältlich -, begann die fruchtbare Zusammenarbeit, die bis zu Goscinnys Tod bestand. In über dreißig Alben, mehreren Kurzgeschichten und zwei Zeichentrickfilmen parodierten sie historische Ereignisse und Figuren der USA wie den Run auf Oklahoma, den Pony-Express, Jesse James und Billy the Kid. Vor allem porträtierten sie den bekannten Mythos »Wilder Westen« mit seinen Revolverhelden, Saloon-Schlägereien und Ritten in den Sonnenuntergang. Das Jahr 1959 war in zweierlei Hinsicht ein bedeutendes Jahr für Goscinny. Er gründete mit einigen Kollegen das Magazin Pilote, dessen Chefredakteur er bis 1974 war. Unter seiner Leitung war das Magazin nicht nur ein Forum für ihn und seine Freunde, sondern auch eine Talentschmiede, die bedeutenden KünstlerInnen der frankobelgischen Comicszene wie Jean-Marc Reiser und Jean Giraud alias Möbius ihre erste Chance gab. Außerdem schuf er zusammen mit Uderzo Asterix. Die Geschichten um den Helden Asterix, seinen Freund Obelix und ihr kleines gallisches Dorf wurden schnell zu einem Mythos, einem französischen Trivialepos und einem unglaublichen internationalen Erfolg. Die Höhen der Auflagen betrugen jeweils mehrere Millionen mit Übersetzungen in rund achtzig Sprachen, darunter deutsche Mundarten und Latein. Mehrere Hefte wurden als Zeichentrick- oder Spielfilme adaptiert. Aus Goscinnys Feder stammen auch die etwas weniger erfolgreichen Isnogud-Geschichten, gezeichnet von Jean Tabary, über den Großwesir, der Kalif anstelle des Kalifen werden will. Außerdem verfasste er etwa 160 Kurzgeschichten um den kleinen Nick und seine KlassenkameradIn-nen, die auf den Kindheitserinnerungen des Illustrators Jean-Jacques Sempé beruhen. Als Goscinny am 5. November 1977 bei einem Belastungstest an einem Herzinfarkt starb, hinterließ er ein Gesamtwerk, das Tausende von Seiten füllte und nach wie vor Millionen LeserInnen aller Altersstufen begeistert.

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Der Tod geht auf Tournee http://www.philtrat.de/articles/1161/ Eine Ausstellung im Museum Schnütgen zeigt Bilder von Tod und Sterben Fri, 13 Oct 2006 18:39:13 GMT http://www.philtrat.de/articles/1161/ Claudia Drenske »Vielleicht kannst du sie ja endlich zum Schweigen bringen…« - so könnte man die Bildunterschrift eines der Gemälde von Thomas Rowlandson aus der Bilderreihe »The English Dance of Death« frei übersetzen. Eine keifende und zeternde Frau wird vom Tod fortgeführt. Der hat es offenbar nicht leicht, denn die Frau ist recht muskulös. Ihr Ehemann scheint froh zu sein, endlich seine Ruhe zu bekommen. Diese etwas makabere Darstellung des Todes ist nur ein kleiner Teil der Ausstellung »Zum Sterben schön«, die derzeit im Museum Schnütgen zu sehen ist.

Die Themen der Ausstellung sind Alter, Totentanz und Sterbekunst von 1500 bis heute. Sie basiert auf Seminaren, die in den vergangenen zwei Jahren an den Universitäten Köln und Düsseldorf gehalten wurden. Die Veranstaltungen, die bei den Studierenden auf sehr gute Resonanz stießen, hatten das Ziel, zu zeigen, dass Kunst auch etwas mit dem Leben zu tun hat. Hiltrud Westermann-Angerhausen ist Dozentin an der Universität Düs-seldorf und gleichzeitig Direktorin des Schnütgen-Museums. Gemeinsam mit Andrea von Hülsen-Esch vom Kunsthistorischen Institut der Universität Düsseldorf rief sie die Ausstellung ins Leben. Die Studierenden waren dabei von Anfang an eingebunden. Unter anderem publizierten sie Aufsätze in den zur Ausstellung erschienenen Bänden, leiten Führungen und übernahmen die redaktionelle Gestaltung der Homepage (www.zumsterbenschoen.info).

Die Exponate der Ausstellung stammen überwiegend aus dem Bestand des Schnütgen-Museums und der Sammlung »Mensch und Tod« der Universität Düsseldorf. Einige wurden aber auch aus dem Ausland nach Köln gebracht, beispielsweise aus England und der Schweiz. Die Ausstellung konzentriert sich fast ausschließlich auf kleinformatige Gegenstände aus dem abendländischen Raum.

Neben Skulpturen und literarischen Werken werden auch Dinge gezeigt, die für den alltäglichen Gebrauch hergestellt worden sind. Dazu zählt beispielsweise Schmuck wie Anhänger mit Särgen und Skeletten oder Hutnadeln in Totenkopfform. Aber auch die warnenden Hinweise auf unseren heutigen Zigarettenschachteln finden ihre Vorläufer in Tabakdosen mit »tödlichen« Verzierungen. All diese Gegenstände zeigen, wie bereits in den vergangenen Jahrhunderten mit dem Thema Tod umgegangen wurde. Der Tod ist allgegenwärtig. Dem Ganzen übersteht der Begriff des Memento mori - sich des Todes erinnern. Ein Gegenstand, der den Blick auf sich zieht, ist eine kleine Skulptur aus Buchsbaumholz. Es ist eine Frau in der klassischen Pose der Venus, dem antiken Schönheitsideal. Die Frau ist sehr alt und bewusst hässlich gestaltet. So verblüfft die Skulptur mit der starken Diskrepanz zwischen der Vorstellung von Schönheit und der realen Vergänglichkeit.

Die Ausstellung ist noch bis zum 26. November in Köln zu sehen. Danach gastiert sie in Düs-seldorf und Recklinghausen.

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(K)einer von da oben http://www.philtrat.de/articles/1133/ Mit Richard Pryor ist einer der bedeutendsten US-amerikanischen Künstler des 20. Jahrhunderts gestorben. Er galt als das dunkle Gegenstück zu Bill Cosby und wurde zum Vorbild vieler Standup-Commedians. Fri, 21 Jul 2006 19:50:41 GMT http://www.philtrat.de/articles/1133/ Thomas Hemsley In dem 1985er-Film Zum Teufel mit den Kohlen, in dem der von Richard Pryor gespielte Charakter Monty Brewster dreihundert Millionen Dollar erbt, wenn er innerhalb von dreißig Tagen dreißig Millionen Dollar verprasst, startet der Held eine Wahlkampagne, um Geld zu verschwenden. Der Slogan seines Wahlkampfes ist: »Keinen von da oben!« Dieser Wahlspruch des rebellischen Underdogs könnte auch der Leitspruch von Richard Pryor sein.

Geboren am 1. Dezember 1940 in Peoria, Illinois, als unehelicher Sohn einer Prostituierten und ihres Zuhälters, wuchs er im Bordell seiner Großmutter auf. Dort musste er seiner Mutter bei der Arbeit zusehen, wurde als Kind vergewaltigt und war tagtäglich von Menschen umgeben, die sich am äußersten Rand des gesellschaftlichen Lebens bewegten.

Nachdem er mit 14 Jahren von der Schule flog, schlug er sich mit Gelegenheitsjobs durch, bis er eingezogen wurde und seinen Dienst in Deutschland antrat. Danach ging er Anfang der Sechzigerjahre nach New York, um auf der Bühne in die Fußstapfen seines Vorbilds Bill Cosby zu treten. Er verdiente Geld, hatte Auftritte im Fernsehen, war aber frustriert davon, nur eine Cosby-Kopie zu sein. Diese Einsicht hatte er auf der Bühne. Mitten in einem Auftritt in Las Vegas hielt er inne, sagte: »Was zum Teufel mach' ich hier!« und stapfte von der Bühne.

Als er zurückkam, war er das dunkle Gegenstück zu Bill Cosby. Wie dieser erzählte er keine Witze, sondern Geschichten. Er fing an, die finsteren Gestalten seiner Kindheit zum Bühnenleben zu erwecken, von denen er selber sagte, sie seien alle wunderbare Charaktere gewesen, »wenngleich sie nicht alle gute Menschen waren.« Pryor begann, dem schwarzen Amerika gleich mehrere Stimmen zu verleihen. Aber er lieh seinen Charakteren auch seinen Körper. Er brachte voll ausgereifte Personen auf die Bühne, komplett mit Stimme, Sprachduktus, Mimik, Gestik und Lebensgeschichte. Einer seiner beliebtesten Charaktere und wohl sein Alter Ego war der alte Kneipenphilosoph und Geschichtenerzähler »Mudbone«.

Aber Pryor beließ es nicht dabei, das Leben in den Ghettos und die Sprache der Gosse ins Bewusstsein Amerikas zu rufen. Er verkörperte auch Weiße, Tiere und seine Crackpfeife, der er die Stimme Richard Nixons gab. Er verquickte diese Rollenprosa mit den anderen Genres der Standup-Comedy: Alltagsbeobachtungen, Gesellschaftskritik, Zoten und vor allem Biografisches und füllte damit sein Bühnenprogramm, knapp zwanzig Comedy-Alben und drei Konzertfilme. Außerdem wurde er zum Vorbild für viele nachfolgende Standup-Comedians - unabhängig von Hautfarbe, Nationalität oder Geschlecht. So unterschiedliche KomikerInnen wie Eddie Murphy, Robin Williams, Roseanne und der Brite Eddie Izzard berufen sich auf seinen Einfluss.

Dieser künstlerische und kommerzielle Erfolg öffnete ihm die Türen zu Film und Fernsehen, wo er wiederum Wege für spätere afroamerikanische KünstlerInnen wie Will Smith, Chris Rock, die Wayans-Brüder und Dave Chappelle ebnete. Die inzwischen auf DVD erhältliche Richard Pryor Show war zwar sehr kurzlebig, aber dennoch wegweisend. Er schrieb am Drehbuch zu Mel Brooks Westernparodie Blazing Saddles mit, setzte die Standards für Comedy-Konzertfilme mit Richard Pryor: Live in Concert, RP: Live on Sunset Strip und RP: Here and Now, nahm mit seinen Kollaborationen mit Gene Wilder, wie zum Beispiel Transamerikaexpress, die Buddy-Movies der Achtziger- und Neunzigerjahre vorweg und erhielt die unerhörte Gage von vier Millionen Dollar für Superman III.

Aber dieser Erfolg hatte seine Kehrseite: Drogen- und Alkoholabhängigkeit, Gefängnisaufenthalte, sieben Ehen, Gewaltexzesse, Anzünden im Drogenrausch - nach eigenem Bekunden ein Selbstmordversuch - und 1986 die Diagnose Multiple Sklerose, die ihn dann in den Neunzigerjahren an den Rollstuhl fesselte. All das verarbeitete er schonungslos auf der Bühne und in dem Film JoJo Dancer, Your Life Is Calling (1986), den er auch mitschrieb und inszenierte.

Gegen Ende des Konzertfilms Richard Pryor: Here and Now verkörpert er einen Junkie; und wie er sich da kaum auf seinen Beinen halten kann, wie in Trance wirkt und das Publikum aufhört zu lachen, transzendiert Richard Pryor für einige Momente die Grenzen zwischen Tragik, Komik und bloßer Tragikomik, zwischen Rolle, seiner eigenen Person und Darstellung - man hat das Gefühl, er wäre auf der Bühne vom Geist eines toten Junkies besessen. Wenn man sich diese über zwanzig Jahre alte Aufnahme anschaut, versteht man vielleicht, was er in seiner Dankesrede für den vom Kennedy Center vergebenen Mark-Twain-Preis für Amerikanischen Humor - er war 1998 der erste Preisträger - meinte, als er sagte, dass er wie Mark Twain versucht hätte, Humor zu benutzen, um »den Hass der Menschen zu verringern«.

Richard Pryor starb am 10. Dezember 2005 neun Tage nach seinem 65. Geburtstag an Herzversagen.

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Unliebsame Vergangenheit http://www.philtrat.de/articles/1044/ Der Kölner DuMont-Verlag lässt seine Geschichte von einem Historiker aufarbeiten. Auf unangenehme Berichterstattung reagiert der Medienkonzern aber empfindlich. Kritische Journalisten landen vor Gericht. Fri, 14 Jul 2006 20:10:14 GMT http://www.philtrat.de/articles/1044/ Pascal Beucker, Wolfgang Jorzik Lange hat es gedauert. Und ganz freiwillig wirkt auch das jetzige Engagement nicht: Der Kölner Großverlag M. DuMont Schauberg (MDS) will nun endlich seine Geschichte in der Nazizeit »differenziert« aufarbeiten lassen. Auserkoren für dieses Unterfangen hat das Familienunternehmen den Frankfurter Wirtschaftshistoriker Manfred Pohl. Der 62-jährige geschäftsführende Vorsitzende des Historischen Instituts der Deutschen Bank und Honorarprofessor an der Uni Frankfurt sei ein Wissenschaftler, »dessen Unabhängigkeit und Integrität durch zahlreiche Veröffentlichungen und Forschungsprojekte unangefochten ist«, verkündete Ende Mai der Medienkonzern, zu dessen Portfolio unter anderem die Zeitungstitel Kölner Stadt-Anzeiger, Kölnische Rundschau, Express und Mitteldeutsche Zeitung zählen.

Die Berufung Pohls ist allerdings nur eine Reaktion auf die immer lauter werdende Kritik an dem bisherigen Umgang von MDS mit der eigenen, nicht gerade unbefleckten Vergangenheit. Die andere bekommen in diesen Tagen zahlreiche Journalisten und Zeitschriftenherausgeber zu spüren. Sie sehen sich juristischen Sanktionen ausgesetzt, weil sie es gewagt haben, mit despektierlichen Berichten die »Ehre« der Familie des Seniorchefs Alfred Neven DuMont zu beflecken. Laut Auskunft von MDS, dessen Aufsichtsratschef der 78-Jährige ist, sind insgesamt »inzwischen etwa ein Dutzend einstweilige Verfügungen gegen verschiedene Medien und Personen erlassen worden«.

Betroffen sind unter anderem der Spiegel, die FAZ, die Bild-Zeitung und der journalist des Deutschen Journalisten-Verbandes. Ebenso Ärger haben auch Albrecht Kieser vom in Köln ansässigen Rheinischen JournalistInnenbüro und der frühere Kölner Stadt-Anzeiger-Redakteur Peter Kleinert, die in dem kleinen Online-Magazin Neue Rheinische Zeitung einen Artikel unter dem - inkriminierten - Titel »Kein ›Widerstand‹, sondern Arisierungs-Profite« veröffentlicht hatten. Ihr Widerspruch gegen die gegen sie verhängte Verfügung war der erste, über den die Pressekammer des Kölner Landgerichts zu befinden hatte. Mitte Mai entschieden die Richter - zugunsten von Alfred Neven DuMont. Doch der Streit, um den es geht, hat sich auch durch dieses Urteil nicht entscheiden lassen. Denn er ist kein Fall des Presserechts: Es geht um die schwierige Suche nach historischer Wahrheit.

Ingo Niebel hat versucht, es Anfang März in der FAZ zu erklären: »Geschichtsklitterung ist die Stiefschwester der Geschichtswissenschaft. Letztere sucht Antworten auf Forschungsfragen zu geben, während der ersteren die Antworten vorliegen, für die sie sich die dazu passenden Fragen ausdenkt. So kann eine tiefe Kluft entstehen zwischen einem lang gehegten Geschichtsbild und den Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung.« Niebel ist der Ausgangspunkt jener Berichte, gegen die die Neven DuMonts gegenwärtig zu Felde ziehen. Der Kölner Journalist und Historiker - auch er mit mehreren einstweiligen Verfügungen überzogen - hatte Grundstücksgeschäften der Neven DuMonts in der Nazi-Zeit nachgespürt. Die Quintessenz seiner Recherchen brachte anschließend der Spiegel auf den Punkt: Die traditionsreiche Verlegerfamilie inszeniere sich »gern als Opfer der Nazis«, habe tatsächlich jedoch »zu den Profiteuren der ›Arisierungen‹« gehört.

Ein Vorwurf, den das Verlagshaus empört zurückweist und gegen den der Firmenpatriarch mit aller Macht juristisch vorgeht. Seine Hausanwälte von der renommierten Kanzlei Linklaters Oppenhoff & Rädler schreiben in ihren Schriftsätzen im Verfahren gegen Kieser und Kleinert von einer »Kampagne«, bei der es nicht um Information, sondern »einzig und allein darum« gehe, Alfred Neven DuMont »niederzuschreiben«. Denn dieser sei der Gegenseite ein »verhasstes Subjekt«. Niebels Arbeit sei ohnehin völlig unseriös: »An diesen ›historischen Forschungen‹ ist kein einziges Wort wahr.« Niebel sei nur ein »Pseudo-Historiker«.

Dabei ist der Kern seiner Recherchen unstrittig. Tatsächlich erwarben die Neven DuMonts und die Versorgungskasse des Verlags ab 1938 mehrere Grundstücke, die sich zu Beginn der Nazi-Barbarei noch in jüdischem Besitz befunden hatten. Tatsache ist auch, dass diese Grundstücke nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst von den Alliierten mit einem Sperrvermerk versehen worden waren. An der Interpretation dieser Fakten scheiden sich jedoch die Geister. Das liegt nicht zuletzt an der Frage, was unter dem Begriff »Arisierung« zu verstehen ist. Unter Berufung auf die anerkannte Bonner Historikerin Britta Bopf versteht Niebel darunter »einen Prozess mit unterschiedlichen Phasen und Arten der Ausplünderung zwischen 1933 und 1941/45«. So seien bereits vor der ab 1938 gesetzlich forcierten »Arisierung« jüdische Bürger in finanzielle Notlagen gebracht worden, die es verhinderten, dass überhaupt noch Geschäfte auf Augenhöhe zwischen Nicht-Juden und Juden stattfinden konnten.

Die Anwälte Neven DuMonts argumentieren demgegenüber, es käme »nicht darauf an, wie der Begriff ›Arisierung‹ unter Umständen möglicherweise in der Wissenschaft verwendet wird«. In einer presserechtlichen Auseinandersetzung sei vielmehr »alleine entscheidend, wie ein unvoreingenommener Durchschnittsleser den Begriff bzw. den Presseartikel versteht«. Dabei gehen sie von einer Beschränkung des Begriffs »Arisierung« auf staatliche Repressionsmaßnahmen aus, wie die der Zwangsenteignung. Danach habe es sehr wohl im privatrechtlichen Bereich »normale« Käufe geben können. Dazu zählten auch diejenigen der Neven DuMonts, auch wenn dabei, wie in einem Fall geschehen, ein staatlich eingesetzter »Abwesenheitspfleger« anstelle des geflohenen jüdischen Eigentümers den Verkauf tätigte: »Es muss allerdings mit Nichtwissen bestritten werden, dass der eingesetzte Abwesenheitspfleger nicht die Interessen des Herrn Ottenheimer wahrgenommen hat.«

Eine Sichtweise, die Eberhard Reinecke, der Anwalt Kleinerts und Kiesers als auch Niebels, für skandalös hält: »Überhaupt daran zu zweifeln, dass ein solcher Pfleger nur und ausschließlich der Verfolgung von Juden diente, ist absurd«, so Reinecke in seiner schriftlichen Erwiderung. Keine vom nationalsozialistischen Staat in eine solch lukrative Position eingesetzte Person habe die Interessen ausgewanderter Juden wahrgenommen: »Das wird im Übrigen auch dadurch belegt, dass offensichtlich niemals versucht worden ist, den Kaufpreis dem Eigentümer zukommen zu lassen.«

Als vor drei Jahren die MDS-Publikation »Köln unterm Hakenkreuz« erschien, schrieb Alfred Neven DuMont in seinem Geleitwort, dies sei »ein Buch gegen das Vergessen und - vielleicht schlimmer noch - das Verdrängen, das seinerseits Törichtes, wenn nicht gar Schlimmeres gebiert«. Sein Kölner Stadt-Anzeiger trägt seit 1962 den Untertitel der mit dem Hitler-Regime untergegangenen, einst nationalliberalen Kölnischen Zeitung. Mit ihr hatte der Verlag sogar noch aus dem deutschen Angriffskrieg Kapital schlagen können: Die Kölnische gehörte zu den wenigen Zeitungen, die die Propagandaabteilung des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) für derartig linientreu hielt, dass sie sie den Frontsoldaten zukommen ließ. In einer 1969 erschienenen Verlagschronik heißt es dazu: »Das OKW war nicht nur ein sicherer Zahler, sondern auch ein bequemer Abonnent: Vertrieb und Versand gingen zu seinen Lasten.« Weiter ist dort zu lesen: »Solche Umstände haben - von der moralischen Widerstandskraft der Verleger und ihrer Mitarbeiter ganz abgesehen - dazu beigetragen, dass die Kölnische Zeitung und der Stadt-Anzeiger noch bis kurz vor dem Einmarsch der Alliierten herausgebracht werden konnten.«

Moralische Widerstandskraft? Tatsächlich hatte Alfred Neven DuMonts Vater Kurt, der damalige MDS-Chef, seine Zeitungen für nationalsozialistische Hetzpropaganda hergegeben, und es kann kein Zweifel daran bestehen, dass der Verlag ein publizistischer Erfüllungsgehilfe der Nazis war. So erscheint denn auch Kurt Neven DuMont, der am 1. Mai 1937 der NSDAP beitrat, vor allem als ein Musterbeispiel für das Versagen des liberalen Bürgertums vor der Herausforderung der Nazidiktatur. Dass er gleichwohl seinerzeit versucht hat, Menschen zu schützen, und auch Menschenleben gerettet hat, wie das der »nicht arischen« Mutter der heutigen Grünen-Politikerin Anne Lütkes - das bleibt sein großes Verdienst. Und ist doch eben leider nur die halbe Wahrheit.

Aber im heutigen Verlagsflagschiff Kölner Stadt-Anzeiger sucht man eine selbstkritische Aufarbeitung bislang vergebens. Erst wenn sich das ändert, wird sich Alfred Neven DuMont und sein Verlagshaus nicht mehr dem Verdacht ausgesetzt sehen müssen, mit juristischen Mitteln einfach nur unbequeme Kritiker mundtot machen zu wollen.

Pascal Beucker ist Inlandskorrespondent der tageszeitung (taz). Wolfgang Jorzik ist freier Journalist und arbeitet vorrangig für den WDR. Beide leben in Köln.

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SS-Offiziere vor Gericht http://www.philtrat.de/articles/1043/ Im Februar 1980 wurden drei NS-Täter vom Kölner Landgericht zu hohen Haftstrafen verurteilt. Eine Ausstellung im Kölner EL-DE-Haus erinnert an den so genannten Lischka-Prozess. Fri, 14 Jul 2006 20:08:25 GMT http://www.philtrat.de/articles/1043/ Volker Elste Die Frau in dem kleinen Laden im Kölner Stadtteil Holweide ist sichtlich nervös angesichts der auf sie gerichteten Fernsehkamera. Der Prozess sei sinnlos, sagt sie mit unsicherer Stimme. Er hätte früher stattfinden müssen und nicht erst knapp 35 Jahre nach Kriegsende, schiebt sie als Begründung nach.

Das Interview mit der Kölnerin ist eines von zahlreichen zeitgenössischen Videos, die zurzeit in der Ausstellung zum Lischka-Prozess im NS-Dokumentationszentrum zu sehen sind. Benannt ist das Verfahren, das zwischen Oktober 1979 und Februar 1980 vor dem Kölner Landgericht stattfand, nach dem ehemaligen SS-Mitglied Kurt Lischka. Als Pariser Polizeichef war er zwischen November 1940 und Oktober 1943 für die Deportation und Ermordung von mindestens 73000 französischen Juden und Jüdinnen verantwortlich. Neben Lischka, der bereits 1950 von einem französischen Gericht in Abwesenheit zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden war, saßen mit Herbert Hagen und Ernst Heinrichsohn zwei weitere ehemalige SS-Offiziere auf der Kölner Anklagebank. Mit dem Urteil vom 11. Februar 1980 wurden erstmals deutsche Täter rechtskräftig von einem bundesdeutschen Gericht für die Beteiligung an der »Endlösung der Judenfrage« in Frankreich zur Rechenschaft gezogen. Die Urteile lauteten auf zehn Jahre Haft für Lischka und zwölf beziehungsweise sechs Jahre für Hagen und Heinrichsohn.

»Der Prozess war daher auch über Köln hinaus von großer Bedeutung«, beschreibt die Kölner Politikwissenschaftlerin Anne Klein die Motivation hinter der Ausstellung. Hervorgegangen ist sie aus einer Übung, die Klein gemeinsam mit Thomas Horstmann vom Historischen Seminar der Uni Köln im Wintersemester 2004/2005 angeboten hat: »Insgesamt waren 13 Personen, auch aus verschiedenen Kölner Geschichtsinitiativen, länger als ein Jahr mit der Umsetzung beschäftigt«, sagt Klein.

Mitten im Ausstellungsraum steht ein nachgebauter Gerichtssaal, in dem Auszüge aus der Anklageschrift und der Urteilsbegründung nachzulesen sind. Eingerahmt wird er von verschiedenen Schautafeln und Videoinstallationen, die sich mit der spektakulären Vorgeschichte des Prozesses beschäftigen. So scheiterte etwa 1971 die von Serge und Beate Klarsfeld geplante Entführung Lischkas nach Paris. Dieser hatte nach Kriegsende unbehelligt in der Bundesrepublik gelebt, da der so genannte Überleitungsvertrag aus dem Jahr 1955 eine strafrechtliche Verfolgung von in Frankreich in Abwesenheit verurteilten Personen ausschloss. Erst als der Bundestag im September 1974 das deutsch-französische Zusatzabkommen zum Überleitungsvertrag ratifizierte, konnte gegen Lischka ermittelt werden.

Der »Lischka-Prozess«: Drei NS-Täter 1979 in Köln vor Gericht. Die Ausstellung ist bis 16. September 2006 im Kölner NS-Dokumentationszentrum/EL-DE-Haus zu sehen. Weitere Informationen im Netz unter lischka-prozess.de.

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Wenn der Vorhang fällt, geht das Licht aus http://www.philtrat.de/articles/1042/ Ihr vielgelobtes Konzept könnte der Kölner »Bühne der Kulturen« zum Verhängnis werden Fri, 14 Jul 2006 20:07:18 GMT http://www.philtrat.de/articles/1042/ Gregor Leyser Ein 20-jähriges Jubiläum ist in der Regel ein Anlass zur Freude und zum Feiern. Akute Geldsorgen haben den MitarbeiterInnen der »Bühne der Kulturen« in Köln-Ehrenfeld und des dort ansässigen Arkadas-Theaters allerdings die Feierstimmung verdorben. Die Bühne steht vor dem Aus, da die Förderung nur noch bis Ende August gesichert ist. Wie es dann weitergehen soll, ist bisher ungeklärt. »Die laufenden Kosten sind zu hoch und lassen uns keine Möglichkeit, auf eine Entscheidung der Stadt zu warten«, sagt Theatermanagerin Lale Konuk. Die Neukonzeption der Förderung, an der die Stadt arbeitet und die ab Sommer nächsten Jahres umgesetzt werden soll, würde zu spät kommen.

Dabei befindet sich die »Bühne der Kulturen« in einer paradoxen Situation. Denn nicht nur die Kulturschaffenden, auch die politisch Verantwortlichen sind von dem Konzept überzeugt, wollen es erhalten und im nächsten Jahr sogar verstärkt fördern. Doch gerade die besondere Ausrichtung könnte der Spielstätte zum Verhängnis werden. Die »Bühne der Kulturen« zeigt nicht nur klassisches Theater, sondern versteht sich als freie Bühne, die verschiedenen kulturellen Veranstaltungen von MigrantInnen eine Plattform bieten will. Neben anspruchsvollem Theater, wie es Arkadas und viele Gastproduktionen bieten, liegt ein besonderes Augenmerk auch auf kultureller Erziehung. Dies gilt nicht nur für Produktionen von und für Kinder und Jugendliche. »Unser Ziel ist es, auch Migranten der ersten Generation für das Theater zu begeistern«, sagt Konuk. Das will sie zum Beispiel mit orientalisierten Versionen von Shakespeare-Stücken erreichen: Wie hätte Hamlet angesichts des Mordes an seinem Vater gehandelt, wenn er sich im Orient zugetragen hätte?

Dafür existiert in Köln aber bis heute kein adäquates Förderkonzept. Bisher wurde der Betrieb mit Mitteln aus dem Theaterförderkonzept aufrechterhalten. Diese jeweils für vier Jahre gewährte Förderung hat allerdings ihre Tücken, denn für jede Produktion wird erst nachträglich über die Förderwürdigkeit entschieden. Passt etwas nicht ins Konzept, fließt kein Geld. Dieser Zustand hat die »Bühne der Kulturen« schon in der Vergangenheit in finanzielle Bedrängnis gebracht. Daher begrüßt Konuk eine Neukonzeptionierung der Förderung, an der sich neben dem Kulturamt auch die betreffenden Stellen für Bildung, Soziales und Migration beteiligen müssten. Zwar hat die Stadt Köln die Problematik erkannt, doch eine Lösung im nächsten Jahr wäre für die »Bühne der Kulturen« bereits zu spät.

In einem Richtlinienpapier aus dem April 2006 wünscht sich die Stadt Köln eine »kulturelle Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund«. Außerdem soll ein »Dialog der Kunst und Kultur von MigrantInnen und NichtmigrantInnen« angestrebt werden. Genau das leistet die »Bühne der Kulturen« bereits seit geraumer Zeit. Eine Schließung wäre daher »das falsche Signal zum falschen Zeitpunkt«, so Konuk.

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»Du sollst nicht langweilen« http://www.philtrat.de/articles/1070/ Ob als Regisseur von Komödien, Mediensatiren, einem Alkoholikerdrama, Film Noir oder ob im realen Leben - Billy Wilder beherzigte sein eigenes Filmemacher-Gebot bis zum Ende. Mon, 10 Jul 2006 14:44:52 GMT http://www.philtrat.de/articles/1070/ Thomas Hemsley, Beate Schulz Der Legende nach versuchte Billy Wilder mehrfach vergeblich, von Mexiko aus in die Vereinigten Staaten einzureisen. Als er schon nahe daran war, die Hoffnung aufzugeben, traf er auf einen neuen Grenzbeamten, der ihn nach seinem Beruf fragte. Wilder antwortete ihm, er sei Filmemacher, worauf der Beamte ihn ansah, seine Papiere stempelte und ihn aufforderte: »Machen Sie gute Filme!« Ob der Grenzbeamte nachher lebenslang Wilder-Fan war, ist nicht überliefert, aber mit den 26 Filmen, bei denen er Regie führte, dürfte Wilder seine Einreiseauflagen mehr als erfüllt haben.

Geboren als Samuel Wilder in Galizien, verbrachte er den Großteil seiner Kindheit in Wien. Seine Liebe zur amerikanischen Kultur »erbte« er von seiner Mutter, die ihn Billie nannte. Angefacht wurde sein Interesse durch regelmäßige Kinobesuche, Jazz und die Lektüre von Karl May und Mark Twain.

Nach der Matura arbeitete er als Kriminalreporter in Wien. Er schrieb aber auch Porträts über bekannte Wiener Persönlichkeiten wie Arthur Schnitzler und über Musik. Das führte zu einer Begegnung mit Jazzmusiker Paul Whiteman, der ihn prompt mit nach Berlin nahm, damit er über ihn schreiben konnte. Im Berlin der »Goldenen Zwanziger« schlug er sich als Reporter, unter anderem mit einer Artikelserie über seine Tätigkeit als Eintänzer im Hotel Eden, und Ghostwriter bei Filmdrehbüchern durch.

Die Geschichte seines Durchbruchs als Drehbuchautor gehört zu den zahlreichen Anekdoten, die er selbst nicht besser hätte schreiben können: Ein Filmproduzent unterhielt eine Affäre mit Wilders Nachbarin. Als er ihm auf der Flucht vor dem eifersüchtigen Freund Unterschlupf gewährte, nutzte Wilder die Gelegenheit und drängte ihm ein Drehbuch auf. In der Folgezeit war er als Autor an verschiedenen Filmen beteiligt, unter anderem dem Berlin-Klassiker Menschen am Sonntag, der die Nouvelle Vague vorwegnahm, und der ersten Verfilmung des Kinderbuchklassikers Emil und die Detektive von Erich Kästner.

Wie so viele jüdische Filmschaffende vor ihm flüchtete Wilder am Tag nach dem Reichstagsbrand nach Paris. Dort führte er das erste Mal Regie, bei dem heute vergessenen Film Mauvaise Graine. Ein Jahr später verließ er Paris in Richtung Hollywood, ohne die englische Sprache zu beherrschen. Teils lernte er Englisch von Peter Lorre, mit dem er sich ein Apartment teilte, teils brachte er es sich selbst durch das Hören von Baseballübertragungen im Radio und das Lesen der amerikanischen Literatur bei, die er schon auf deutsch kannte.

Zunächst arbeitete er auch in Hollywood als Drehbuchautor, unter anderem für sein Idol Ernst Lubitsch. Da aber mit Ausnahme von Lubitsch und Howard Hawks die meisten Regisseure seine Drehbücher nicht so verfilmten, wie er es wollte, nahm er 1942 selbst auf dem Regiestuhl zu Der Major und das Mädchen Platz. Spätestens mit seinem dritten amerikanischen Film erlangte er einen festen Platz im Pantheon der Filmgötter. 1944 inszenierte er den Film Noir-Klassiker Double Indemnity, nach der Vorlage von James Cain, die er zusammen mit Raymond Chandler adaptierte. Woody Allen übertreibt kaum, wenn er diesen Film über Gier, Lust, Korruption und Mord schlicht als besten amerikanischen Film überhaupt bezeichnet. Mit The Lost Weekend ließ Wilder die erste ernsthafte filmische Beschäftigung mit Alkoholismus folgen, für die er die ersten beiden seiner insgesamt sechs Oscars erhielt - für Drehbuch (zusammen mit Charles Brackett) und Regie. Seinen dritten Oscar (Drehbuch) bekam er für Sunset Boulevard (1950) - Wilders Abgesang und Hommage an das alte Hollywood.

Ace in the Hole, die Geschichte eines zynischen Reporters, der die Rettung eines verschütteten Bergmanns verzögert, um Schlagzeilen zu machen, wurde zwar ein kommerzieller Flop, ist aber im Hinblick auf die Abgründe der Boulevardpresse und ihre Ausschlachtung von Tragödien immer noch aktuell. Seine Gefangenenlagerkomödie Stalag 17 gilt als Vorläufer von Filmen wie Operation Petticoat, MASH und Police Academy. In zwei Filmen, Manche mögen's heiß und Das verflixte siebte Jahr, arbeitete er mit Marilyn Monroe. Nach diesen Filmen sagte er, er sei »zu alt und zu reich«, um noch einmal mit ihr zu arbeiten.

Für Das Appartement erhielt er als Erster die Oscars für besten Film, bestes Drehbuch und beste Regie in Personalunion. Danach folgten weitere Meisterwerke wie Eins, zwei, drei und die erste seltsame Paarung von Jack Lemmon und Walter Matthau (Der Glückspilz), mit denen er auch 1981 seinen letzten Film Buddy Buddy drehte.

Selbst im Ruhestand verschwand er nie von der Bildfläche. Es wurden Bücher über ihn und sein Werk geschrieben, unter anderem Hellmuth Karaseks Billy Wilder. Eine Nahaufnahme und Cameron Crowes Interviewbuch Hat es Spaß gemacht, Mr Wilder? Er wurde mit Auszeichnungen für sein Lebenswerk überhäuft, wie der National Medal of Honor. Er ging noch lange Jahre regelmäßig in sein Büro und schrieb Ideen in sein Notizbuch, aber er sollte keinen Film mehr machen. Sein hohes Alter ist nur eine Erklärung. Hinzu kam, dass die Schattenseiten des Kapitalismus (Gier, Macht und Korruption), die so häufig seine Themen waren, inzwischen geradezu salonfähig waren. »Today we spend eighty percent of the time making deals and twenty percent making pictures,« so Wilder über das moderne Kino. Den Film Schindlers Liste, mit dem er den Tod seiner Mutter, Großmutter und seines Stiefvaters in Auschwitz aufarbeiten wollte, übergab er an den von ihm geschätzten Steven Spielberg - nach eigenem Bekunden wäre das sein persönlichster Film geworden.

Als Fernando Trueba 1992 den Oscar für den besten fremdsprachigen Film erhielt, sagte er, dass er nicht an Gott glaube, und stattdessen gerne Billy Wilder danken wolle. Am 22. Juni 2006 wäre der 2002 verstorbene Billy Wilder hundert Jahre alt geworden.

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Gibt es doch: Rock aus Reykjavik http://www.philtrat.de/articles/960/ In Island hören alle Menschen nur Volksmusik und Walgesänge? Falsch! Dort gibt es eine sehr vielfältige und lebendige Musikszene, die sich anschickt, Europa zu erobern. Sun, 04 Dec 2005 15:00:50 GMT http://www.philtrat.de/articles/960/ Julia Groth Als Mugison seine erste CD Lonely Mountain veröffentlichte und sich dafür entschied, die Hülle aus Pappe zu basteln und mit der Nähmaschine zusammen zu nähen, wusste er noch nicht, dass er 10000 Stück davon verkaufen sollte. Als ein Ergebnis dieses unerwarteten Erfolgs saßen er und seine Freundin monatelang in ihrem Haus am Fjord und waren damit beschäftigt, CD-Hüllen zu nähen.

Mittlerweile gehört der Singer-Songwriter zu den wenigen isländischen KünstlerInnen, die es geschafft haben, auch im europäischen Ausland bekannt zu werden. In Deutschland noch eher als Geheimtipp gehandelt, hat Mugison den Erfolg auf jeden Fall verdient. Mit seiner melancholischen bis schrägen Gitarrenmusik, gemischt mit elektronischen Elementen, hat er etwas geschaffen, das in erster Linie neu und überraschend klingt - und wunderschön.

Überhaupt hat das Spektrum isländischer Musik einiges mehr zu bieten als nur Björk und Sigur Ros, die vielgelobten Vorzeige-MusikerInnen der Insel. Von Rock und Punk über gefälligen Pop bis hin zu experimentellen elektronischen Klängen ist auf der gerade mal 300000 Menschen beherbergenden Insel alles vertreten. Ihren ersten Anstoß Richtung Moderne bekam die Musikszene auf Island als die USA in den Fünfzigerjahren eine Militärbasis in Keflavik errichteten. Der Rock ‘n' Roll war am Polarkreis angekommen. Und zog die üblichen Folgen nach sich: Die älteren Generationen befürchteten einen amerikanischen Kulturimperialismus und warfen der jüngeren Generation Werteverlust und Amoralität vor; diese scherte sich nicht darum und startete die musikalische Rebellion. Internationale Hits wurden stilistisch kopiert und die Texte teilweise ins Isländische übertragen, um für das Publikum einen stärkeren Bezug zur Musik herzustellen. Ende der Siebzigerjahre folgte die Punkwelle. In Reykjavik etablierte sich eine linke Szene, die unter anderem auch der Musik durch ihren Einfluss neuen Schwung gab. Gleichzeitig begannen isländische MusikerInnen, langsam einen eigenen Stil zu entwickeln. Diesen Stil, der Elemente traditioneller isländischer Musik mit modernen Arrangements und Texten verbindet, findet man auch heute noch bei einigen KünstlerInnen.

Die meisten haben sich jedoch wieder neuen, ganz unterschiedlichen Stilen verschrieben. So zum Beispiel die Band Apparat Organ Quartett, die ihre Musik als »Machine Rock and Roll« beschreibt. Ausgerüstet mit einer Reihe von antiken Synthesizern, Orgeln, Spielzeugkeyboards und anderen Tasteninstrumenten bringen die vier Organisten, unterstützt von einem Schlagzeuger, Melodien hervor, die sich noch am ehesten mit denen der deutschen Gruppe Kraftwerk vergleichen lassen. Überhaupt mangelt es oft an den passenden Ausdrücken und Schubladen, um die Musik isländischer Bands zu beschreiben. Ein weiteres Beispiel für die Vielfalt dieser Musik ist das Projekt Ghostigital um Sänger Einar Örn, den zweiten Frontman von Björks früherer Band, den Sugarcubes. Gemeinsam mit dem Elektronik-Experten Curver macht er irgendetwas zwischen Electro, Industrial und Rock, angereichert mit HipHop-Anleihen.

Selbstverständlich finden sich in der Musikszene auch KünstlerInnen, die eher den Geschmack der breiten Masse bedienen. Ein qualitativ hochwertiges Beispiel hierfür ist der junge Sänger Thorir, der unter dem wenig griffigen Namen My Summer as a Salvation Soldier mit seiner Gitarre und depressiven, englischsprachigen Texten über zerbrochene Beziehungen die richtige Musik für VollzeitmelancholikerInnen zu bieten hat. Oder auch Slowblow, die Band um Dagur Kari, der gleichzeitig als Regisseur tätig ist, und dessen Erstlingswerk Noi Albinoi auch hierzulande in den Kinos zu sehen war. Praktischerweise konnte die Musik von Slowblow gleich den Soundtrack zum Film liefern.

Dies ist eine der Besonderheiten von isländischen KünstlerInnen: Selten beschränken sie sich auf Musik allein. So sind viele der MusikerInnen auch in der bildenden Kunst tätig, wie Heimir Björgulfsson, der nicht nur als Solokünstler mit elektronischer Musik experimentiert, sondern auch Installationen mit Tierporträts und ausgestopften Vögeln präsentiert. Oder Katrin Elvarsdottir, die ihre Fotografien von verlassenen Orten auf Island vom Musiker Matthias Hemstock mit passenden Klängen unterlegen ließ. Gleiches gilt für den Dichter Sjon, der bei seinen Lesungen auch schon mal vom Gitarristen Hilmar Jensson begleitet wird.

Man ist versucht zu behaupten, dass diese Fülle von gemeinsamen Arbeiten darauf zurückzuführen ist, dass Reykjavik, das kulturelle Zentrum Islands, gerade mal knapp 115000 EinwohnerInnen hat und die KünstlerInnen sich zwangsläufig irgendwann über den Weg laufen. Dass dabei Ideen zu gemeinsamen Projekten entstehen können, liegt nahe. Tatsächlich verkehrt die künstlerische Szene in dieser Stadt in einigen wenigen angesagten Clubs und Kneipen - bei dem einen oder anderen Bier wird wohl auch über Kunst und Geschäft gesprochen werden.

Sollte jetzt der Eindruck aufgekommen sein, bei den IsländerInnen handele es sich in der Hauptsache um kreative Workaholics, die nichts anderes im Kopf haben als die Arbeit an ihren Projekten, ist das jedoch falsch. Als im vergangenen Monat eine Reihe isländischer KünstlerInnen und MusikerInnen im Rahmen des Festivals Islandbilder zu Besuch in Köln war, stellte sich heraus, dass man mit diesen Leuten auch Spaß haben kann. Das Klischee der stillen und zurückhaltenden Menschen aus dem Norden erwies sich offensichtlich als unwahr. Heimir Björgulfsson, der bereits erwähnte Musiker und bildende Künstler, machte sich schon am ersten Abend des Festivals dadurch bemerkbar, dass er alle Leute, die ihm hinter der Bühne über den Weg liefen, nach Kokain und Ecstasy fragte - sich aber letztendlich mit Bier begnügen musste. Am folgenden Tag hatte er offenbar dazugelernt und schaffte das Kunststück, an einem einzigen Tag gleich dreimal völlig betrunken vor die Tür gesetzt zu werden. Seine Kollegen der Electro-Band Stilluppsteypa versuchten scheinbar, es ihm gleichzutun, als sie beinahe ebenso betrunken mit ein paar Flaschen Bier in den Händen viel zu spät zum Soundcheck erschienen. Es liegt nahe zu vermuten, dass die exzessiven Besäufnisse einiger MusikerInnen damit zusammenhängen, dass die Alkoholpreise hierzulande im Vergleich zu den isländischen geradezu lachhaft niedrig sind. Laut Aussagen ihrer KünstlerkollegInnen legen die Betreffenden allerdings zuhause das gleiche Verhalten an den Tag. Sex, Drugs and Rock ‘n' Roll sind eben international.

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Filmgattung der virtuellen Art http://www.philtrat.de/articles/948/ Vom Computerspiel zum animierten Film - Machinimas sind mehr als nur der abgespeicherte Spielverlauf der vielkritisierten Egoshooter. Die neue Kunstform hat inzwischen ihr eigenes Festival. Sun, 04 Dec 2005 14:58:50 GMT http://www.philtrat.de/articles/948/ Gregor Leyser Trotz aller Bemühungen der Softwareschmieden und ein paar bekannter Positivbeispiele haftet Computerspielen nach wie vor ein etwas zweifelhafter Ruf an: verdummend, desozialisierend, sexistisch und gewaltverherrlichend sollen sie angeblich sein. Besonders die so genannten Egoshooter wurden zu diversen Anlässen von der Presse als virtuelle Trainigscamps für Nachwuchs-AmokläuferInnen verdammt und mussten als Erklärung für verwirrte Jugendhirne herhalten. Doch es gibt auch erfreuliche Neuigkeiten aus der Welt von Doom, Quake und Co., und diese dürften so manche KritikerInnen überraschen. Denn ausgerechnet diese schwärzesten Schafe unter den Computerspielen bilden den Ursprung für eine neue Form der Filmkunst: »Machine + Cinema + Animation = Machinima« lautet die Definition, die gleichzeitig auch die Herkunft des Kunstwortes erklärt.

Machinimas sind im weitesten Sinne Kurzfilme, allerdings ist ihre Produktion sehr spezieller Art. Die Drehorte sind die virtuellen Welten von Computerspielen, insbesondere die von Netzwerkspielen. Mit der Aufzeichnung eines solchen Netzwerkspiels hat man im Prinzip bereits einen simplen Machinima-Film geschaffen, doch die aktuellsten Werke gehen weit darüber hinaus. Viele der Spiele lassen sich »modden« (modifizieren), etwa durch den Einbau eigener Grafiken, Geräusche oder Musik.

Teilweise werden die Filme nach dem Schnitt synchronisiert, einige folgen einem festen Drehbuch, andere sind improvisiert und haben lediglich ein festgelegtes Thema. Die Herangehensweisen sind unterschiedlich und so bilden sich zwangsläufig Genres heraus. Die mittlerweile auf über sechzig Teile angewachsene Serie Red vs. Blue etwa begleitet die Soldaten eines virtuellen Schlachtfeldes in sämtlichen Situationen ihrer Existenz, inklusive Sinnkrisen, Heimweh und Schützengrabenfreundschaften. This Spartan Life ist eine Talkshow mit allen Themen, die man aus dem Nachmittagsfernsehen kennt, in der aber auch schon einmal einer der Entwickler des Spiels »persönlich« als Interviewpartner vorbeischaut. Da die Talkshow auf einem öffentlichen Spieleserver produziert wird, wissen leider oft nicht alle Mitwirkenden, dass sie gerade selbige stören und werden dann kurzerhand mittels Laserwaffe aus dem »Studio« entfernt. Shut up and dance fällt in den Bereich Musikvideo, hier kann man beobachten, was Untote, Elfen, Gnome und Zwerge tänzerisch auf die Beine bringen, während Not JUST another love und The Highwayman beides lupenreine Liebesfilme sind.

Das Stadium der skurrilen Randerscheinung hat Machinima mittlerweile hinter sich gelassen. Das Machinima-Film-Festival vergibt den »Mackie« in insgesamt 13 Kategorien, das deutsche bitfilm-Festival hat für die Machinimas eine eigene Kategorie eingeführt und die ersten Clips haben bereits ihr Ursprungsmedium verlassen und sind nun auf MTV zu bestaunen.

Auch die SpieleherstellerInnen haben bereits auf den Trend reagiert und für einige Engines künftiger Spiele weitere Funktionen angekündigt, die einzig dem Zweck der Erstellung von Machinimas dienen sollen. Durch die ständige Verbesserung der technischen Möglichkeiten wird wohl in nicht allzu ferner Zukunft lediglich die Kreativität das Limit für die »Machinimators« setzen. Wenn Sie also demnächst das blasse, pickelige Nachbarskind mit der dicken Brille und dem Trenchcoat in der Tagesschau sehen, erschrecken Sie nicht gleich. Vielleicht hat es auch einfach einen Oscar gewonnen.

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Erfolg mit Hitlersmiley und Zahnspange http://www.philtrat.de/articles/949/ Frühpubertäre Zwillinge fiedeln und trillern rechtsradikale Liedchen Sun, 04 Dec 2005 14:58:50 GMT http://www.philtrat.de/articles/949/ Nicola Milani Ihre AltersgenossInnen eifern Britney Spears oder Travis Pastrana nach, doch das Idol der dreizehnjährigen Zwillinge Lynx und Lamb - zu deutsch: Luchs und Lamm - Gaede aus den USA ist niemand anders als Adolf Hitler. Rein äußerlich passen sie auch genau in dessen Arierschema mit ihren blauen Augen, den blonden Haaren und der weißen Haut. Mit ihrem Zahnspangenlächeln wirken sie zudem wie zwei Unschuldsengel. Als Prussian Blue reihen sie sich zwar auch in die Liste rechtsradikaler Bands ein, doch anders als diese könnte man ihre mit Gitarre und Geige vorgetragene Musik als unschuldig bezeichnen, wenn man nicht auf den Text achten würde. So wird in ihren Liedern Rudolf Heß zu einem »Mann des Friedens, der niemals aufgab«, und ArierInnen werden dazu aufgerufen, ihre »Angst in Hass« zu wandeln.

Ihr Bandname ist nicht nur ein Verweis auf ihre Herkunft, sondern auch auf den blauen Rückstand, der in den Gaskammern der Konzentrationslager durch die Anwendung von Zyklon B an den Wänden zu finden war. Dabei hat ihre Mutter April den Zwillingen stets eingetrichtert, dass der Holocaust nur ein »Mythos« sei.

Dass sich Lynx und Lamb ihre politische und ethische Meinung nicht selbst gebildet haben, lässt allein ihr Alter erkennen. Das Bild vervollständigt sich, wenn man sich die Familie genauer ansieht. Ihr Großvater brandmarkt auf seiner Farm die Rinder mit dem Hakenkreuz und stellt dieses Symbol auch sonst gerne zur Schau. Ihre Mutter hat den Vater der Zwillinge nach arischen Gesichtspunkten ausgesucht und der jüngsten Tochter den illustren Namen Dresden gegeben.

Vor allem ihrer Mutter April haben sie ihre Gesinnung zu verdanken. Diese hat die Kinder aus der Schule genommen und zu Hause selbst unterrichtet. Dies ist in den USA durchaus möglich, meistens gibt es dafür jedoch staatliche Richtlinien. In Kalifornien werden diese Regelungen recht locker gehalten, sodass April Gaede sie gänzlich außer Acht lassen konnte. Ihr Unterricht beinhaltete nicht nur braun verfärbten Geschichtsunterricht, sondern auch den Einsatz von rassistischen Lesefibeln, anhand derer Lynx und Lamb das Alphabet mit Begriffen wie Eugenik und Blut lernten. Zudem verwendet die Mutter keine Lehrbücher, die nach 1950 erschienen sind, denn diese seien zu sehr beeinflusst von der Bürgerrechts- und Frauenbewegung.

Prussian Blues Produzent Erich Gliebe von der rechtsradikalen Plattenfirma Resistance Records glaubt, dass die Zwillinge mit ihrer Musik vor allem auf die Elf- bis Zwölfjährigen Einfluss üben könnten. »Ich denke, das ist das perfekte Alter, um Kindern eine starke rassische Identität anzuerziehen«. Auch die rechtsextreme National Alliance, der April Gaede vor vier Jahren beigetreten ist, ist begeistert von Lynx und Lamb. Der Ku Klux Klan macht zudem auf seiner Internetseite Werbung für die Band und lässt sie gerne auf seinen Veranstaltungen auftreten.

Jetzt versuchen die Zwillinge gemeinsam mit ihrer Mutter, ihr Album Fragments of the Future auch in Deutschland zu verkaufen. Vorher jedoch ließ April Gaede alle Erwähnungen des Nationalsozialismus entfernen - Begründung: In Deutschland herrschen so strenge Gesetze.

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Wer hat Angst vorm roten Mann? http://www.philtrat.de/articles/918/ »Unamerikanische Umtriebe« warfen AnhängerInnen des McCarthyismus ihren GegnerInnen vor. Eigentlich hätte die Ära der KommunistInnenverfolgung als Hooverismus bezeichnet werden müssen. Sun, 04 Dec 2005 14:56:45 GMT http://www.philtrat.de/articles/918/ Nicola Milani Sein Name ist zu einem Unwort geworden wie »Vietnam«. Joseph McCarthy, seinerzeit US-Senator aus Wisconsin, hat es Anfang der Fünfzigerjahre geschafft, zum Namensgeber für eine von Angst und Misstrauen geprägten Ära zu werden. Täglich mussten US-BürgerInnen seinerzeit mit dem Besuch von höflichen, adrett gekleideten Menschen rechnen, die Fragen zum Privatleben stellten. Der Verdacht auf »unamerikanische Aktivitäten« war gleichbedeutend mit einem Schuldspruch. Kurzum: Es war eine Zeit, in der man im »Land der Freien« die Freiheit immer stärker unterdrückte.

Als McCarthys politische Karriere begann, war der Kalte Krieg bereits in vollem Gange, und die Jagd nach KommunistInnen hatte schon längst begonnen. Diese »rote Angst« (Red Scare) war die zweite ihrer Art. Die erste war 1917 mit den Nachrichten über die Russische Revolution über die USA gekommen und dauerte bis etwa 1921. Aus einer vorgeschobenen Defensive heraus veranlasste Justizminister Alexander Palmer im Jahr 1919 bundesweite Razzien. Die Polizei nahm 450 ausländische KommunistInnen fest und ließ sie ausweisen. Später wurden nochmals viertausend »Verdächtige« festgenommen und in Lager gesteckt. Diese Palmer Raids verfehlten ihre Wirkung nicht: Die Kommunistische Partei, die gerade erst im Entstehen begriffen war, sah sich gezwungen, in den Untergrund zu gehen. Eine linke Alternative konnte sich vorerst nicht entwickeln.

Als sich nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die Beziehungen zum Ostblock immer stärker abkühlten, waren McCarthy und einer seiner einflussreichen Freunde davon überzeugt, dass eine Ausbreitung des Kommunismus gen Westen um jeden Preis verhindert werden müsse. Ohne diesen Freund hätte McCarthys Hetze nicht so weitgreifende Folgen gehabt, denn er bereitete ihm den bürokratischen Weg: John Edgar Hoover wurde 1924 zum ersten Chef des FBI ernannt und war maßgeblich an Palmers Razzien beteiligt.

Der erzkonservative und bekennende KommunistInnenhasser war unermüdlich in seinem Kampf gegen »subversive Elemente«. Unter Hoover wuchs das FBI zu einem machtvollen Überwachungsapparat. Während des Zweiten Weltkriegs erweiterte Präsident Franklin D. Roosevelt großzügig die Machtbefugnisse der Behörde, doch Hoover ging es oft nicht weit genug. Anweisungen von oben legte er nach eigenem Gutdünken aus oder ignorierte sie einfach. Hoover war es auch, und nicht McCarthy, der die »Schwarzen Listen« anfertigen ließ. Darin waren die Namen von BürgerInnen vermerkt, die im Verdacht standen, auch nur im Entferntesten etwas mit dem Kommunismus zu tun zu haben. Vor allem in Hollywood, dem Sündenpfuhl Amerikas, kursierten diese Listen, die unter anderem so prominente Namen wie Charlie Chaplin und Humphrey Bogart aufführten.

Jedoch war es McCarthy, der öffentlich auftrat und die AmerikanerInnen von der roten Gefahr überzeugte. In den Anhörungen, die teilweise im Fernsehen übertragen wurden, spielte er sich als Hüter der amerikanischen Moral auf und prangerte neben dem Kommunismus auch Homosexualität an. Seine Inszenierungen waren letztendlich ausschlaggebend dafür, dass diese Ära nach ihm benannt wurde.

Mit der Zeit wurde es immer offensichtlicher, dass McCarthy unter Verfolgungswahn litt. Als er 1953 begann, auch die Armee auf eine kommunistische Unterwanderung hin zu untersuchen, stieß er auf Widerstand. Die öffentlich übertragene Anhörung des Senats zu diesem Fall entlarvte seinen Fanatismus, als er mit Anschuldigungen wild um sich warf. Präsident Eisenhower und John Edgar Hoover distanzierten sich daraufhin von ihm. 1954 sprach ihm der Senat das Misstrauen aus und beendete damit seine politische Karriere. Drei Jahre später starb er alkoholabhängig an Hepatitis. Die Jagd auf KommunistInnen ging jedoch weiter, wenn auch weniger öffentlich.

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Die Türken stehen vor Straßburg http://www.philtrat.de/articles/919/ Europa für Anfänger im Schauspielhaus uraufgeführt Sun, 04 Dec 2005 14:56:45 GMT http://www.philtrat.de/articles/919/ Christina Rietz Mit allerlei Showeinlagen belagert der türkische Sonderbotschafter Ayhan Onur den nüchternen Sitzungssaal im Europäischen Parlament. Vom Dönerverkauf bis zum hüftbetonten Bauchtanz versucht er alles, um die Zustimmung der klüngelnden EU-ParlamentarierInnen für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu bekommen.

Davon handelt das neue Stück von Erik Gedeon, Europa für Anfänger. Ein Abend mit Türke, das am 22. Oktober im Kölner Schauspielhaus Premiere hatte. Die an sich simple Geschichte wird durch amüsante Tanz- und Gesangseinlagen der Abgeordneten zu Piano und Violine aufgepeppt. So entlarvt Gedeon den parlamentarischen Alltag als eine endlose Aneinanderreihung von roten Teppichen mit Fotolächeln und Shakehands sowie sexuellen Entgleisungen auf, unter oder neben dem Schreibtisch. Als es darum geht, ein Papier über das kulturelle Erbe Europas zu verabschieden, ergehen sich die Abgeordneten in Unsinnsphrasen und eine Italienerin erbricht sich unter lautem Gewürge an einem Kruzifix. Wer nicht zynisch genug ist, wird ab diesem Zeitpunkt wenig Spaß an dem interkulturellen Spektakel haben, denn was der türkische Abgesandte anstellt, um die Europäische Union von der Progressivität seines Landes zu überzeugen, spottet jeder Vorstellung von Political Correctness.

Doch allen Anstrengungen zum Trotz wehren die ParlamentarierInnen den Angriff ab, führen zu Gospelklängen den klassischen Exorzismus durch und rollen den Muslim in seinen Teppich. Als Onur aus Versehen das Sternenbanner anzündet, entfernen die USA, verkörpert durch eine Mischung aus Maggie Thatcher und Madeleine Albright im dunklen Kostüm, den Türken mit einer Panzerfaust. Europa hört derweil ein klassisches Konzert und wendet symbolträchtig den Kopf bei der vermeintlichen Ermordung Onurs ab. So geht die Moral als Kollateralschaden drauf und die USA singen nach getaner Arbeit: »No one knows what it's like to be the bad man behind blue eyes.« Gedeons Zaunpfahl-Symbolik ist zwar schnell dechiffriert, aber reißend komisch.

Eher in der Rolle eines UN-Generalsekretärs denn in der des Regisseurs lässt er dann, um des Happy Ends willen, den Türken wieder auferstehen und ins You'll never walk alone der Nationen einstimmen. Und am Schluss singen alle zusammen mit türkischem Akzent, na was wohl, eine Ode an die Freude.

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