»Ich würde alles genauso wieder machen«

Dass Nazis immer noch ihr Unwesen treiben, ist Grete Humbach unbegreiflich. Gerne würde die Kölner Kommunistin und Widerstandskämpferin dagegen demonstrieren. Im Februar wurde sie einhundert Jahre alt. Von Pascal Beucker

Die Bilder von Marx und Lenin hängen immer noch an der Wand in ihrem Zimmer im Seniorenhaus »St. Maria«. Und auch ihre Wünsche und Träume von einer besseren, gerechteren Welt hat sich Grete Humbach bewahrt: »Ich werde es nicht mehr erleben, aber die Hoffnung, dass es sich positiv ändert, habe ich nach wie vor.« Die Kölner Kommunistin und antifaschistische Widerstandskämpferin wurde im Februar einhundert Jahre alt.

Geboren wird Grete Humbach am 22. Februar 1905 in Osnabrück. Mit fünfzehn Jahren tritt sie der Sozialistischen Arbeiterjugend SAJ bei. Hier lernt das junge Mädchen auch ihren späteren Mann Ferdi kennen. 1923 nach Köln gezogen, wechselt sie mit ihm zusammen ein Jahr später zu den JungsozialistInnen und von dort in den Internationalen Kampfbund. 1931 finden die beiden, die sechs Jahre zuvor geheiratet haben, ihre endgültige politische Heimat: die KPD. »Mein Vater hat sich damals mächtig aufgeregt, als ich in die KPD gegangen bin«, erzählt Grete Humbach. »Das hat er nie begreifen können.« Aber wie auch? »Mein Vater war alter Sozialdemokrat.«

Auch während der Zeit des Nationalsozialismus arbeiten die Humbachs weiter für die Kommunistische Partei - jetzt illegal und konspirativ. Bereits 1933 wird Ferdi das erste Mal verhaftet. Es soll nicht das letzte Mal sein. Immer wieder wird auch das Haus durchsucht. Nichts desto trotz beteiligen sich die Humbachs 1943 an der Gründung der Kölner Gruppe des »Nationalkomitees Freies Deutschland« (NKFD), der mit bis zu zweihundert Mitgliedern am besten organisierten und größten Widerstandsorganisation der letzten Kriegsjahre in der Domstadt.

Ihre Wohnung im Sülzgürtel 8 dient dem antifaschistischen Kreis als geheime Anlaufstelle. Mit Flugblättern, Klebezetteln und Wurfmaterialien werden ArbeiterInnen zur Sabotage der Kriegsproduktion und Soldaten zur Desertion aufgerufen: »Arbeiter und Soldaten: Keine Stunde für den Krieg. Geht nicht zur Front. Kämpft mit uns für den Frieden. Für die Freiheit. Für die Volksfront. Gegen die Nazis! Komitee der Volksfront.«

Doch im Herbst 1944 wird die Gruppe ausgehoben. »Alles flog auf, als ein Genosse unter schwerster Folter schließlich unsere Adresse preisgegeben hatte«, wird sich der damals gerade 16-jährige Heinz Humbach, der im vergangenen Jahr verstorbene Sohn Gretes, später erinnern. Die Leitung des Komitees und insgesamt 59 Mitglieder, die an jenem 24. November 1944 in der Wohnung der Humbachs tagen, werden an diesem und den folgenden Tagen verhaftet und gefoltert, mehrere Mitglieder sterben in der Gestapo-Haft. Auch Grete, Ferdi und Heinz Humbach gehören zu den Verhafteten und kommen in das Gestapo-Sondergefängnis Brauweiler. Nur der ältere Sohn Gerd wird nicht inhaftiert: Er ist zu der Zeit Soldat an der Ostfront.

Als die Westfront näher rückt, werden die Gefangenen im Februar 1945 ins Zuchthaus nach Siegburg verlegt. Hier erkrankt Grete lebensbedrohlich an Flecktyphus. Bei einem Transport in ein Arbeitslager kommt sie gemeinsam mit sechs anderen Frauen im Bergischen Land frei: »Als die Tiefflieger näher kamen, durften wir zur Seite gehen. Danach sind wir einfach nicht mehr mitgegangen. Niemand kümmerte sich darum.«

Die Gruppe kommt in der Scheune einer Bauersfrau unter. »Ein oder zwei Tage später waren die Amerikaner da, und wir waren befreit.« Ihr Mann und ihr Sohn Heinz kehren kurze Zeit später aus Wetzlar nach Köln zurück. Es beginnt die Zeit des Wiederaufbaus. Grete Humbach gehört dem Entnazifizierungsausschuss für den Regierungsbezirk Köln an. Ihr Mann ist Stadtverordneter im ersten Kölner Rat nach dem Krieg. Aber seine Gesundheit ist stark angegriffen: In der Nazi-Haft war er an Lungen-TBC erkrankt. Davon erholt er sich nicht mehr. Ferdi Humbach stirbt im September 1947.

Zusammen mit ihren beiden Söhnen engagiert sich Grete Humbach in der Folgezeit in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) und natürlich weiter in der KPD. So organisiert sie die KPD-Kinderaktion »Frohe Ferien für alle Kinder«, die Reisen in die DDR durchführt. Das bringt ihr in der hysterisch antikommunistischen Stimmung der frühen Bundesrepublik eine Vorladung vor den Untersuchungsrichter ein. Nach dem KPD-Verbot 1956 wird gegen sie mehrfach wegen »Geheimbündelei« und »Staatsgefährdung« ermittelt. Anders als ihre Söhne Heinz und Gerd, die in der Adenauer-Ära beide fast zwei Jahre in Haft verbringen müssen, wird sie allerdings nie verurteilt. Die Zeiten der illegalisierten Parteiarbeit enden erst 1968 mit der Gründung der DKP. Natürlich ist Grete Humbach eine der Mitgründerinnen - und bis heute Mitglied.

Bis in die Achtzigerjahre hinein bleibt sie politisch aktiv und fehlt auf kaum einer Demonstration im Rheinland. Sie sei »so eine Art Berufsdemonstrantin« gewesen, erzählt ihre Schwiegertochter Helga schmunzelnd: »Irgendwas war immer, wo man sich aufregen musste.« Das ist bis heute so geblieben. Denn immer noch verfolgt Grete Humbach das politische Geschehen in der Bundesrepublik: »Ich lese noch sehr viel.« So verbittert sie denn auch der wieder aufkeimende Rechtsextremismus tief: »Dass die wieder so erstarken konnten, ist mir unbegreiflich.« Wie gerne würde die jetzt Hundertjährige gegen die alten und die neuen Nazis wieder auf die Straße gehen! Aber es geht nicht mehr. Das Alter fordert halt doch irgendwann seinen Tribut: Sie hört und sieht nicht mehr gut, kann nicht mehr laufen. »Es tut mir leid, dass ich nicht mehr politisch arbeiten kann.«

An dem Haus im Sülzgürtel 8, in dem sie früher wohnte, erinnert heute eine Gedenktafel an die Kölner Gruppe des NKFD. Woher sie den Mut für aktiven Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime genommen hat, der so vielen damals fehlte? »Das weiß ich auch nicht. Das gehörte eben dazu, das musste so sein.« Im Rückblick auf ihr bewegtes Leben sagt Grete Humbach: »Es war eine schwere Zeit und trotzdem eine schöne Zeit.« Und: »Ich würde alles genauso wieder machen.«

Der Artikel erschien zuerst in der taz köln vom 22.2.