Venezuela beschäftigt seit dem Amtsantritt von Präsident Hugo Chávez immer wieder die Öffentlichkeit. Jetzt hat der Schriftsteller und Journalist Raul Zelik ein Buch vorgelegt, das die »bolivarianische« Revolution aus eigenem Erleben schildert. Der Berliner, der bisher als Experte für das Nachbarland Kolumbien galt, hielt sich mehrere Monate in Venezuela auf. Er arbeitete dort mit den Wiener FotografInnen Sabine Bitter und Helmut Weber zusammen, die das Bildmaterial für das Buch lieferten. Herausgekommen ist eine interessante und leicht zu lesende Reportage.
Zelik beschreibt seine Begegnungen mit verschiedenen Menschen, mit AnhängerInnen und GegnerInnen von Chávez, mit AusländerInnen, die mit ähnlichen Interessen ins Land gekommen sind wie er, aber auch mit RucksacktouristInnen. Aus seiner Parteilichkeit macht er dabei keinen Hehl. Zelik steht der »bolivarianischen« Revolution positiv gegenüber. Als er von einem Gespräch mit AnhängerInnen der Opposition erzählt, merkt man ihm seine Verärgerung geradezu an, wenn er beschreibt, wie er die Unterhaltung abbricht. Die Wahrnehmungen erscheinen ihm zu unterschiedlich, eine Kommunikation nicht mehr möglich.
Wer aber jetzt denkt, Zelik sei ein unkritischer Lobhudler der Regierung Chávez, der täuscht sich. Er kritisiert den Hang des Präsidenten zu Monologen und zu egomanischer Selbstdarstellung. Ebenso, dass seine Regierung bereits 55 MinisterInnen in relativ kurzer Zeit verschlissen hat. Auch stellt Zelik die Frage, was Chávez bisher für seine WählerInnen, die überwiegend aus der Unterschicht kommen, überhaupt erreicht hat und kommt zu dem Schluss, dass sie nicht zufriedenstellend beantwortet werden kann.
Warum also ist Zelik parteiisch? Allem Anschein nach, weil er herausgefunden hat, dass Chávez gar nicht das Wesentliche ist. Im Laufe des Buches geht es immer weniger um den Präsidenten. Das Wichtige ist der gesellschaftliche Prozess, dem Chávez zurzeit politischen Ausdruck verleiht. Überall gibt es Basisinitiativen, die sich mit dem Elend nicht mehr fatalistisch abfinden. Diese entwickeln dabei Formen emanzipatorischer kollektiver Aneignung, denen die Regierung mit der neuen Verfassung einen rechtlichen Ausdruck gibt. Darin wird die fünfte »Bolivarianische« Republik als »partizipatorische, protagonistische Demokratie« beschrieben. Die Regierung will der Bevölkerung also nicht mehr paternalistisch helfen, sondern sie legalisiert die unabhängig aus der Bevölkerung kommenden Initiativen zur Verbesserung ihrer Situation. Bei diesen Initiativen steht kollektives Handeln im Vordergrund. So gibt es viele Stadtteilorganisationen, die in den Elendsvierteln soziale Initiativen ergreifen, um die Grundbedürfnisse der Menschen wie Wasser- und Stromversorgung, Abfallbeseitigung oder Wohnungen zu befriedigen. Das geht bis zur Besetzung von leer stehendem Wohnraum und in einigen Fällen auch bis zur Selbstjustiz gegen Kriminelle, die die Verfassung natürlich nicht legalisiert. Hierin verdeutlicht sich die Widersprüchlichkeit auch dieser Bewegung. Daneben existieren auch klassische Hilfsprogramme und der Kampf um die Kontrolle der verstaatlichten Ölindustrie.
Alles in allem stimmt das Buch optimistisch - gerade weil es die Schattenseiten nicht ausblendet. Trotz aller Widersprüche scheint in Venezuela ein Prozess im Gang zu sein, der Elemente einer befreiten Gesellschaft enthält, die jenseits von neoliberalem Radikalindividualismus, nationalem Wohlfahrtsstaat und autoritärem »Realsozialismus« (an dem laut Dutschke alles real war außer dem Sozialismus) liegt.
Raul Zelik/Sabine Bitter/Helmut Weber: Made in Venezuela. Notizen zur »bolivarianischen Revolution«, Assoziation A, Berlin 2004, 13 Euro.