Gerhard Seyfried, bisher bekannt als Comiczeichner und Illustrator der linken Bewegungen der Achtziger- und Neunzigerjahre, hat mit Herero einen über sechshundert Seiten starken Roman über die blutige Niederschlagung des Herero-Aufstands in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika vorgelegt. Er erzählt die Geschichte des jungen Kartenzeichners Carl Ettmann der Ende 1903 nach Deutsch-Südwest (so der damalige Sprachgebrauch) reist, um die kartografische Erschließung der noch jungen Kolonie voranzutreiben. Dort lernt er die ebenfalls gerade eingetroffene Fotografin Cecilie Orenstein kennen. Doch bevor sie sich gemeinsam ins Landesinnere aufmachen können, wird Ettmann einberufen: Ein Aufstand der Herero, der größten Bevölkerungsgruppe des Landes, kann nicht mehr durch die vor Ort stationierte »Schutztruppe« kontrolliert werden. So zieht er als Kanonier in den Krieg, während sie zu Fuß einen Missionar begleitet, der einen Stammeshäuptling davon abhalten will, sich dem Aufstand anzuschließen.
Seyfried dringt hier tief in einen inzwischen fast vergessenen dunklen und blutigen Teil der deutschen Geschichte ein. Durchaus spannend und farbig erzählt, zudem angereichert mit (angeblich von Ettmann stammenden, aber unschwer als »echte Seyfrieds« erkennbaren) Zeichnungen und Fotos, entfaltet sich eine Tragödie. Der Feldzug des vom Kaiser entsandten Expeditionsheeres unter der Führung des ehrgeizigen und brutalen Generals Lothar von Trotha endet nach einer ungleichen Schlacht mit der Vertreibung der aufständischen Herero in die Wüste. Dies bedeutet faktisch die Vernichtung dieses Volkes.
Beeindruckend ist die historische Genauigkeit des Autors, allein der Anhang lässt ein unglaublich umfangreiches Quellenstudium erahnen. Dadurch gelingt es ihm, ein plastisches und differenziertes Bild der Situation und der Vorgänge zu zeichnen, sowohl auf der sachlichen als auch auf der sprachlichen Ebene. Es findet keine Verteufelung der KolonialherrscherInnen statt, ebenso wenig eine Verklärung des Widerstandes der Herero. Vielmehr erhalten die LeserInnen einen Einblick in das Denken der Wilhelminischen Epoche und den ganz alltäglichen Rassismus, der mit einem solchen Kolonialregime verbunden ist, sei es als Voraussetzung auf Seiten der KolonialherrInnen oder als Folge auf Seiten der verschiedenen einheimischen Völker. Seine sprachliche Genauigkeit reicht von der Sprache der KolonistInnen über die minutiöse Wiedergabe des kaiserlichen Militärdeutsch bis hin zu dem eigentümlichen Gemisch aus Deutsch und Afrikaans, in dem sich die Einheimischen mit den Eindringlingen aus Deutschland verständigen. Der gesamte Roman ist nach den Regeln der Rechtschreibreform vom 1. Januar 1903 geschrieben, wie der Autor augenzwinkernd voranstellt.
Dieses Buch ist somit ein historischer Roman im besten Sinne: spannend, unterhaltsam, klug.
Gerhard Seyfried: Herero, Eichborn Verlag, Frankfurt/Main 2003, 29,90 Euro.