»Those who do not learn from history really can be doomed to relive it « Dieser These scheint Tim Pat Coogans im Mai 2001 erschienenes Buch 1916: The Easter Rising gewidmet zu sein. Der irische Journalist und Schriftsteller - und wahrscheinlich wichtigste Autor zur irischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts - liefert damit mehr als einen Überblick über den irischen Osteraufstandes im April 1916. Er stellt auch eine deutliche Verbindung zum aktuellen politischen Tauziehen im nordirischen Friedensprozess her.
Der Osteraufstand nimmt in der irisch-republikanischen Tradition einen nicht zu unterschätzenden Stellenwert ein. Seine Initiatoren, die Mitglieder des Militärrats der Irisch Republikanischen Bruderschaft (Irish Republican Brotherhood, IRB) wollten die Schwächung der englischen Armeepräsenz durch die Beteiligung der Briten am Ersten Weltkrieg nutzen, um einen Aufstand in ganz Irland zu organisieren. Dieser wurde in der festen Überzeugung, dass deutsche Waffenhilfe kommen würde, für den 23. April (Ostersonntag) 1916 geplant. Zersplitterungen in der nationalistischen Führung, die in einer überraschenden Rücknahme der Einsatzorder für den Ostersonntag resultierten, und die Aufbringung des Waffenschiffes reduzierten die Siegchancen der Rebellion bevor sie begonnen hatte. Es waren weniger als zweitausend RebellInnen, die am 24. April 1916, dem Ostermontag, strategische Positionen in Dublin besetzten und die Republik ausriefen. Jeder der sieben Unterzeichner der vom ersten Präsidenten Padraig Pearse verlesenen Proklamation der Irischen Republik unterschrieb damit sein Todesurteil. Ihr Ideal einer gesamtirischen Republik aber ist noch heute für nationalistische HardlinerInnen das einzig akzeptable politische Ziel.
Tim Pat Coogan beschreibt Vorgeschichte und Verlauf dieses Aufstandes, den er selbst als »ungemein wichtig und ungemein unnötig« bezeichnet. Unnötig deshalb, weil die britische Regierung mit der Durchsetzung moderater Konzepte wie der Home Rule genannten, die teilweise Selbstverwaltung Irlands von einem eigenen Dubliner Parlament aus, den Aufstand hätte im Keim ersticken können. Stattdessen ließ sich die liberale Regierung von Konservativen und protestantischen UnionistInnen mit der so genannten Orange Card, der Ankündigung des Widerstands der UnionistInnen in Nordirland, unter Druck setzen. Einen großen Teil des Textes verwendet Coogan darauf, die Umstände um das Scheitern der Home Rule zu beleuchten. Entgegen landläufiger Meinung gingen die ersten militanten Schritte nicht von den RepublikanerInnen aus. Populisten wie Edward Carson, Randolph Churchill und Bonar Law hatten das Motto »Ulster will fight and Ulster will be right« geprägt.
Dieses Motto bekräftigte schlagwortartig den Willen der UnionistInnen in Nordirland zur Rebellion, falls man ihnen die Home Rule aufzwingen wollte, der in der Gründung der Ulster Volunteer Forces resultierte. Darauf reagierten die NationalistInnen mit der Gründung der Irish Volunteer Force. Beide Gruppierungen erhielten Waffenlieferungen aus Deutschland, die im Fall der UnionistInnen von britischer Seite aus geduldet wurden. Das gab ihnen die Chance, die Home Rule mit ihrer Orange Card zu blockieren. Dieser erfolgreiche Versuch einer konservativen Minderheit der Mehrheit entgegen demokratischen Entscheidungen ihren Willen aufzuzwingen war nach Coogan die eigentliche Ursache des Aufstandes.
Dabei sieht er erschreckende Parallelen zum Verhalten der unionistischen und konservativen Gruppierungen, die am Friedensprozess nach dem Good Friday Agreement, dem Friedensvertrag von 1996, beteiligt sind. Figuren wie Ian Paisley und David Trimble, protestantische nordirische Loyalistenführer, arbeiten heute genauso an politischen Verschleppungsspielchen oder drohen offen damit, politische Verhandlungen scheitern zu lassen, wie es ihre politischen VorfahrInnen zu Beginn des 20. Jahrhunderts bei Home Rule vorexerziert haben. Entsprechend detailliert erläutert Coogan die Gruppierungen, die den Verlauf der Ereignisse, die zum Aufstand führten, bestimmten.
Den Ablauf der sieben Kampftage in Dublin - die RebellInnen kapitulierten am 30. April 1916 - schildert er gerafft, aber präzise. Die Details der Kampfhandlungen werden zugunsten neuer Fakten gekürzt, die sich mit erst im Jahr 1999 veröffentlichtem Material aus britischen Archiven ergeben haben. Speziell Einzelheiten über das harsche Regiment der BritInnen nach dem Aufstand stehen dabei im Fokus. Mit ihrer rigorosen Besatzungspolitik in den Wochen nach dem Aufstand, der Inhaftierung von 3500 IrInnen - mehr als doppelt so viel wie am Aufstand teilgenommen hatten - und der raschen Exekution von sechzehn der Anführer sorgten die BritInnen für einen gründlichen Stimmungsumschwung zugunsten der RebellInnen. Diese waren zunächst von der Dubliner Bevölkerung wegen der Zerstörungen und Plünderungen in der Stadt beschimpft worden. Die britische Reaktion aber bereitete den Boden für den politischen Schwenk von der gemäßigten Irish Parliamentary Party hin zur republikanischen Sinn Fein, die 1918 bei den Wahlen 73 von 105 irischen Sitzen in Westminster gewann.
Coogan nimmt sich den Raum, die ProtagonistInnen der Rebellion kurz aber eindringlich zu skizzieren, ihre Motiviation und die jahrhundertealte irisch-republikanische Tradition zu erklären, in der sie standen. Er gibt den GründerInnen der ersten irischen Republik ein Profil und lässt dabei auch ZeitzeugInnen und Angehörige zu Wort kommen. Besonders eindrucksvoll ist die Schilderung Kathleen Clarkes, Witwe von Thomas Clarke und Schwester von Ned Daly, über die Nächte, in denen sie Abschied von ihren als Anführer zum Tod verurteilten Angehörigen nehmen musste.
Ergänzt wird der Text mit zahlreichen Fotografien, darunter bekannte Aufnahmen wie die der Citizen Army vor Liberty Hall, dem Sitz der irischen Gewerkschaft, oder der ausgebrannten Hauptpost, aber auch kaum veröffentlichte Bilder von Soldaten hinter Barrikaden aus Möbeln. Die Bilder sind oft Schnappschüsse alltäglicher Situationen in einem historisch relevanten Kontext. Erweitert wird das Bildmaterial durch übersichtliche Karten und Reproduktionen wichtiger Dokumente wie der Kapitulationsnote der RebellInnen oder dem Totenschein von Thomas Clarke.
Ein kurzes Abschlusskapitel reißt die Ereignisse bis zum Good Friday Agreement an, erwähnt Nachfolger von Pearse, wie Michael Collins oder Bobby Sands, als republikanische Symbolfiguren, konzentriert sich aber darauf, noch einmal die Eingangstheorie zu unterstreichen: Das Nachgeben gegenüber der immer noch praktizierten konservativen Verschleppungstaktik könne jederzeit wieder zu politischem Versagen und dem Ausbruch paramilitärischer Gewalt führen. Damals wurde mit der Home Rule durch die aggressive Lobbyarbeit der UnionistInnen ein erster moderater Schritt zur Selbstverwaltung Irlands über vier Jahre hinweg aufgeschoben. Aus den gleichen Gründen stockt der nordirische Friedensprozess seit dem Good Friday Agreement aufgrund von Fragen wie der Entwaffnung der IRA - aufgebracht von britischen Konservativen. Sollten die Entwicklungen heute tatsächlich zum Spiegel der Ereignisse gestern werden, könnte Coogans These prophetische Züge annehmen - und Nordirland dazu verdammt sein, Geschichte zu wiederholen.
Coogans eigener republikanischer Hintergrund scheint an einzelnen Stellen des Textes zwar durch, aber mit diesem an sich objektiven Überblick über den Osteraufstand und seiner Einordnung in den aktuellen Friedensprozess in Nordirland hat er einmal mehr belegt, warum er einer der meistgelesenen und renommiertesten AutorInnen zur Geschichte des irisch-nordirisch-britischen Konfliktes ist.
Tim Pat Coogan: 1916: Easter Rising, Cassell & Co, London 2001, 14,99 Pfund.