Ende April hatten PolitikerInnen von SPD und Grünen noch triumphiert. Mit der Verabschiedung der sechsten Novelle zum Hochschulrahmengesetz (HRG) durch den Bundestag seien Studiengebühren für das Erststudium ausgeschlossen, lautete der Tenor.
Nordrhein-Westfalen könnte dieses Versprechen Lügen strafen. Keine zwei Wochen nach dem Bundestagsbeschluss bestätigte die nordrhein-westfälische Landesregierung Pläne zur Einführung von Studiengebühren, die ab dem Sommersemester 2003 fällig werden sollen. Im Gespräch sind so genannte Verwaltungsgebühren in Höhe von 50 Euro pro StudentIn und Semester. Zudem werde über Langzeitstudiengebühren und Gebühren für SeniorenstudentInnen nachgedacht. Diese könnten sich auf einen Betrag zwischen 500 und 650 Euro pro Semester belaufen. Das Geld soll direkt an das nordrhein-westfälische Finanzministerium gehen. Für 2003 sind im Landeshaushalt insgesamt Einsparungen in Höhe von 1,4 Milliarden Euro vorgesehen. Hiervon sollen 90 Millionen Euro aus dem Bildungsbereich stammen.
Studentische VertreterInnen hatten bereits unmittelbar nach der Novellierung des HRG kritisiert, das Gesetz lasse Hintertüren offen. So betonte beispielsweise das Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS), dass die Regierung das von Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) genannte »Ziel der Gebührenfreiheit für das Erststudium« mit der Novelle nicht erreiche. Das Erststudium sei nur dann wirklich gebührenfrei, so das ABS weiter, wenn die Länder keine Sonderregelungen einführen könnten.
Die Basis für Langzeitstudiengebühren könnte das Studienkontenmodell sein, das die sozialdemokratischen BildungsministerInnen Jürgen Zöllner (Rheinland-Pfalz) und Gabriele Behler (Nordrhein-Westfalen) Anfang November 2001 vorlegten (siehe philtrat nr. 44). Es sieht ein Studienkonto vor, das die Pflichtsemesterwochenstunden und einen zirka zwanzigprozentigen Zuschlag umfasst. Den StudentInnen steht dann die doppelte Regelstudienzeit zur Nutzung des Kontos zur Verfügung. Wird diese jedoch überschritten oder ist das Konto aufgebraucht, müssen Gebühren entrichtet werden. Ein Teil des Guthabens kann auch in einen Aufbaustudiengang übernommen werden. Jedoch nur unter der Voraussetzung, dass die Regelstudienzeit um nicht mehr als zwei Semester überschritten wird. Dieses Modell, betonte Behler in ihrer Rede vor dem Wissensforum NRW im Januar 2002, garantiere die Gebührenfreiheit des Erststudiums. Eine Aussage, die sie direkt wieder einschränkte: Es bestehe ein »verbriefter Anspruch auf ein sich im normalen Rahmen haltendes gebührenfreies Studium.«
Kritik an dem Kontenmodell kommt von studentischer Seite. Es handele sich um eine Variante von Langzeitstudiengebühren, meint zum Beispiel Markus Struben, Mitglied im Koordinierungsausschuss des ABS. Ob es sich bei der Berechnungsgrundlage um Semesterwochenstunden handele oder um die Semesteranzahl, mache keinen Unterschied, so Struben: »Ein selbstbestimmtes Studium ist unter diesen Voraussetzungen nicht möglich.«
Die Umsetzung des Kontenmodells wirft jedoch Probleme auf. Um Abbuchungen vornehmen zu können, müsste die Anzahl der besuchten Semesterwochenstunden genau erfasst werden. Dies ließe sich über ein Chipkartensystem bewerkstelligen. Allerdings würde die Einrichtung eines derartigen Systems hohe finanzielle Belastungen mit sich bringen. Alternativ schlug Zöllner eine Regelabbuchung vor. Unabhängig von der real besuchten Anzahl an Veranstaltungen solle ein festes Kontingent an Semesterwochenstunden abgebucht werden. »Damit wird das Kontenmodell selber ad absurdum geführt«, bemerkt Struben. »Es reduziert sich auf semestergebundene Gebühren wie in Baden-Württemberg.« In Baden-Württemberg werden seit 1997 1000 Mark beziehungsweise 511 Euro eingezogen, wenn die Regelstudienzeit um mehr als vier Semester überschritten wird.