Um einen Film von David Lynch zu beschreiben, reicht eine reine Inhaltsangabe kaum aus. Denn die Handlung ist nur ein Teil des merkwürdigen Geflechts aus Bildern, Musik, Geräuschen und Emotionen, aus dem Lynch seine unbehaglichen Szenen webt. So ist es auch bei seinem neuesten Werk, dem dreistündigen Mystery-Drama Inland Empire. Die Schauspielerin Nikki Grace (Laura Dern) bekommt von Regisseur Steward (Jeremy Irons) die Rolle der Sue in dessen neuem Film, der auf einem polnischen Volksmärchen basiert. Nikkis Begeisterung ist schnell verflogen, als sie erfährt, dass das Drehbuch zu On High in Blue Tomorrows schon einmal verfilmt wurde. Doch die damaligen Dreharbeiten wurden abgebrochen, weil die HauptdarstellerInnen unter mysteriösen Umständen ums Leben kamen - es scheint, als sei der Film verflucht. Dennoch nimmt Nikki die Dreharbeiten auf und beginnt trotz ihrer Ehe eine Affäre mit ihrem Filmpartner Devon Berk (Justin Theroux). Damit ist der linear erzählbare Teil des Films bereits erschöpft. Im weiteren Verlauf gliedert sich der Film in Fragmente, deren Zusammenhang oft kaum erkennbar ist und Raum für Interpretation bietet. Immer neue Schauplätze eröffnen sich den ZuschauerInnen und werden zu Toren zwischen Identitäten und Zeiten. Ob es gestern oder morgen ist, Laura Dern gerade Sue oder Nikki verkörpert, wird unklar. Auch die Darstellerin selbst scheint sich zu fragen, wo, wann und wer sie gerade ist. »Erkennst Du mich?« fragt Sue alias Nikki immer wieder unterschiedliche Personen, als wolle sie sich ihrer eigenen Identität vergewissern. Häufig fügt Lynch auch Szenen ein, die mit der Rahmenhandlung vermeintlich nichts mehr zu tun haben. Beispielsweise eine Theaterbühne, auf der sich Menschen mit Hasenköpfen bewegen und bizarre Dialoge führen. Oder die Kulisse eines Hotelzimmers, in dem ein weinendes Mädchen vor einem Fernseher sitzt. Was alle Szenen verbindet, ist ein Gefühl von tiefer Angst und Beunruhigung. Inland Empire zeigt eine beklemmende Parallelwelt mit der Atmosphäre eines Fiebertraums, deren Sog man sich von der ersten Szene an kaum entziehen kann. Die sprunghafte Erzählweise macht dabei gerade den Reiz des Films aus. Ein überwältigendes Erlebnis, auf das man sich unbedingt einlassen sollte.
Der Sinn im Wahn
David Lynchs jüngster Film Inland Empire gibt Rätsel auf. Etwas anderes hat auch niemand erwartet.
- Weitere Artikel von Elke Hofmann